USA: Kritik an "digitaler Rasterfahndung" bei YouTube
US-Strafverfolgungsbehörden haben in mindestens zwei Fällen Daten zu allen Nutzerinnen und Nutzern von Google verlangt, die bestimmte YouTube-Videos angesehen haben. Das berichtet das Magazin Forbes unter Berufung auf nun freigegebene Gerichtsbeschlüsse. Bürgerrechtler halten das Vorgehen für verfassungswidrig.
Laut dem Forbes-Bericht wollten Ermittler Anfang 2023 in einem Fall aus Kentucky einen YouTube-Nutzer identifizieren. Dieser war unter anderem der Geldwäsche im Zusammenhang mit sogenannten Kryptowährungen verdächtig. Um die Person zu enttarnen, schickten die Ermittler ihr Links zu öffentlichen YouTube-Videos, in denen es beispielsweise um Drohnen ging.
Anschließend verlangten die Strafverfolger vom YouTube-Mutterkonzern Google die Namen, Adressen, Telefonnummern und Informationen zu den Nutzeraktivitäten von allen Personen, die mit einem Google-Konto angemeldet waren – und die betreffenden Videos in den vergangenen sieben Tagen angeschaut hatten. Zusätzlich wollten die Ermittler die IP-Adressen von allen Nutzern, die sich die Videos ohne Account angesehen hatten. Dem Bericht zufolge wurden die Videos insgesamt etwa 30.000 Mal aufgerufen.
Laut Forbes geht aus den Gerichtsbeschlüssen jedoch nicht hervor, ob Google die entsprechenden Daten auch tatsächlich herausgegeben hat. Auch in einem weiteren Fall, über den das Magazin berichtet, bleibt unklar, ob die Daten tatsächlich an die Polizei herausgegeben wurden.
Google prüft Anordnungen
Ein Google-Sprecher erklärte gegenüber dem Magazin: “Bei allen Forderungen der Strafverfolgungsbehörden haben wir einen strengen Prozess, der die Privatsphäre und die verfassungsmäßigen Rechte unserer Nutzer schützen und gleichzeitig die wichtige Arbeit der Strafverfolgungsbehörden unterstützen soll.” Und weiter: “Wir prüfen jede Anordnung auf ihre rechtliche Zulässigkeit, in Übereinstimmung mit der sich entwickelnden Rechtsprechung, und wir wehren uns routinemäßig gegen zu weit gehende oder anderweitig unangemessene Anforderungen von Nutzerdaten, einschließlich der vollständigen Ablehnung einiger Anforderungen.”
Forbes berichtet zudem über einen Fall aus Portsmouth im US-Bundesstaat New Hampshire. Die dortige Polizei habe eine anonyme Bombendrohung erhalten. Nachdem sie den mutmaßlich betroffenen Ort durchsucht hatten, hätten die Beamten erfahren, dass sie per Kamera beobachtet und die Aufnahmen live auf YouTube zu sehen waren. Daraufhin hätten die Ermittler eine Liste von Accounts verlangt, die in einem bestimmten Zeitraum acht YouTube-Livestreams angesehen haben. Nähere Details zu den im Einzelnen abgefragten Daten nennt Forbes bei diesem Fall nicht.
Bürgerrechtler kritisieren “Rasterfahndung”
Datenschützer und Bürgerrechtler kritisieren das Vorgehen der Polizei. Die New Yorker NGO “Surveillance Technology Oversight Project” erklärte, auf der Suche nach einer verdächtigen Person seien die Daten von Tausenden unschuldigen Menschen abgefragt worden. Das verstoße gegen den vierten Zusatzartikel der US-Verfassung, der den Schutz vor staatlichen Übergriffen gewährleistet.
Albert Fox Cahn, Vorsitzender der NGO, sagte, es handle sich um die jüngsten Beispiele für einen “beunruhigenden Trend” der digitalen Rasterfahndung. “Das ist verfassungswidrig, es ist erschreckend und es passiert jeden Tag.” Die Anordnungen seien abschreckend, weil sie es der Polizei ermöglichten, “Menschen allein aufgrund der von ihnen konsumierten Inhalte ins Visier zu nehmen”. Das verstoße auch gegen den ersten Verfassungszusatz, der die Meinungs- und Pressefreiheit garantiert. Ein ähnliches Vorgehen habe man zuvor bei sogenannten “Geofence Warrants” beobachtet, bei denen die Behörden Daten von allen Personen abfragen, die sich beispielsweise in der Nähe eines Tatorts aufgehalten haben. Ein US-Gericht hatte eine solche Anordnung im vergangenen Jahr als verfassungswidrig eingestuft.
Er verglich die Anordnungen zur Datenherausgabe auch mit sogenannten “Keyword Warrents”, die schon lange in der Kritik stehen. Dabei verlangen US-Strafverfolger die Daten von allen Nutzern, die beispielsweise bei Google nach bestimmten Begriffen gesucht haben, um Verdächtige zu identifizieren. Bürgerrechtler halten auch dieses Vorgehen für verfassungswidrig, weil in Durchsuchungsbeschlüssen die betroffene Person eigentlich explizit genannt werden müssen. Bürgerrechtler befürchten, dass beim umgekehrten Vorgehen auch Unschuldige ins Visier der Ermittler geraten.
John Davisson vom Electronic Privacy Information Center erklärte: “Was wir uns online ansehen, kann sehr sensible Informationen über uns preisgeben – über Politik, unsere Leidenschaften, unsere religiösen Überzeugungen und vieles mehr. Man sollte erwarten können, dass Strafverfolgungsbehörden ohne triftigen Grund keinen Zugang zu diesen Informationen erhalten. Diese Anordnungen stellen diese Annahme jedoch auf den Kopf.” (js)