Pegasus-Entwickler NSO verklagt israelische Zeitung
Das israelische Unternehmen NSO Group hat am Sonntag eine Verleumdungsklage gegen die israelische Wirtschaftszeitung Calcalist eingereicht. Die Zeitung hatte berichtet, die israelische Polizei habe mit der umstrittenen Überwachungssoftware Pegasus jahrelang ohne richterliche Beschlüsse Regierungskritiker, Politiker und Geschäftsleute ausspioniert.
Wie die Times of Israel berichtet, richtet sich die Klage gegen einen in der vergangenen Woche veröffentlichten Artikel. Darin hatte Calcalist geschrieben, NSO ermögliche seinen Kunden, die Spuren eines Pegasus-Angriffs zu verwischen. NSO hatte dem widersprochen: Die Protokolle der von den Kunden betriebenen Pegasus-Systeme ließen sich nicht verändern oder löschen. Das Unternehmen hatte eine Richtigstellung gefordert. Calcalist hatte den Artikel anschließend zwar von der Webseite entfernt, jedoch nicht auf die Aufforderung des Unternehmens reagiert.
NSO teilte am Sonntag mit, die Klage sei bei einem Gericht in Rischon Lezion bei Tel Aviv eingereicht worden. Das Unternehmen fordert eine Entschädigung von umgerechnet etwa 277.000 Euro. Diese soll an gemeinnützige Organisationen gespendet werden. Ein Sprecher von Calcalist sagte, die Redaktion werde sich vor Gericht zu den Anschuldigungen äußern.
Calcalist hatte Ausspähziele benannt
Nach Angabe der Times of Israel hatte NSO die Publikation bereits in der vergangenen Woche vor Klagen gewarnt. Die Zeitung hatte erstmals im Januar über den Einsatz von Pegasus durch eine Einheit der israelischen Polizei berichtet. Im Februar hatte sie dann eine Liste mit 26 mutmaßlichen Ausspähzielen veröffentlicht. Darunter befanden sich Aktivisten, Journalisten, Bürgermeister und der Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, Avner Netanyahu. Nach den Berichten soll die Polizei in allen Fällen ohne richterlichen Beschluss gehandelt haben.
Was ist Pegasus?
Pegasus ist eine Spionagesoftware der israelischen Firma NSO Group. Die Spähsoftware kann ein infiltriertes Gerät komplett übernehmen und beispielsweise die Kamera und das Mikrofon unbemerkt anschalten – oder sämtliche Daten kopieren. Auch Standortdaten lassen sich abrufen und Passwörter auslesen. Das Überwachungsprogramm steht seit Jahren im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in der Kritik.
In der Klage wirft NSO der Zeitung vor, es handle sich bei dieser Berichterstattung “nicht um eine journalistische Untersuchung, sondern um einseitige, voreingenommene und falsche Berichte”.
Israels Generalstaatsanwaltschaft hatte als Reaktion auf die Berichterstattung eine Untersuchung innerhalb der Polizei angeordnet. Anfang vergangener Woche hatte das Justizministerium bestätigt, dass Pegasus gegen israelische Bürger eingesetzt wurde. Allerdings seien nur drei der von Calcalist genannten 26 Personen ein Überwachungsziel gewesen – nur in einem Fall soll das Smartphone der betroffenen Person tatsächlich mit Pegasus infiltriert worden sein. In allen Fällen soll es es eine richterliche Anordnung gegeben haben.
Nach Angaben des Justizministeriums wurde auch der Einsatz einer weiteren Spionagesoftware untersucht. Ein Fehlverhalten der Behörden habe aber in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht festgestellt werden können. Calcalist hatte daraufhin angekündigt, die eigenen Recherchen überprüfen zu wollen.
Keine Untersuchung auf Regierungsebene
Die israelische Polizei soll die Vorfälle aber weiter untersuchen – auch der Inlandsgeheimdienst Schin Bet und der Auslandsgeheimdienst Mossad sind an der Untersuchung beteiligt. Wie die israelische Zeitung Haaretz berichtet, hat die zuständige Untersuchungskommission noch bis Juli Zeit, um ihren endgültigen Bericht vorzulegen. Eine unabhängige Untersuchungskommission soll jedoch nicht eingerichtet werden, sagte Justizminister Gideon Saar. Der Polizeiminister Omer Barlev hatte zuvor angekündigt, er wolle eine Untersuchungskommission auf Kabinettsebene einsetzen. Andere Politiker hatten eine nicht-staatliche Untersuchungskommission gefordert.
Die Berichte von Calcalist hatten in Israel auch für Aufsehen gesorgt, weil NSO zuvor behauptet hatte, Pegasus könne Telefone mit israelischen Telefonnummern nicht angreifen.
Klagen gegen NSO
Die Spionagesoftware steht schon lange wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik: Im Juli hatten die Organisationen Forbidden Stories und Amnesty International sowie mehrere internationale Medien aufgedeckt, wie weltweit Medienschaffende, Menschenrechtler und Oppositionelle mit Pegasus überwacht wurden.
Auch ungarische Journalisten und polnische Oppositionelle wurden überwacht. Deshalb fordert unter anderem die Fraktion Renew Europe im Europäischen Parlament eine Untersuchungskommission. Der Europäische Datenschutzbeauftragte, Wojciech Wiewiórowski, hatte sich Mitte Februar für ein Verbot von Spionagesoftware mit den Fähigkeiten von Pegasus in der EU ausgesprochen.
In den USA klagen aktuell Apple sowie WhatsApp und dessen Mutterkonzern Meta gegen NSO. Apple will NSO mit der Klage für die Überwachung und die gezielten Angriffe auf Apple-Nutzerinnen und -Nutzer zur Verantwortung ziehen. Meta wirft NSO vor, im Frühjahr 2019 an Angriffen auf 1400 WhatsApp-Nutzer beteiligt gewesen zu sein. Unter den Zielpersonen seien Journalisten, Anwälte, Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten, Diplomaten und Regierungsbeamte gewesen.
Organisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen fordern darüber hinaus ein sofortiges Moratorium für den Verkauf, die Weitergabe und den Einsatz von Überwachungstechnologien. (dpa / js)