US-Einwanderungsbehörde umgeht Gesetze mithilfe von Datenhändlern

ICE-Beamte
Zuvor war bereits bekannt geworden, dass die Einwanderungsbehörde Standortdaten von Mobiltelefonen gekauft hatte. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Im Bundesstaat Colorado hat die US-Einwanderungsbehörde (ICE) Verträge mit Datenhändlern geschlossen – und umgeht damit lokale Gesetze. Das geht aus einem neuen Bericht hervor, den zwölf US-amerikanische NGOs – darunter Just Futures Law, Mijente und die American Civil Liberties Union – in der vergangenen Woche veröffentlicht haben. Sie kritisieren, die Behörde kaufe persönliche Daten von einer Vielzahl von Menschen – die so verhaftet und abgeschoben werden könnten.

In Colorado ist es den dortigen Strafverfolgungsbehörden seit dem Jahr 2019 gesetzlich verboten, ohne richterlichen Beschluss persönliche Daten von Einwanderern an die Einwanderungsbehörde weiterzugeben. Bewährungsbehörden dürfen ebenfalls keine persönliche Daten an die Einwanderungsbehörde weitergeben. Doch dem Bericht zufolge umgeht ICE diese Beschränkungen, indem sie die Informationen nun von privaten Unternehmen einkauft. Der Bericht der NGOs basiert auf Dokumenten, die aufgrund von Informationsfreiheitsanfragen freigegeben wurden.

Laut Bericht nutzt die Einwanderungsbehörde in Colorado seit dem vergangenen Jahr eine Plattform namens Appriss Insights, die von der Wirtschaftsauskunftei Equifax stammt. Sie stellt in Echtzeit Informationen über Inhaftierungen und Entlassungen aus US-Gefängnissen bereit. Dadurch erhalte die Behörde Benachrichtigungen, wenn Personen in ein Gefängnis in Colorado eingeliefert werden, die gleichzeitig wegen eines ungültigen Aufenthaltsstatus oder Ähnlichem gesucht werden. ICE könne sie dann bei ihrer Entlassung verfolgen und verhaften.

Daten stammen direkt von Strafverfolgern

Zwar seien solche Daten in den USA öffentlich verfügbar – doch die Organisationen kritisieren, die Plattform ermögliche es, Listen gesuchter Personen in Echtzeit abzugleichen. Außerdem zeige sie Fahrzeugzulassungen und Führerscheindaten sowie Fotos der Betroffenen an und liste auf, von wem sie im Gefängnis besucht wurden. Auch Beziehungen zu anderen Personen würden dargestellt.

Die Daten werden direkt von den lokalen Strafverfolgungsbehörden über ein mit öffentlichen Geldern finanziertes Programm namens VINE eingespeist. VINE sei eigentlich ein Benachrichtigungssystem für Opfer von Straftaten. Sie können sich darüber informieren lassen, wenn Täter freigelassen werden. Doch tatsächlich könne sich jeder kostenlos anmelden – und so würden die Daten auch Behörden wie ICE zur Verfügung gestellt.

Die Einwanderungsbehörde habe zusätzlich Zugang zur Plattform Accurint Virtual Crime Center (AVCC) der Firma LexisNexis gekauft. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Onlinemagazin The Intercept über die Zusammenarbeit zwischen ICE und dem Unternehmen berichtet.

Dem aktuellen Bericht zufolge kombiniert die AVCC-Plattform Milliarden persönlicher Daten aus über 10.000 staatlichen und privaten Quellen, darunter auch Informationen von 1500 Strafverfolgungsbehörden. Kunden können so beispielsweise auf Gerichtsakten und Adressen zugreifen. Auch Daten von Kennzeichenerfassungssystemen sollen zur Verfügung stehen – wodurch sich die Standorte von Fahrzeugen verfolgen lassen.

Fehlerhafte Daten

So würden massenhaft personenbezogene Daten erhoben, kritisieren die Organisationen. Dies bedrohe die Privatsphäre. Zudem seien die Daten häufig falsch. Schon in einem Anhang des in Colorado geschlossenen Vertrags werde darauf hingewiesen, dass die bereitgestellten Daten “Fehler enthalten können”, weil diese “ungenau eingegeben” oder “falsch verarbeitet” werden. Dies berge das Risiko, dass die falschen Personen ins Visier der Einwanderungsbehörde geraten.

Bevor es den Strafverfolgungsbehörden in Colorado verboten wurde, hätten diese regelmäßig Daten an die Einwanderungsbehörde weitergegeben – beispielsweise, wenn Personen aus der Haft entlassen werden. Diese hatte dann regelmäßig sogenannte “Immigration Detainers” ausgestellt. Darin ersucht die Einwanderungsbehörde lokale Strafverfolger, bereits inhaftierte Personen für weitere 48 Stunden nach ihrem Entlassungstermin festzuhalten, um sie in ein Abschiebegefängnis überstellen zu können. Nach dem Gesetz dürfen die Behörden in Colorado solchen Ersuchen eigentlich nicht mehr Folge leisten. Dennoch legten Dokumente nahe, dass sich nicht alle Behörden daran halten.

Das Gesetz in Colorado stelle eine Hürde für die Einwanderungsbehörde dar – die diese bewusst umgehe, indem sie die Dienste von Datenhändlern in Anspruch nehme. Aus den von den Organisationen eingesehenen Dokumenten gehe hervor, dass dies gezielt erfolgt: So habe die Behörde argumentiert, es sei “wichtig” Zugang zu Appriss Insights zu bekommen, weil lokale Strafverfolger zunehmend keine Daten mehr zur Verfügung stellen würden. Ohne Zugang zu der Plattform würde es “erhebliche operative Auswirkungen geben” und ICE sei nicht in der Lage, “Nicht-Staatsbürger direkt aus den Haftanstalten in Gewahrsam zu nehmen”.

Gesetze werden umgangen

Die Organisationen kritisieren, die Datenhändler fungierten damit als Hintertür für ICE, um geltende Gesetze zu umgehen und weiterhin zu erfahren, wann gesuchte Personen aus der Haft entlassen werden oder einen Termin bei einem Bewährungshelfer haben – um diese dann aufspüren zu können.

Jacinta González von der Einwandererrechte-Organisation Mijente kritisierte: “Dies ist der Beweis für etwas, das wir schon lange vermutet haben: ICE schließt Verträge mit Technologie- und Datenunternehmen wie LexisNexis, um Gesetze zu umgehen.”

Siena Mann von der Colorado Immigrant Rights Coalition fügte hinzu: “Betroffene fragen uns: Woher wussten sie, dass sie mich hier abholen müssen? Woher kannten sie meine Adresse oder die Namen meiner Familienmitglieder?” Der Bericht zeige nun, wie Daten gekauft werden, um Einwanderer zu überwachen.

Ana Temu Otting von der American Civil Liberties Union Colorado merkte an, in den vergangenen Jahren sei in Colorado sichergestellt worden, dass die persönlichen Daten von Einwanderern geschützt sind. “Dennoch bauen Tech-Unternehmen die Werkzeuge, die zur Überwachung, Inhaftierung und Abschiebung unserer Gemeinschaften verwendet werden.”

Miriam Ordoñez von der Colorado Consumer Health Initiative kritisierte zudem, der Einsatz solcher Systeme habe eine abschreckende Wirkung: So würden Betroffene davon abgehalten, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, weil sie Angst hätten, dass ihre Daten an die Einwanderungsbehörde gelangen. Laut der Universität von Colorado suchen auch Einwanderer mit gültigem Aufenthaltsstatus teils keine medizinischen Einrichtungen auf, weil sie befürchten, dass so Daten von Angehörigen ohne Aufenthaltserlaubnis weitergereicht werden.

Die Organisationen fordern daher die Strafverfolgungsbehörden auf, Datenhändlern keine Informationen mehr zu liefern. Die Generalstaatsanwaltschaft Colorado müsse zudem von den Datenhändlern verlangen, keine Daten an ICE zu verkaufen, durch die Gesetze umgangen werden.

Bereits im Jahr 2020 war bekannt geworden, dass die US-Einwanderungsbehörde Standortdaten gekauft hatte, um mutmaßlich illegale Grenzüberschreitungen festzustellen. Und im März hatten US-Abgeordnete kritisiert, dass sie Asylsuchende mit einer App überwacht. Organisationen wie Mjiente und Just Futures Law haben die US-Regierung verklagt, um Informationen zu erhalten, welche Daten genau die Behörde von den Betroffenen sammelt. (js)