Österreich nutzt Gesichtserkennung meist zur Aufklärung von Diebstählen

Überwachungskamera mit Stacheldraht im Hauseingang in Wien
Kritiker sehen Grundrechte durch die Gesichtserkennung bedroht. (Quelle: IMAGO / robertkalb photographien)

Die österreichische Polizei hat ihre Gesichtserkennung seit Beginn des Testbetriebs Ende 2019 in fast 1600 Fällen eingesetzt. Bis Ende Juni 2021 wurden damit rund 2200 Personen überprüft. Das geht aus einer Antwort des österreichischen Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der SPÖ-Abgeordneten Katharina Kucharowits hervor.

Die Polizei nutzt die Gesichtserkennung beim Verdacht auf “vorsätzlich gerichtlich strafbare Handlungen”, wenn Fotos von Tatverdächtigen vorliegen. Am häufigsten geschah das laut Innenministerium beim Verdacht auf Diebstahl: in 470 Fällen. Bei schwerem Diebstahl nur in 33 Fällen – dieser Straftatbestand liegt vor bei “einer Sache, deren Wert 5000 Euro übersteigt”.

251-mal – und damit am zweithäufigsten – wurde die Technik verwendet, um Personen zu identifizieren, die des Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen verdächtigt wurden. Auch bei Betrug (109 Fälle) und dem Diebstahl von Geldkarten (100 Fälle) zogen die Ermittler die Erkennungstechnik häufig heran. Außerdem wurde 86-mal wegen “Vorbereitung von Suchtgifthandel” nach Personen gesucht. 16-mal ging es um Mord; einmal um erpresserische Entführung.

Regelbetrieb seit einem Jahr

Der Testbetrieb der Gesichtserkennung hatte in Österreich im Dezember 2019 begonnen. Seit August 2020 setzt das österreichische Bundeskriminalamt (BK) die Technik im Regelbetrieb ein. Das Bundeskriminalamt unterstützt in Österreich als Zentralstelle aber auch die Landeskriminalämter und nachgeordneten Polizeidienststellen durch Assistenzdienste.

Die SPÖ-Abgeordnete Kucharowits kritisierte den Einsatz der Gesichtserkennung gegenüber der Tageszeitung Der Standard: “Selbst wenn der Innenminister dies ursprünglich nur bei schweren Straftaten anwenden wollte, zeigt die Anfragebeantwortung, dass sie vor allem bei weniger schweren Delikten weitreichend verwendet wird.”

Kucharowits wollte in ihrer Anfrage außerdem wissen, ob die Gesichtserkennung seit September 2020 bei Demonstrationen oder Kundgebungen genutzt wurde. Denn im September 2020 war bekannt geworden, dass die Polizei nach Demonstrationen in Wien auch mithilfe der Gesichtserkennung nach mutmaßlichen Straftätern gesucht hatte. Auf die Frage antwortete Bundesinnenminister Karl Nehammer (ÖVP) nur, es erfolge keine “Echtzeiterkennung” bei laufenden Demonstrationen.

Die Polizei in Österreich wertet Aufnahmen nachträglich mit einer Gesichtserkennungssoftware aus. Dazu verwendet sie beispielsweise Aufnahmen aus Überwachungskameras und gleicht diese mit ihrer Datenbank ab. Auch andere Quellen, wie beispielsweise Aufnahmen aus Mobiltelefonen, können genutzt werden. Auf Bilder aus den sozialen Netzwerken werde hingegen nicht zugegriffen, stellte der Innenminister in seiner Antwort klar.

Umstrittene Rechtsgrundlage

Als Rechtsgrundlage für die Gesichtserkennung beruft sich das Bundesinnenministerium auf Paragraf 75 des Sicherheitspolizeigesetzes und die Strafprozessordnung. Kucharowits sieht hingegen keine Rechtsgrundlage: “Diese ausufernde Nutzung von Gesichsterkennungssoftware entbehrt jeglicher Rechtsgrundlage und ist nicht zu rechtfertigen.”

Tatsächlich steht die Gesichtserkennung der österreichischen Polizei schon länger in der Kritik: Sowohl die Datenschutzorganisation Epicenter Works als auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatten in der Vergangenheit erklärt, es gebe keine explizite und ausreichende Regelung zum Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie.

Verbot gefordert

Amnesty International fordert ein Verbot von Gesichtserkennung zur Strafverfolgung in Österreich. Auch wenn dort keine Echtzeiterkennung verwendet werde, sei der nachträgliche Abgleich von Fotos mit Datenbanken “menschenrechtlich höchst problematisch”. Außerdem fürchtet die Organisation, dass der Einsatz ausgedehnt und in Zukunft ein Echtzeitabgleich stattfinden könnte.

Die Organisation kritisiert, die Technik bedrohe das Recht auf friedliche Proteste und freie Meinungsäußerung. Die Systeme seien zudem fehleranfällig, würden bestehende Ungleichheiten verstärken – und das Recht auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung verletzen. Untersuchungen hätten gezeigt, dass vor allem Nicht-Weiße, Frauen und Transpersonen häufig falsch erkannt werden.

Inwieweit das österreichische System marginalisierte Gruppen diskriminiert, ist unklar: Das Innenministerium hatte im November 2020 erklärt, von den Softwareherstellern keine Offenlegung der eingesetzten Algorithmen gefordert zu haben. Mit welchen Datensätzen die Software trainiert wurde, sei ebenfalls nicht bekannt, da diese “intellektuelles Eigentum” des Herstellers seien. Ob das System Personen abhängig von ihrem Aussehen besser oder schlechter erkennt, wurde laut Innenministerium auch nicht getestet.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, sagte im Mai: “Unsere Sicherheit ist ein hohes Gut, das der Staat schützen muss. Der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie macht die Menschen in Österreich jedoch nicht viel sicherer, aber sehr viel unfreier. Für Erleichterungen in der polizeilichen Ermittlungsarbeit zahlen wir alle einen zu hohen Preis. Gesichtserkennung bedroht unsere Rechte in einem Maß, das ihr Nutzen nicht aufwiegen kann.”

Amnesty International fordert auch ein weltweites Verbot: Gesichtserkennungstechnologie zu Identifizierungszwecken solle weder eingesetzt, entwickelt, produziert noch verkauft und exportiert werden dürfen. (js)