Ehemaliger UN-Sonderberichterstatter fordert Verbot von Spähsoftware
Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter David Kaye fordert ein Verbot von Spähsoftware. Vor dem Pegasus-Untersuchungsausschuss im EU-Parlament erklärte Kaye, er habe ernsthafte Zweifel, dass diese Technologien jemals den Anforderungen von internationalen Menschenrechtsabkommen genügen können.
Kaye war von 2014 bis 2020 UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit und hat sich bereits in dieser Funktion mit Spähsoftware beschäftigt. In der vergangenen Woche wurde er im Pegasus-Untersuchungsausschuss des Europaparlaments als Experte gehört.
Dort mahnte er, Überwachungstechnologien wie Pegasus ermöglichten Angreifern, das gesamte digitale Leben von Personen auszuspionieren. Dazu könne die Kommunikation der Opfer ebenso zählen wie ihre Kontakte, Standortdaten und Browsing-Gewohnheiten. Spähsoftware unterscheide nicht zwischen legitimen und illegitimen Überwachungszielen.
Bedrohung für die Grundrechte
Der Einsatz von Spähsoftware birgt Kaye zufolge große Risiken für die Grundrechte – es brauche daher dringende weltweite Maßnahmen. Menschen würden aufgrund der Überwachung an der Vertraulichkeit ihrer Kommunikation zweifeln und könnten sich daher aus privaten Debatten und dem öffentlichen Diskurs zurückziehen. In demokratischen Gesellschaften sei dies insbesondere fatal, wenn es sich um Medienschaffende, Menschenrechtler oder Politiker handelt.
Betroffen seien darüber hinaus auch Menschen, mit denen Spionageziele in Kontakt stehen, etwa journalistische Quellen. Kaye warnte auch, es entstehe ein sogenannter Chilling-Effekt: Personen könnten auch Selbstzensur üben, wenn sie nicht wissen, ob sie selbst überwacht werden – beispielsweise weil sie einer Gruppe wie Menschenrechtsaktivisten angehören, die von bestimmten Regierungen ausspioniert wird.
Was ist Pegasus?
Pegasus ist eine Spionagesoftware der israelischen Firma NSO Group. Die Spähsoftware kann ein infiltriertes Gerät komplett übernehmen und beispielsweise die Kamera und das Mikrofon unbemerkt anschalten – oder sämtliche Daten kopieren. Auch Standortdaten lassen sich abrufen und Passwörter auslesen. Das Überwachungsprogramm steht seit Jahren im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in der Kritik.
Darüber hinaus greife Spionagesoftware nicht nur in die Rechte auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit ein, sondern könne etwa auch das Recht auf Versammlungsfreiheit verletzen. Ihr Einsatz könne auch zu schweren Verletzungen etwa des Folterverbots oder dem Recht auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren führen.
Aufgrund der schweren Bedrohung der Grundrechte durch Spähsoftware müssten Staaten ausdrücklich nachweisen, das ein solcher Eingriff gerechtfertigt ist. Regierungen und die Anbieter von Überwachungssoftware würden in der Regel mit der Bedrohung der nationalen Sicherheit und dem Vorgehen gegen Terrorismus argumentieren. Kaye kritisierte, Staaten und Anbieter von Überwachungssoftware würden sich hinter Staatsgeheimnissen, vertraglichen Vereinbarungen “und anderen Ausreden” verstecken, anstatt zu beweisen, warum der Einsatz von Spähsoftware erforderlich ist. Weil keine Beweise vorgelegt werden, müsse davon ausgegangen werden, dass Spähsoftware gegen “mehrere wichtige Grundsätze der internationalen Menschenrechtsnormen verstößt”. Um beispielsweise das Recht auf Privatsphäre einzuschränken, reiche ein allgemeiner Verweis auf die nationale Sicherheit nicht aus. Durch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte seien darüber hinaus auch die Anbieter von Spionagesoftware verpflichtet, Menschenrechtsverletzungen durch ihre Aktivitäten zu verhindern oder abzumildern.
Moratorium als “Minimum”
Kaye erklärte, er habe ernsthafte Zweifel, dass Überwachungstechnologien mit den Fähigkeiten von Pegasus jemals den Anforderungen der internationalen Menschenrechtsabkommen genügen können – ihr Einsatz sollte daher als rechtswidrig angesehen werden. Daher fordere er den Ausschuss auf, ein Verbot für die Verwendung und den Export solcher Überwachungstechnologien in Erwägung zu ziehen.
Mindestens aber müsse es ein weltweites Moratorium für die Entwicklung, die Vermarktung, den Verkauf, die Weitergabe und den Einsatz solcher Spähsoftware geben. Dieses müsse gelten, bis etwa internationale Exportkontrollen und Aufsicht über den Trojanereinsatz sichergestellt sind.
Ein solches Moratorium hatte Kaye bereits im Jahr 2019 in seiner Rolle als UN-Sonderberichterstatter gefordert. Er hatte damals gewarnt, die Überwachung einzelner Personen führe zu willkürlichen Verhaftungen, Folter und möglicherweise auch zu Tötungen.
Im vergangenen Jahr hatten mehrere UN-Menschenrechtsexpertinnen und ‐experten, darunter auch Kayes Nachfolgerin Irene Khan, ebenfalls ein solches Moratorium gefordert. Sie warnten vor einer Gefahr für die Demokratie und bezeichneten Überwachungstechnologien als “lebensbedrohlich”.
Auch Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und Amnesty International fordern seit längerem ein Moratorium. Am vergangenen Freitag hat die Menschenrechtsorganisation eine Petition an die Vollversammlung der Vereinten Nationen übergeben, in der sie die Staatengemeinschaft zu einem weltweiten Moratorium für den Einsatz und Handel mit Überwachungstechnologien aufruft.
Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, erklärte dazu: “Es braucht endlich verbindliche, menschenrechtliche Schutzmechanismen für den Export und Einsatz von Überwachungstechnologie. UN-Mitgliedstaaten dürfen Spionagesoftware nicht mehr länger als Werkzeug der Unterdrückung einsetzen oder hinnehmen. Bis es so weit ist, braucht es ein sofortiges globales Moratorium für den Export von Spyware.”
Europäischer Datenschutzbeauftragter fordert ebenfalls Verbot
Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte, Wojciech Wiewiórowski, hat sich Mitte Februar für ein Verbot von Spionagesoftware mit den Fähigkeiten von Pegasus in der EU ausgesprochen. Solche Programme gefährdeten die Grundrechte und -freiheiten der Menschen, aber auch die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ihre Verwendung sei daher mit den demokratischen Werten der EU unvereinbar.
Der Pegasus-Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments wurde im Frühjahr eingerichtet, um zu prüfen, ob EU-Mitgliedsstaaten mit dem Einsatz von Spähsoftware gegen Unionsrecht verstoßen haben – beispielsweise gegen die europäische Grundrechtecharta oder den Datenschutz.
Auslöser für die Einrichtung waren Berichte, wonach auch EU-Regierungen illegal Spähsoftware eingesetzt haben: So wurden in Ungarn beispielsweise Journalisten ausgespäht und in Polen Oppositionelle. Auch in Spanien wurden Politiker überwacht. Zuletzt war bekannt geworden, dass auch in Griechenland ein Journalist mit Spähsoftware überwacht und das Mobiltelefon eines Oppositionspolitikers angegriffen wurde.
Die Mitglieder des Ausschusses besuchen auch die betroffenen Länder, um dort mit Politikern und Betroffenen zu sprechen. Die Arbeit gestaltet sich teilweise aber schwierig: So hatten Vertreter des polnischen Innen- sowie des Justizministeriums im September etwa ein Treffen mit den Ausschussmitgliedern abgelehnt. (js)