Bericht: China erhöht Druck auf Auslandskorrespondenten
Mit zahlreichen repressiven Mitteln versucht Chinas Führung kritische Berichterstattung aus dem eigenen Land zu verhindern. Auch Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten, die im Auftrag nicht-chinesischer Medien dort arbeiten, bekommen den Druck zu spüren, den die Staatsmacht auf Pressevertreterinnen und -vertreter ausübt. Das geht aus einem Bericht des Clubs der Auslandskorrespondenten in China (FCCC) hervor. Beschrieben werden unter anderem Schikanen bei der Visavergabe, Überwachung und sogar physische Angriffe.
Der Bericht “Zero Covid, Many Controls” basiert auf einer Umfrage, die der FCCC unter seinen Mitgliedern jährlich durchführt. Teilgenommen haben 102 Journalistinnen und Journalisten aus 30 Ländern, die in China arbeiten. Alle Teilnehmer gaben an, dass China die internationalen Standards für Pressefreiheit und Berichterstattung 2022 nicht erfüllt hat.
31 Prozent der Befragten haben Reisen oder Interviews aufgrund von behördlichem Druck abgesagt. 50 Prozent gaben an, dass sie bei Interviews von den Behörden gestört wurden. 14 Prozent gaben an, Opfer von Misshandlungen oder physischer Gewalt geworden zu sein – 2021 lag diese Quote noch bei 12 Prozent. 18 Prozent wurden mindestens einmal während der Berichtserstattung festgenommen.
Am häufigsten werde jedoch die Verweigerung oder Verzögerung neuer Pressevisa als Repressalie eingesetzt: 56 Prozent der befragten Medien, die eine solche Arbeitserlaubnis vergangenes Jahr beantragt haben, hätten diese noch nicht erhalten.
Während der Pandemie hatten zahlreiche ausländische Korrespondenten China verlassen. Nun hatten viele Redaktionen dem Bericht zufolge darauf gehofft, personell wieder aufstocken zu können und die Berichterstattung wieder auszubauen. Doch trotz der Grenzöffnungen warteten viele Redaktionen vergeblich auf Einreisegenehmigungen und Arbeitsakkreditierungen für ihre Mitarbeiter.
Ausgewählte europäische, japanische und koreanische Medien konnten zwar neue Reporter ins Land bringen. Doch sehen sie ihre Visa als jederzeit gefährdet an. 60 Prozent der befragten Pressevertreter, die kein Visum erhalten haben, hatten als Begründung für die Verzögerungen “geopolitische Spannungen” genannt bekommen.
Adrienne Carter, Asien-Redakteurin bei der New York Times berichtete, dass sich der Zugang zu Visa für US-amerikanische Korrespondenten leicht verbessert hätte. “Doch die Zahl der amerikanischen Korrespondenten in Peking und Schanghai bleibt ein winziger Bruchteil der Anzahl der Korrespondenten für chinesische Nachrichtenorganisationen in Washington und New York”, so Carter.
Auch Journalisten, die ein Visum besitzen, können nicht immer problemlos aus- und einreisen: 24 Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Ausreise an Flughäfen oder Grenzübergängen verzögert worden sei oder sie bedrängt wurden. Jeder Zehnte erlebte dies bei der Einreise. Einige Betroffene berichteten dem FCCC, bis zu einer Stunde lang festgehalten worden zu sein, bevor sie das Land verlassen durften. Andere wurden bis zu zwei Stunden lang zu ihrer Arbeit und ihrer Berichterstattung befragt.
Überwachung und Übergriffe
Auch Überwachung seitens der Behörden gehört der Umfrage nach zum Alltag der Korrespondenten. 56 Prozent der Befragten gaben an, 2022 mindestens einmal von der Polizei oder anderen Beamten bei ihrer Arbeit behindert worden zu sein. Häufig fanden diese Vorfälle während Recherchereisen außerhalb der Großstädte statt.
“Auf einer kürzlich stattgefundenen Reportagereise verfolgten mich die Sicherheitsdienste, wohin ich auch ging. Das Sicherheitspersonal war in der Lobby meines Hotels postiert. Mindestens ein, manchmal zwei große Autos folgten mir durch die Stadt. Wann immer ich aus einem Taxi ausstieg, stiegen Beamte in Zivil aus und folgten mir dicht auf den Fersen”, schilderte die Reporterin eines westlichen Mediums gegenüber dem FCCC. An einem Bahnhof hätten mehrere Beamte in Zivil und Uniform Fotos oder Videos von der Reporterin aufgenommen.
Stephen McDonell, Reporter der BBC in Peking berichtete, dass die Redakteure fast jedes Mal “von Wagenladungen voller Beamten” verfolgt werden, wenn sie sich außerhalb Pekings bewegen. “Sie schikanieren nicht nur Journalisten, sondern schüchtern auch diejenigen ein, die wir zu interviewen versuchen.”
Es passiere immer wieder, dass Interviewpartner oder Quellen plötzlich den Korrespondenten absagen oder Quellmaterial doch nicht liefern wollen. Zumindest in einigen Fällen hätte dies mit Sicherheit auf Bedrohungen seitens der Behörden zurückgeführt werden können, so der Bericht.
Keine freien Spiele
Schikanen und Einschüchterungen seien gehäuft im Zusammenhang mit sensiblen politischen Ereignissen oder Veranstaltungen aufgetreten – wie etwa dem KP-Parteitag oder den zweimal jährlich stattfindenden Gesetzgebungssitzungen. Doch auch während den Olympischen Spielen im Februar 2022 setzten die Behörden repressive Maßnahmen ein.
Journalisten, die versuchten, von außerhalb der olympischen Austragungsorte zu berichten, seien von Sicherheits- und Propagandabeamten verfolgt und teils bedrängt worden. Reporter, die die Vorfälle öffentlich machten, wurden von Beamten aufgefordert, diese im Nachhinein als “große Missverständnisse” darzustellen.
“Live-Aufnahmen von den Straßen – selbst Kilometer weit entfernt von Stadien und Veranstaltungsorten – wurden gestört. Wir konnten zwar arbeiten aber nicht so frei und offen, wie man es bei einem internationalen Sportereignis solchen Ausmaßes erwarten würde”, erklärte ein europäischer Reporter.
Athleten, Trainer und sonstige an den Spielen beteiligte chinesische Staatsbürger seien systematisch von den ausländischen Medien abgeschirmt worden. Korrespondenten berichteten dem FCCC, dass Einzelinterviews grundsätzlich abgelehnt wurden. Nur staatlich organisierte Gruppeninterviews und Presseveranstaltungen fanden statt. Welche Journalisten eine Akkreditierung für sie erhielten und nach welchen Kriterien entschieden wurde, sei nicht nachvollziehbar gewesen.
Abgeschirmter Parteikongress
Unter ähnlich schwierigen Bedingungen mussten Korrespondenten arbeiten, die vom 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas Mitte Oktober berichten wollten. Mehr als einen Live-Videostream hätten die meisten Reporter nicht zu sehen bekommen: 36 Prozent der Befragten, die über den Parteitag berichteten, wurden zu keiner der Veranstaltungen zugelassen, für die sie sich beworben hatten.
Wer Zugangserlaubnis zu Veranstaltungen wie der Eröffnungs- oder Abschlusssitzung erhalten hatte, sei oftmals durch zusätzliche Covid-Kontrollen oder kurzfristig eingeforderte Tests letztendlich von dem Besuch abgehalten worden. Die meisten Pressekonferenzen seien inszeniert gewesen: Chinesische Beamte hätten dort nur handverlesenen Medien zuvor eingereichte Fragen beantwortet. Ausländische Korrespondenten seien kaum zugelassen worden.
“Das Umfeld für die Berichterstattung in Peking und anderen Teilen des Landes wurde im vergangenen Jahr durch zwei Gegebenheiten besonders schwierig. Zum einen vor dem Parteitag und zum anderen vor und nach der Änderung der Null-Covid-Politik”, sagte der Büroleiter einer japanischen Redaktion. “Während dieser Zeit wurden einige unserer Fernseh- und Zeitungs-Fotojournalisten von Personen, die wie Beamte der öffentlichen Sicherheit in Zivil aussahen, angehalten und grob behandelt, während sie Aufnahmen auf der Straße oder in Beerdigungshallen machten.”
Grundsätzliche Probleme mit der Pressefreiheit
Dem Bericht zufolge ist die Zahl der Belästigungen und Einschränkungen bei der Berichterstattung in China 2022 im Vergleich zu 2021 zwar leicht zurückgegangen. Doch sei das nicht als Zeichen zu interpretieren, dass die Regierung mehr Freiheit zulässt. “Dieser Rückgang ist wahrscheinlich ausschließlich darauf zurückzuführen, dass im vergangenen Jahr aufgrund der Covid-Beschränkungen fast keine Reisen und fast keine Berichterstattung mehr stattfanden”, konstatiert der FCCC. Auch sei dieser Rückgang überhaupt nicht bei politisch sensiblen Veranstaltungen zu beobachten gewesen.
“Der FCCC blickt mit vorsichtigem Optimismus auf das neue Jahr, in dem China eine neue Phase der Covid-Kontrolle einleitet und seine Grenzen wieder öffnet”, schreibt der FCCC. “Wir sind jedoch nicht allzu zuversichtlich, dass die grundlegenden Probleme gelöst werden, die es schwierig machen, über China zu berichten.”
China hat den FCCC 2021 zu einer illegalen Organisation erklärt.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht China auf Platz 175 von 180 Staaten. Die nationalen Medien unterliegen strikter Zensur und erhalten tägliche Anweisungen von zentralen Behörden. Mehr als 100 Journalistinnen und Journalisten sitzen in dem Land wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Menschenrechtsverletzungen und politische Proteste sind Tabuthemen. (hcz)