Ägypten: Regierung behindert Arbeit von Umweltorganisationen
Die ägyptische Regierung schränkt die unabhängige Arbeit von Umweltschutzgruppen stark ein, kritisiert Human Rights Watch (HRW). Das nordafrikanische Land ist im November Gastgeber der UN-Klimakonferenz COP27. Aktivisten wollen sich aus Angst vor Repressalien dort nun teils nicht engagieren. Human Rights Watch fordert die Regierung dazu auf, nicht länger gegen zivilgesellschaftliche Gruppen vorzugehen.
Die Organisation hat mit Aktivistinnen und Aktivisten, Akademikern, Forschenden und Medienschaffenden gesprochen, die sich aktuell in Ägypten mit Umweltthemen beschäftigen oder dies in der Vergangenheit getan haben. Einige der Befragten haben ihre Arbeit aus Sicherheitsgründen inzwischen aufgegeben oder sogar das Land verlassen. Sechs Personen wollten aus Sicherheitsgründen nicht mit der Menschenrechtsorganisation sprechen.
Gegenüber HRW berichteten die Befragten, dass der Raum für unabhängige Klimaschutzarbeit in Ägypten immer stärker eingeschränkt wurde, seit Präsident Abdel Fattah al-Sisi sein Amt im Jahr 2014 angetreten hat. Es gebe Schikanen und Einschüchterungen, es würden auch Aktivisten verhaftet. Generell herrsche ein Klima der Angst. Nach Angaben von HRW nutzt die ägyptische Regierung seit Jahren solche Taktiken, um gegen lokale und internationale NGOs im Land vorzugehen. Dadurch verletzte sie die Rechte auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.
Ein Exil-Aktivist sagte gegenüber HRW: “Der Sicherheitsapparat wird sich jetzt wahrscheinlich mehr denn je auf die zivile Umweltbewegung in Ägypten konzentrieren.”
Richard Pearshouse, Leiter des Umweltbereichs bei HRW, kritisierte: “Die ägyptische Regierung hat willkürliche Finanzierungs-, Forschungs- und Registrierungsbeschränkungen verhängt, die lokale Umweltgruppen geschwächt und einige Aktivisten ins Exil gezwungen haben, während andere sich von wichtiger Arbeit fernhalten mussten.”
Organisationen wurden geschwächt
Laut HRW werden nur Aktivitäten toleriert, die nicht als regierungskritisch wahrgenommen werden. Einige Umweltgruppen engagierten sich beispielsweise für Themen wie Recycling oder Ernährungssicherheit. Regierungskritische NGOs würden aus Angst vor Repressalien aber auf ein öffentliches Engagement während der COP27 verzichten. Die UN-Klimakonferenz findet vom 6. bis 18. November im ägyptischen Scharm El-Scheich statt.
Laut HRW ist es für NGOs nicht möglich, an bestimmten Themen zu arbeiten, weil diese auf ein Versagen der Regierung hinweisen. Dazu zähle Wassersicherheit ebenso wie industrielle Umweltverschmutzung und Umweltschäden durch Tourismus, Immobilien und die Agrarindustrie.
Auch könne kaum untersucht werden, wie sich die geschäftlichen Aktivitäten des ägyptischen Militärs auf die Umwelt auswirken. Dieses habe etwa in Steinbrüche, Wasserabfüllanlagen und Zementfabriken investiert. Nationale Infrastrukturprojekte wie eine neu geplante Verwaltungshauptstadt zählten ebenfalls als “rote Linien”.
Führende Organisationen in Ägypten seien durch staatliche Restriktionen so geschwächt, dass sie nicht mehr in der Lage seien, die Arbeit der Regierung zu überwachen.
Drohanrufe, Reisebeschränkungen und Vorladungen
Aktivistinnen und Aktivisten erhielten etwa Drohanrufe, wenn ihre Umweltarbeit als regierungskritisch wahrgenommen würde. Aktivisten berichteten auch von Reiseeinschränkungen: Sie würden am Flughafen wiederholt für Sicherheitskontrollen und Verhöre aufgehalten – einige seien auch daran gehindert worden, das Land zu verlassen.
Aktivisten würden zudem häufig von Sicherheitsbehörden vorgeladen. Solche Schikanen hätten sich auch gegen Opfer von Umweltverschmutzungen gerichtet. So berichtet HRW von einem Fall, in dem sich Personen Anwälte genommen hatten – und von den Behörden mit Anklagen wegen Terrorismus bedroht wurden.
Darüber hinaus sei es schwierig für Umweltschutzgruppen, ihre Finanzierung zu sichern. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Ägypten seien größtenteils auf Gelder aus dem Ausland angewiesen. Allerdings könnten Personen, die solche Gelder beantragen, entgegennehmen oder bei der Beschaffung behilflich sind, mit lebenslanger Haft oder gar dem Tode bestraft werden, wenn dies angeblich “nationalen Interessen” schade oder die öffentliche Sicherheit untergrabe. Die Behörden dürften zudem die Arbeit von Organisationen jederzeit ohne Angabe von Gründen kontrollieren.
Für viele Gruppen sei es außerdem schwierig, sich als Nichtregierungsorganisationen registrieren zu lassen. Von HRW befragte Personen gaben an, ihnen sei keine Umweltorganisation bekannt, die die Regierung öffentlich kritisiert hat und sich erfolgreich registrieren lassen konnte. Um legal arbeiten zu können, ist dieser als komplex beschriebene Prozess laut dem NGO-Gesetz jedoch Voraussetzung. Selbst eine erfolgreiche Registrierung sei aber keine Garantie für eine reibungslose Arbeit: Die Behörden könnten den Status wieder einfrieren.
Zudem brauche es für Feldforschungen und die Veröffentlichung von Studien und Untersuchungen Genehmigungen. Gesetzlich verboten sei dabei jegliche Arbeit, die als “politisch” eingestuft wird – das entsprechende Gesetz definiere diesen Begriff aber nicht weiter. Wie Human Rights Watch berichtet, haben Organisationen aufgrund dieser Bedingungen bereits Forschungsabteilungen geschlossen und würden auf Feldarbeit verzichten.
Unabhängige Forschung werde außerdem durch die staatliche Zensur erschwert. Seit dem Jahr 2017 habe die Regierung den Zugang zu rund 700 Internetseiten sperren lassen. Während Protesten würden darüber hinaus weitere Internetseiten und Kommunikationswerkzeuge vorübergehend blockiert.
Einige Aktivisten sehen die COP27 aber auch als Chance: Sie hoffen, die Konferenz werde in Ägypten dazu beitragen, das Bewusstsein für den Klimawandel zu schärfen. Ägyptische Behörden hätten in den vergangenen Wochen auch ägyptische Organisationen gebeten, an der COP27 teilzunehmen.
Forderung an internationale Regierungen
Human Rights Watch fordert jedoch mehr: Die ägyptischen Behörden müssten ihre “Repressionskampagne” gegen unabhängige Organisationen beenden. Das NGO-Gesetz müsse in Einklang mit der ägyptischen Verfassung und internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Vereinigungsfreiheit gebracht werden. Außerdem sollte die Blockade von Internetseiten aufgehoben werden. Richard Pearshouse von HRW kommentierte: “Die Welt braucht mehr Klimaaktivismus, nicht weniger, und es kann keinen effektiven Aktivismus geben, wenn die Regierung zivilgesellschaftliche Gruppen als Bedrohung und nicht als Bereicherung behandelt.”
Auch an der COP27 beteiligte Regierungen müssten sich dafür einsetzen, dass regierungskritische Organisationen die Veranstaltung beobachten und ihre Positionen vortragen können. Das UN-Klimasekretariat solle zudem Menschenrechtskriterien entwickeln, zu deren Einhaltung sich künftige COP-Gastgeberländer verpflichten müssen.
Bereits im vergangenen Jahr hatte es Kritik an der Entscheidung gegeben, die COP27 in Ägypten stattfinden zu lassen. Human Rights Watch, Amnesty International und weitere internationale und ägyptische Menschenrechtsorganisationen hatten im Sommer gemeinsam gefordert, Ägypten müsse die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung respektieren, um eine erfolgreiche UN-Klimakonferenz zu ermöglichen. Ägyptens Außenminister Samih Schukri hatte damals angekündigt, einen Bereich in der Nähe der Konferenz für Proteste zu benennen. Die Organisationen fürchten, die Regierung könnte Proteste außerhalb dieses von der Regierung bestimmten Raums nicht dulden – und so die Teilnahme von Aktivisten behindern.
Laut Amnesty International wurden im Jahr 2021 Tausende Menschen in Ägypten willkürlich verhaftet – darunter Journalisten, friedliche Demonstranten und Menschenrechtsaktivisten. Aktivisten seien willkürlich auf eine “Terroristenliste” gesetzt worden. In der Folge wurde ihnen zivilgesellschaftliche Arbeit für fünf Jahre verboten – und es wurden Reiseeinschränkungen gegen sie verhängt. (js)