Afghanistan: Taliban misshandeln Demonstrantinnen

Afghanische Flagge
NGOs sprechen von einer “Menschenrechtskrise” in Afghanistan. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Afghanische Frauen haben gegenüber der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) von Folter und anderen schweren Misshandlungen in Haft berichtet. Vor ihrer Festnahme hatten sie gegen Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban demonstriert.

Wie Human Rights Watch berichtet, hatten die Taliban die drei betroffenen Frauen im Februar bei einer Razzia in einer Schutzunterkunft in Kabul verhaftet und gemeinsam mit ihren Familien mehrere Wochen lang festgehalten. Die Organisation kritisiert, es habe sich offenbar um Vergeltung gehandelt, weil die Frauen Proteste für Frauenrechte mit vorbereitet und an ihnen teilgenommen hatten. Nach ihrer Freilassung konnten sie aus dem Land fliehen.

Die Frauen wurden nach Angaben von HRW zunächst mit 21 weiteren Frauen und sieben Kindern in einem engen und überhitzten Raum festgehalten. Dort habe es kaum Nahrung, kein Wasser und keine Toiletten gegeben.

Insgesamt seien sie mehrere Wochen lang inhaftiert gewesen. Die Betroffenen sagten HRW, dass sie Drohungen und Schlägen ausgesetzt waren. Mit ihnen eingesperrte männliche Verwandte seien angegriffen und mit Elektroschocks misshandelt worden. Die Taliban hätten den Frauen auch den Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert.

HRW wertet das Vorgehen der Taliban als Versuch, die afghanische Protestbewegung zum Schweigen zu bringen.

Erzwungene Geständnisse

Heather Barr, stellvertretende Direktorin für Frauenrechte bei HRW, kommentierte: “Die unglaubliche Tapferkeit dieser und anderer afghanischer Frauen, die gegen die Übergriffe der Taliban protestieren, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Die Geschichten dieser Frauen zeigen, wie sehr sich die Taliban durch ihre Aktivitäten bedroht fühlen und wie brutal die Taliban versuchen, diese Menschen zum Schweigen zu bringen.”

Die Organisation berichtet zudem von erzwungenen Geständnissen: Die Familien hätten für die Freilassung Originalurkunden für ihr Eigentum aushändigen müssen. Die Taliban hätten damit gedroht, das Eigentum zu konfiszieren, sollten die Frauen erneut auffällig werden.

Die radikalislamistischen Taliban hatten Mitte August 2021 die Kontrolle über Afghanistan übernommen. HRW kritisiert, sie hätten sofort begonnen, die Rechte von Frauen und Mädchen abzubauen. Obwohl sie großen Gefahren ausgesetzt sind, protestieren Frauen seit der ersten Woche der Machtübernahme für ihre Rechte. Von Beginn an gingen die Islamisten brutal gegen die Proteste vor: So wurden Demonstrierende verprügelt und Medienschaffende verhaftet.

Willkürliche Festnahmen

Bereits im September 2021 hatte das neu besetzte Innenministerium außerdem nicht offiziell genehmigte Proteste untersagt. Dieses Verbot wird mit Gewalt durchgesetzt. HRW berichtet, dass Taliban-Mitglieder beispielsweise am 16. Januar in Kabul besonders brutal vorgingen, als sie Demonstrierende mit Pfefferspray und Elektroschockern bedrohten, einschüchterten und körperlich angriffen. Tage später hätten Razzien begonnen, um demonstrierende Frauen willkürlich festzunehmen. Eine der ersten willkürlich verhafteten Demonstrantinnen war Tamana Paryani. Als die Taliban in ihre Wohnung eindrangen, hatte sie ein Video in den sozialen Netzwerken geteilt. Die von HRW befragten Frauen gaben an, dieses Video habe viele Frauen veranlasst, sich zu verstecken. Eine der Frauen sagte: “Wir hatten solche Angst. Wir wussten, dass man uns verhaften würde.”

Erst am vergangenen Wochenende hatten Frauen Medienberichten zufolge im Norden Afghanistans vor einer Universität demonstriert. In Kabul protestierten Frauen am Montag gegen ihr Arbeitsverbot. Beide Proteste wurden von den Taliban aufgelöst.

Amnesty International zufolge herrscht ein Jahr nach der Machtübernahme in Afghanistan eine “Menschenrechtskrise”. Besonders Frauen und Mädchen leiden: So würden Frauen etwa davon abgehalten zu arbeiten – und Mädchen im Sekundarschulalter wird der Zugang zu Bildung verweigert. Amnesty International kritisiert, Frauen und Mädchen würden in fast allen Lebensbereichen systematisch diskriminiert.

Heather Barr von HRW sagte: “Afghanische Frauen und Mädchen haben einige der härtesten Folgen der Taliban-Herrschaft zu spüren bekommen, und sie haben den schwierigen Kampf um den Schutz der Rechte in Afghanistan angeführt.”

Human Rights Watch fordert die Taliban auf, alle Personen unverzüglich freizulassen, die inhaftiert wurden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und friedlichen Protest wahrgenommen haben. Die Taliban sollten diese Rechte respektieren und willkürliche Verhaftungen beenden. Fälle von Folter und anderen Misshandlungen sollten unparteiisch untersucht und die Verantwortlichen strafrechtlich verfolgt werden.

Die Menschenrechtsorganisation appelliert auch an die internationale Gemeinschaft: Regierungen, die mit den Taliban verhandeln, sollten auf die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen drängen.

Ende September hatte auch die UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) ihre Forderung erneuert, die Grundrechte und -freiheiten von Frauen und Mädchen nicht länger einzuschränken. (js)