Abhörskandal in Griechenland weitet sich aus
Der Abhörskandal in Griechenland weitet sich aus: Einem Medienbericht zufolge wurden mehr Politiker und Medienschaffende überwacht, als bisher bekannt. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis weist Vorwürfe weiterhin zurück, er habe die Überwachung angeordnet. Nun will die Regierung den Verkauf von Spähsoftware verbieten.
Die linksgerichtete Wochenzeitung Documento hatte am Wochenende eine Liste von 33 Personen des öffentlichen Lebens in Griechenland publiziert, deren Mobiltelefone mit der Spähsoftware Predator angegriffen worden sein sollen. Laut Bericht soll der griechische Geheimdienst EYP die Software einsetzen, er ist direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt. Documento beruft sich auf zwei nicht namentlich genannte Quellen, die “eine Schlüsselrolle bei der Überwachung” gespielt haben sollen.
Unter anderem sei der frühere Ministerpräsident Andonis Samaras mit der Spähsoftware angegriffen worden. Auch der amtierende griechische Außenminister Nikos Dendias soll unter den potenziellen Opfern sein. Ebenso Mitglieder der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia (ND), die als potenzielle Rivalen für Ministerpräsident und Parteichef Mitsotakis betrachtet würden. Auch der frühere EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos soll betroffen sein. Laut Documento hatten die Betroffenen Links erhalten, die bei einem Klick die Überwachungssoftware auf ihrem Telefon installiert hätten. Ob die Predator-Spähsoftware ihre Smartphones tatsächlich infiltriert hat, bleibt indes unklar. Auch Medienschaffende und Unternehmer sollen entsprechende Links erhalten haben.
Griechenlands Ministerpräsident Mitsotakis wies am Montag Vorwürfe, er habe die Überwachungen angeordnet, in einem Fernsehinterview als “unglaubliche Lüge” zurück. Es gebe nicht den “geringsten Beweis” für die von Documento erhobenen Vorwürfe. Der Ministerpräsident beschuldigte den Vorsitzenden der linken Oppositionspartei Syriza, Ex-Ministerpräsident Alexis Tsipras, hinter dem Artikel zu stecken. Außerdem erklärte Mitsotakis, die Spähsoftware könnte von Privatpersonen eingesetzt worden sein.
Verkauf von Spähsoftware soll verboten werden
Bereits zuvor hatte am Montag ein Regierungssprecher erklärt, die Regierung habe weder Spähsoftware eingesetzt noch gekauft. Der Oberste Gerichtshof in Athen hat bereits eine Untersuchung der Vorwürfe angeordnet.
Unterdessen kündigte die griechische Regierung an, den Verkauf von Überwachungssoftware künftig zu verbieten. Ein Regierungssprecher sagte, dem Parlament werde bald ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt. Details zu dem Vorhaben nannte er allerdings noch nicht.
Bereits im Sommer waren erste Details des Abhörskandals bekannt geworden: Im August hatte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei PASOK und EU-Parlamentsabgeordnete Nikos Androulakis Strafanzeige erstattet, weil sein Mobiltelefon mit Predator angegriffen wurde. Im September 2021 hatte er einen verdächtigen Link zugesendet bekommen, der Predator auf seinem Telefon installiert hätte. Das hatten Sicherheitsexperten des EU-Parlaments bestätigt – Androulakis hatte den Link jedoch nicht geöffnet.
Die Regierung räumte anschließend ein, dass die Telefongespräche von Androulakis im Jahr 2021 aus “Gründen der nationalen Sicherheit” abgehört wurden – zu einer Zeit, als er für den Parteivorsitz der PASOK-Partei kandidiert hatte. Die Spähsoftware Predator sei aber nicht zum Einsatz gekommen. In der Folge war Geheimdienstchef Panagiotis Kontoleo zurückgetreten. Schon damals hatte Ministerpräsident Mitsotakis bestritten, von der Spionage gewusst oder diese angeordnet zu haben.
Im September hatte außerdem der ehemalige Transportminister Christos Spirtzis Strafanzeige erstattet, weil auch er im November 2021 mit Predator angegriffen worden sein soll.
Bereits im April hatten Sicherheitsforscher Predator außerdem auf dem Telefon des griechischen Journalisten Thanasis Koukakis nachgewiesen.
Untersuchung im griechischen Parlament
Die Spionagesoftware wurde im vergangenen Jahr von Sicherheitsforschern des Citizen Lab an der Universität Toronto entdeckt. Predator kann ein Smartphone komplett übernehmen und die darauf gespeicherten Informationen auslesen. Angreifer können auch die Kamera und das Mikrofon unbemerkt anschalten. Die Sicherheitsforscher hatten schon damals berichtet, dass Griechenland die Software wahrscheinlich einsetze.
Das griechische Parlament hatte zwar eine Untersuchung eingeleitet. Doch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisierte am Montag, die Regierungspartei habe die Aussage von wichtigen Zeugen, wie dem Geheimdienstchef oder dem Ministerpräsidenten, blockiert. Außerdem seien alle Sitzungen des Untersuchungsausschusses hinter verschlossenen Türen abgehalten worden. HRW forderte mehr Transparenz. Zudem müsse mit dem Pegasus-Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments zusammengearbeitet werden.
Der im Frühjahr eingerichtete Ausschuss prüft, ob Spähsoftware in der EU beispielsweise illegal gegen Journalisten und Politiker eingesetzt wurde. Erst in der vergangenen Woche hatten Ausschussmitglieder Griechenland und Zypern besucht. Die Berichterstatterin Sophie in ’t Veld sagte anschließend: “Nach einem fast viertägigen Aufenthalt in Zypern und Griechenland verlassen wir das Land vielleicht mit mehr Fragen, als wir bei unserer Ankunft hatten. Wir haben besorgniserregende Berichte darüber gehört, dass sich Journalisten unsicher fühlen, wenn sie über wichtige Themen schreiben, dass die angeblich unabhängige Datenschutzbehörde unter Druck gesetzt wird und dass die nationale Sicherheit als pauschale Rechtfertigung für den Missbrauch von Spionageprogrammen und die Überwachung benutzt wird.”
Am heutigen Donnerstag hat der Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments zudem einen ersten Entwurf seines Abschlussberichts vorgestellt, der nun im Ausschuss zur Debatte steht. Bei der Pressekonferenz sagte in ’t Veld, in Griechenland gebe es Anzeichen, dass Spähsoftware systematisch und in großem Umfang als Teil einer politischen Strategie verwendet werde.
Die niederländische Europaabgeordnete fordert ein Moratorium für den Verkauf, die Weitergabe und den Einsatz von Spionagesoftware in der EU. Auch Menschenrechtsorganisationen fordern ein weltweites Moratorium für den Einsatz und den Verkauf von Überwachungssoftware.
Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, hatte ein solches Moratorium vor dem EU-Untersuchungsausschuss erst kürzlich als “Minimum” bezeichnet. Kaye erklärte, er habe ernsthafte Zweifel, dass Überwachungstechnologien mit den Fähigkeiten von Pegasus jemals den Anforderungen der internationalen Menschenrechtsabkommen genügen können – ihr Einsatz sollte daher als rechtswidrig angesehen werden. Auch der EU-Datenschutzbeauftragte hat sich Mitte Februar für ein Verbot von Spionagesoftware mit den Fähigkeiten von Pegasus in der EU ausgesprochen. (dpa / js)