EU-Parlament will Unternehmen zu mehr Waldschutz verpflichten

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Für große Teile des Regenwalds ist es bereits zu spät – Europa trägt daran eine Mitschuld. (Quelle: IMAGO / agefotostock)

Das Europaparlament will ein Importverbot für zahlreiche Waren einführen, wenn für ihre Produktion Wälder abgeholzt wurden. Eine große Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Dienstag für die “Verordnung über Entwaldungsfreie Lieferketten” und somit dafür, dass Unternehmen entsprechende Sorgfaltspflichten auferlegt werden.

Hersteller sollen weltweit überprüfen müssen, dass ihre in der EU verkaufte Ware nicht auf entwaldeten Flächen hergestellt wurde. Verbraucher sollen nach Willen des Parlaments garantiert bekommen, dass gekaufte Produkte nicht zur Zerstörung von Wäldern beigetragen haben.

Zudem müssten Firmen belegen, dass Waren im Einklang mit den internationalen Menschenrechten hergestellt und Rechte indigener Völker respektiert wurden.

Wälder werden weltweit im großen Stil abgeholzt und Brand gerodet, um Platz für die Produktion von Waren wie Palmöl, Soja, Kakao, Kaffee, Fleisch oder Leder zu schaffen. Zwischen 1990 und 2020 gingen weltweit 420 Millionen Hektar Wald verloren – eine Fläche größer als die EU. Der EU-Verbrauch machte nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) dabei rund 10 Prozent der Verluste aus.

Die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini sagte, Abholzung sei weltweit für elf Prozent der menschengemachten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dazu trage der Konsum in Europa maßgeblich bei. Neben Klimaschäden seien auch Menschenrechtsverletzungen gegen Indigene zu beklagen.

Umweltschützer zeigen sich zufrieden

Die Deutsche Umwelthilfe lobte das Abstimmungsergebnis als “wichtigen Schritt für den Wald- und Klimaschutz”. Die EU-Abgeordneten hätten mit ihrer Entscheidung Versuche abgewehrt, die Verordnung abzuschwächen – zur Diskussion standen die Aufweichung der Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit oder die Ausnahme von Waren wie Leder.

Ebenso sei die Aufnahme des Finanzsektors in die Verordnung als Erfolg zu verbuchen. “Das ist ein starkes Votum, damit Finanzakteure nicht weiter ungehindert Milliarden in Unternehmen investieren dürfen, die mit Entwaldung in Verbindung stehen”, schreibt die Umweltschutzorganisation.

Greenpeace erklärte nach der Abstimmung: “Niemand möchte, dass der eigene Wocheneinkauf mit massiver Abholzung, Brandrodung und der Verletzung von Menschenrechten in Verbindung steht.” Die heutige Abstimmung im EU-Parlament sei ein riesiger Schritt, um dies zu verhindern.

Einigung nötig

Damit die EU-Regeln in Kraft treten können, müssen sich die EU-Staaten und das Parlament noch auf einen Kompromiss einigen. Dieser Prozess dauert oft mehrere Monate. Die EU-Staaten hatten sich bereits im Juni auf ihre Position geeinigt.

Während die Staaten die neuen Regeln auf Waren wie Palmöl, Rindfleisch, Kaffee und Leder anwenden wollen, will das Parlament den Geltungsbereich deutlich ausweiten. Unter anderem soll das Gesetz demnach auch für Schweinefleisch, Geflügel, Mais, Kautschuk und Holzkohle gelten.

Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace begrüßten die geplante Ausweitung nach der heutigen Abstimmung. Greenpeace erklärte, Deutschland sei Hauptabnehmer von “Waldrisikoprodukten” wie Soja, Palmöl und Fleisch innerhalb der EU. “In diesem Trilog liegt es nun an den in Deutschland zuständigen Minister:innen Özdemir und Lemke, dem EU-Parlament zu folgen und sich für eine ehrgeizige finale Verordnung stark zu machen”, appellierte Greenpeace.

Uneinigkeit gibt es auch über den Stichtag, ab dem die Regeln (rückwirkend) gelten sollen. Das Parlament plädiert für den 31. Dezember 2019 – ein Jahr früher als im Kommissionsvorschlag vorgesehen. Nach In­kraft­tre­ten der Verordnung dürften keine der betroffenen Produkte mehr in der EU verkauft werden, wenn sie auf Flächen hergestellt wurden, die nach dem Stichtag entwaldet wurden. Entlang der gesamten Lieferkette müsste geprüft werden, ob Waldrodung stattgefunden hat.

Nach Willen des Parlaments sollen auch neue Auflagen für Finanzinstitute gelten; ihnen soll verboten werden, durch ihre Aktivitäten die Entwaldung zu fördern.

Das Gesetz sieht außerdem vor, dass die EU-Kommission innerhalb von sechs Monaten einzelne Länder und Landesteile in die Kategorien geringes, normales oder hohes Risiko für Waldzerstörung einordnet. Je nachdem würden dann mehr oder weniger Verpflichtungen für Produkte aus diesen Regionen gelten.

Schutz Indigener

Vor der Abstimmung hatte eine Gruppe indigener Menschen aus Südamerika beklagt, dass die Regeln nicht weit genug gingen. “Die Definition des Begriffs ‘Wald’ ist sehr reduziert und lässt einen großen der Teil der brasilianischen Biome außen vor”, hieß es in einer Mitteilung des Indigenen-Verbandes Apib.

Den brasilianischen Indigenen zufolge wären das Amazonasgebiet und der Atlantische Regenwald die einzigen Ökosysteme, die das Gesetz in der jetzigen Form vor der illegalen Abholzung schützt. Nur ein kleiner Teil etwa des Cerrado, der teilweise noch stärker als der Amazonas-Regenwald von Abholzung und Bränden bedroht ist, und des Pantanal, wo in den vergangenen Jahren großflächige Feuer wüteten, würden berücksichtigt.

Wenn die Produktion in bestimmten Ökosystemen besonders kontrolliert werde, befürchten die Aktivistinnen und Aktivisten eine Verlagerung der Umweltzerstörung und Gewalt gegen Indigene in andere Naturräume. “Die indigenen Völker, die über ganz Brasilien verteilt leben, leiden heute schon unter dem Druck der Rohstoffproduktion”, hieß es zudem in der Mitteilung. Konkret würde illegal in deren Gebiete eingedrungen, Bäume dort abgeholzt, Brände gelegt, Menschen bedroht und ermordet.

Die Umweltschutzorganisation WWF hatte indigene Völker erst kürzlich als die “Hüter des Waldes” im Kampf gegen Umweltschäden und Klimawandel bezeichnet. Denn nur 1,6 Prozent der Entwaldung in Brasilien zwischen 1985 und 2020 sind auf indigenes Land entfallen. Die Rechte und Interessen der Indigenen werden in Brasilien und anderen Ländern aber systematisch ignoriert und verletzt.

Amazonas vor dem Kollaps

Der WWF hatte angesichts der zunehmenden Waldvernichtung im brasilianischen Amazonasgebiet vor schweren Folgen für die indigenen Völker und das Weltklima gewarnt: Zwischen Januar und August dieses Jahres wurden laut des brasilianischen Instituts für Weltraumforschung (INPE) im Amazonas-Regenwald 5463 Quadratkilometer Wald zerstört. Allein im August registrierte das INPE dort 33.116 Feuer.

Rund 20 Prozent des ursprünglichen Amazonas-Regenwaldes sind heute bereits zerstört. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rechnen damit, dass ein Kipppunkt überschritten wird, wenn mehr als 25 Prozent des Amazonas-Regenwaldes vernichtet sind. Der Wald könnte sich dann auf einer Fläche so groß wie Frankreich, Spanien, Schweden, Deutschland und Finnland zusammen in eine Steppe verwandeln. Das hätte Auswirkungen auf den gesamten Planeten.

“Verlieren wir den Amazonas, verlieren wir einen der größten Kohlenstoffspeicher dieses Planeten”, warnte WWF-Südamerikareferent Roberto Maldonado. Der Amazonas stehe “näher am Kollaps als je zuvor”. (dpa / hcz)