Weltklimarat: Zeitfenster zur Anpassung an den Klimawandel schrumpft

Die Erde
“Steigende Temperaturen und extreme Ereignisse wie Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen setzen Pflanzen und Tiere klimatischen Bedingungen aus, die sie seit Zehntausenden Jahren nicht mehr erlebt haben.” (Quelle: NASA/Bill Anders – gemeinfrei)

Die Erderhitzung führt nach dem heute veröffentlichten zweiten Teilbericht des Weltklimarats (IPCC) bereits zu gefährlichen Veränderungen. 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen – und somit die Hälfte der Menschheit – leben demnach in Regionen, die hochgradig vom Klimawandel betroffen sein werden oder es schon sind. Ein weiteres Viertel müsse mit zeitweise drastischen Veränderungen aufgrund der Erderwärmung rechnen.

“Die Auswirkungen, die wir heute sehen, treten viel schneller auf und sind zerstörerischer und weitreichender als vor 20 Jahren erwartet”, berichtete die IPCC-Arbeitsgruppe am Montag zu den Folgen des Klimawandels. Vor allem kurzfristige Folgen wie Ernteausfälle seien bislang unterschätzt worden. Das erhöhe Armut und Ungleichheit und werde mehr Menschen, die in ihrer Heimat kein Auskommen mehr haben, zur Migration zwingen.

Nur wenn es gelingen sollte, die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, gilt der Klimawandel als noch kontrollierbar. Doch selbst dann muss die Menschheit schon in den nächsten 20 Jahren erhebliche Auswirkungen verkraften. Auch ein nur zeitweiser Temperaturanstieg von mehr als 1,5 Grad hätte schwerwiegende Schäden für Ökosysteme und Gesellschaften zur Folge. Noch immer täten die Regierungen nicht annähernd genug, um die schlimmsten Gefahren abzuwenden.

“Wir haben ein schrumpfendes Zeitfenster”, warnte der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe, der deutsche Meeresbiologe Hans-Otto Pörtner. Die Folgen sind schon jetzt in allen Teilen der Welt sichtbar: Es gibt verheerende Waldbrände wie im Mittelmeerraum und im Westen der USA, Überschwemmungen wie in der Region Ahr und Erft im Juli 2021, Hitzewellen wie in Sibirien.

Der neue – über 3600 Seiten umfassende – Bericht ist Teil zwei des sechsten Sachstandsberichts zum Klimawandel des IPCC. An ihm waren 270 Forschende beteiligt, die in den vergangenen drei Jahren rund 34.000 Studien zum Klimawandel ausgewertet haben. Der erste Teil über die wissenschaftlichen Grundlagen wurde im August 2021 veröffentlicht. Der dritte Teil wird sich mit Möglichkeiten befassen, den Klimawandel zu mindern. Er wird im April erwartet. Der IPCC hat seit seiner Gründung 1988 im Schnitt alle sechs Jahre umfangreiche Sachstandsberichte veröffentlicht.

Tiere und Pflanzen vertrieben

Die Experten empfehlen, 30 bis 50 Prozent der Erdoberfläche für Naturräume zur Verfügung zu halten. Diese Räume könnten durchaus genutzt werden, aber nur in einem nachhaltigen Miteinander von Mensch und Natur. “Dieses Denken ist in der Politik noch nicht so richtig angekommen”, sagte Pörtner. Aktuell sind weltweit weniger als 15 Prozent der Landfläche, 21 Prozent der Süßwasserfläche und 8 Prozent der Ozeane geschützte Gebiete.

Die Ökosysteme nehmen derzeit noch mehr Treibhausgase auf als sie selbst verursachen, heißt es in den IPCC-Dokumenten. Das ändere sich aber, wenn Urwald abgeholzt oder Torfmoorgebiete trockengelegt werden – oder der arktische Permafrost schmilzt. “Dieser und andere Trends können noch umgekehrt werden, wenn Ökosysteme instandgesetzt, wieder aufgebaut und gestärkt und nachhaltig bewirtschaftet werden”, schreiben die Wissenschaftler. “Gesunde Ökosysteme und eine reiche Artenvielfalt sind die Grundlage für das Überleben der Menschheit.”

Steigende Temperaturen und extreme Ereignisse wie Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen setzten Pflanzen und Tiere klimatischen Bedingungen aus, die sie seit Zehntausenden Jahren nicht mehr erlebt haben. Die globale Erwärmung treffe mit anderen Herausforderungen zusammen, so der Weltklimarat. Er zählt die wachsende Weltbevölkerung auf, die Migration der Menschen in Städte, zu hohen Konsum, wachsende Armut und Ungleichheit, Umweltverschmutzung, Überfischung und jüngst die Coronavirus-Pandemie. Krankheitsrisiken nähmen weiter zu, das Dengue-Fieber werde sich ausbreiten, auch nach Europa.

Hitze und Extremwetter trieben Pflanzen und Tiere an Land und in den Ozeanen Richtung Pole, in tiefere Gewässer oder höhere Lagen. Meerespflanzen und -tiere bewegten sich wegen der steigenden Wassertemperaturen im Durchschnitt um 59 Kilometer pro Jahrzehnt Richtung der Pole.

Viele Arten erreichten bei der Anpassung an den Klimawandel Grenzen und seien vom Aussterben bedroht. Bei einer globalen Erwärmung von zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau seien 18 Prozent der heutigen an Land befindlichen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht, bei vier Grad 50 Prozent.

“Der Zeitpunkt wichtiger biologischer Ereignisse wie Fortpflanzung oder Blüte verändert sich”, berichten die Wissenschaftler. Ein Beispiel sei die Verfügbarkeit von Insekten zur Zeit der Vogelbrut. Bis Ende des Jahrzehnts könnten Fischer in den tropischen Regionen Afrikas bis zu 41 Prozent weniger fangen. In Afrika sei Fisch für ein Drittel der Menschen die Hauptproteinquelle. Wenn die Erwärmung 2,1 Grad erreiche, dürften in Afrika bis 2050 zusätzlich 1,4 Millionen Kinder wegen Unterernährung in ihrer Entwicklung für immer zurückbleiben.

Bei 1,7 Grad Erwärmung erwarten die Forscher, dass 17 bis 40 Millionen Menschen südlich der Sahara ihre Heimat verlassen müssen, weil unter anderem der Mais-Ertrag sinken wird. Bei 2,5 Grad könnten 56 bis 86 Millionen wegen fehlender Nahrung (regional) migrieren.

Lebensstil muss sich ändern

Es seien nun fundamentale gesellschaftliche Veränderungen nötig. Die Energie müsse sauber, die Wegwerfmentalität beseitigt werden. Städte und Landwirtschaft müssten nachhaltig und die Mobilität angepasst werden: mehr Rad- statt Autofahren, mehr Zugfahren statt Fliegen. Wichtig sei, die gesamte Bevölkerung mitzunehmen, mahnte die Klimaforscherin und Mitautorin Daniela Schmidt: “Wenn wir wunderbare grüne Städte haben, können sich Leute, die da jetzt leben, das vielleicht dann nicht mehr leisten”, sagte sie.

Auch der neuen Bundesregierung gibt Mitautor Pörtner für ihre Klimapolitik schlechte Noten: “Für die Ambitionen kriegt sie eine Drei und für die Umsetzung eine Vier minus bisher”, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine werfe die Klimaschutzbemühungen aktuell zurück, so Pörtner. “Dieser Konflikt fühlt sich an wie aus der Zeit gefallen, wenn man sich überlegt, welche existenziellen Nöte die Menschheit eigentlich hat im Kontext der Auswirkungen des Klimawandels und des Biodiversitätsverlustes.” Die Kosten zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels und für Anpassungsmaßnahmen seien unterschätzt worden.

“Der Bericht des Weltklimarats liefert handfeste ökologische Gründe für einen entschlossenen Ausbau der erneuerbaren Energien, die dramatischen Ereignisse in der Ukraine nachdrückliche politische. Fest steht: Eine sichere Zukunft für alle gibt es nur mit einem entschlossenen Umstieg von Kohle, Öl und Gas auf saubere Energien aus Sonne und Wind”, kommentierte Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid den Bericht.

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) schlägt im Kampf gegen die Klimafolgen ein generelles Tempolimit vor, eine “Sanierungsoffensive” für Gebäude und den massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien. “Der IPCC-Bericht ist nichts weniger als ein flammender Appell auch an die Bundesregierung, endlich sofort wirksame Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausemissionen zu ergreifen”, appeliert Müller-Kraener. Die DUH forderte die deutsche Regierung auf, nach der Ankündigung eines Sondervermögens für die Bundeswehr ebenso schnell und entschlossen den Ausbau der Erneuerbaren Energien auf den Weg zu bringen.

Laut Weltklimarat lag die globale Durchschnittstemperatur im Zeitraum 2010 bis 2019 durch die vom Menschen verursachten Treibhausgase rund 1,1 Grad höher als in vorindustrieller Zeit (1850-1900). Allein seit dem 5. Sachstandsbericht 2014 ist sie um 0,2 Grad gestiegen. (dpa / hcz)