Afghanistan: Taliban verhaften Journalisten

Taliban-Kämpfer in Herat
Die Taliban wollten die afghanische Medienlandschaft “ausradieren”, kritisiert RSF. (Quelle: IMAGO / Xinhua)

Die Taliban gehen in Afghanistan weiter gegen Medienschaffende vor: Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) berichtet von willkürlichen Festnahmen und stundenlangen Verhören. Sie fordert die neuen Machthaber auf, ihre Versprechen einzuhalten und Journalisten zu schützen.

Die Organisation gab am Dienstag bekannt, zwischen dem 28. März und dem 29. Mai seien insgesamt zwölf Medienschaffende verhaftet worden.

Vier von ihnen befinden sich weiter in Haft: So wurde der Radio-Journalist Khalid Qaderi Anfang Mai von einem Militärgericht in der Stadt Herat zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er soll angeblich regierungsfeindliche Propaganda verbreitet und “Spionage” für ausländische Medien betrieben haben. Nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) wurde Qaderi der Zugang zu einem Anwalt verwehrt. Außerdem musste er unterschreiben, dass er keine Berufung gegen das Urteil einlegen wird.

Der Leiter des Radiosenders Sedai Aftab, Mirza Hassani, befindet sich seit Ende Mai wegen angeblicher Kollaboration mit der Widerstandsfront in Haft. Auch der Radio-Journalist Jamaluddin Deldar sitzt seit Ende Mai im Gefängnis. Laut RSF wurde er in Zusammenhang mit den politischen Ansichten seines Vaters verhaftet. Bereits Anfang Mai sei außerdem Khan Mohammad Sayal vom Sender Payvasouton TV wegen einer angeblichen “Privatangelegenheit” festgenommen worden.

Stundenlange Verhöre

Die Organisation berichtet von weiteren Fällen: Am 28. Mai wurden in der nördlichen Provinz Faryab drei Medienschaffende verhaftet. Der örtliche Direktor des Ministeriums für Information und Kultur hatte sie angezeigt, nachdem sie über seine korrupten Praktiken berichtet hatten. Die drei Betroffenen wurden sieben Stunden lang festgehalten, bevor sie bis zur Verhandlung auf Kaution freigelassen wurden.

Ein Journalist der Nachrichtenagentur Asvaka sei am 13. Mai vom afghanischen Geheimdienst festgenommen worden, nachdem er über einen Bombenanschlag in einer Moschee in Kabul berichtet hatte. Die Behörden hatten ihn zwei Tage lang festgehalten. Ein weiterer vom Geheimdienst verhafteter Journalist sei erst nach fünf Tagen freigekommen. Am selben Tag seien auch ein Reporter des Senders Salam Watandar und ein Fotograf der New York Times verhaftet worden, die über einen Protest von Frauen in Kabul berichtet hatten. Erst nach einem siebenstündigen Verhör kamen sie wieder auf freien Fuß.

Am Montag hatte die Organisation auf Twitter zudem von einem vermissten afghanischen Journalisten berichtet – auch er sei vermutlich festgenommen worden.

Kommission soll eigentlich Beschwerden gegen Journalisten prüfen

Reporter ohne Grenzen verurteilt diese “willkürlichen Verhaftungen”. Die Taliban müssten Medienschaffende schützen und das noch unter der demokratischen Regierung verabschiedete Pressegesetz achten. Es sehe die Einrichtung einer Kommission zur Überprüfung von Medienverstößen vor – die aber bisher nicht existiert. Sie soll Beschwerden gegen Journalistinnen und Journalisten prüfen. Nur wenn die Kommission einwilligt, könnten Beschwerden an Gerichte weitergeleitet werden. Afghanische Medienschaffende hätten die Einrichtung der gesetzlich zugesicherten Kommission wiederholt gefordert. Sie erhoffen sich einen besseren Schutz von ihr – vorausgesetzt, sie können unabhängig arbeiten und das Pressegesetz würde ordnungsgemäß umgesetzt.

RSF-Geschäftsführer Christian Mihr kritisierte: “Die Taliban wollen die durchaus vielfältige Medienlandschaft, die in Afghanistan der vergangenen 20 Jahre entstanden ist, ausradieren.”

Erst im Mai hätten lokale Verbände in Afghanistan bei einer Veranstaltung zur Pressefreiheit auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, mit denen Redaktionen konfrontiert sind. Sie verwiesen insbesondere auf den fehlenden Zugang zu Informationen und die fehlende Meinungsfreiheit. Auch auf wirtschaftliche Probleme afghanischer Medienunternehmen machten sie aufmerksam und kritisierten das aggressive Verhalten der Sicherheitskräfte gegenüber Medienvertretern. Organisiert wurde die Veranstaltung von der neuen afghanischen Journalisten- und Medienvereinigung und dem Informations- und Kulturministerium.

Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 schweben Journalisten in Afghanistan laut RSF in akuter Lebensgefahr. Insbesondere Frauen sind bedroht. Viele Medien haben inzwischen ihre Arbeit eingestellt. Die weiter arbeitenden Medien würden von den Kämpfern vorgegebene Inhalte verbreiten.

RSF-Geschäftsführer Mihr kommentierte: “Auch heute noch, zehn Monate nach dem Fall von Kabul, reißen die Hilferufe der Journalistinnen und Reporter nicht ab.” Umso wichtiger sei es, “dass das Aufnahmeprogramm der deutschen Bundesregierung endlich sinnvoll umgesetzt wird”.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von RSF steht Afghanistan auf Rang 156 von 180 Staaten. Vor der Machtübernahme belegte das Land noch Platz 122. (js)