Fast 500 Journalisten weltweit im Gefängnis

Journalist in Weste mit Press-Aufnäher
Allein die Länder China, Myanmar, Belarus, Vietnam und Saudi-Arabien sind für 59 Prozent der eingesperrten Medienschaffenden verantwortlich. (Quelle: IMAGO / NurPhoto)

Weltweit waren in diesem Jahr so viele Medienschaffende inhaftiert wie nie zuvor. Das geht aus der neuen Jahresbilanz der Pressefreiheit hervor, die Reporter ohne Grenzen (RSF) am heutigen Donnerstag veröffentlicht hat. Gegenüber dem Vorjahr ist die Anzahl um 20 Prozent gestiegen.

Insgesamt saßen 488 Medienschaffende im Gefängnis, vor allem in China, Myanmar und Belarus. In Myanmar befinden sich 53 Journalistinnen und Journalisten in Haft – vor einem Jahr waren es noch zwei. Das Militär des Landes hatte sich Anfang Februar an die Macht geputscht. Seitdem unterdrücke es die Medien brutal, heißt es in der Jahresbilanz der Pressefreiheit 2021.

In Belarus greife der Machthaber Alexander Lukaschenko seit seiner mutmaßlich gefälschten Wiederwahl hart gegen Medienschaffende durch: 32 von ihnen sitzen dort im Gefängnis – vor einem Jahr waren es sieben.

China weitet Kontrolle über Hongkong aus

Die meisten Medienschaffenden weltweit (127) sind in China inhaftiert. Die Zahl der in Festlandchina inhaftierten Journalistinnen und Journalisten ging in diesem Jahr zwar leicht zurück, doch mit dem umstrittenen Sicherheitsgesetz hat die Regierung in Peking ihre Kontrolle über die Sonderverwaltungszone Hongkong verschärft. Nach Angaben von RSF wurden dort mindestens zehn Medienschaffende festgenommen.

Fast 60 Prozent aller Inhaftierten verteilen sich auf China, Myanmar, Belarus sowie Vietnam (43 Inhaftierte) und Saudi-Arabien (31).

Grafik: Die meisten inhaftierten Medienschaffenden
(Quelle: Reporter ohne Grenzen)

“Die extrem hohe Zahl willkürlich inhaftierter Journalistinnen und Journalisten ist vor allem das Werk dreier diktatorischer Regime”, kommentierte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. “Die Zahl spiegelt wider, wie skrupellos sich autoritäre Machthaber weltweit verhalten und wie unangreifbar sie sich fühlen. Der sprunghafte Anstieg ist auch die Folge neuer geopolitischer Machtverhältnisse, in denen diese Regime zu wenig Gegenwind und Gegenwehr seitens der Demokratien in der Welt bekommen.”

Mehr Frauen inhaftiert, weniger Tote

Seit Beginn der RSF-Zählung waren noch nie so viele Journalistinnen inhaftiert: Weltweit sitzen aktuell 60 Frauen im Zusammenhang mit ihrer journalistischen Arbeit im Gefängnis. Die meisten von ihnen in China (19). Darunter Zhang Zhan, die in der Frühphase der Covid-19-Pandemie aus der Stadt Wuhan berichtet hatte und deswegen Ende Dezember 2020 zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Daraufhin trat sie in einen Hungerstreik und schwebt laut RSF aktuell in Lebensgefahr.

In Belarus befinden sich derzeit mehr Journalistinnen (17) als Journalisten (15) in Haft. Unter anderem Maryna Solatawa, die Chefredakteurin des seit Mai in Belarus blockierten unabhängigen Nachrichtenportals Tut.by. Auch 14 ihrer Kolleginnen und Kollegen befinden sich im Gefängnis.

Grafik: Prozentsatz der inhaftierten Frauen
Seit 2017 hat sich der Anteil der inhaftierten Journalistinnen fast verdoppelt.(Quelle: Reporter ohne Grenzen)

2021 wurden so wenige Journalistinnen und Journalisten aufgrund ihrer Arbeit getötet (46) wie seit fast 20 Jahren nicht mehr. Die Organisation erklärt den Rückgang mit der nachlassenden Intensität der Konflikte und Kriege in Syrien, im Irak und dem Jemen. Die Zahlen bedeuten aber auch: Noch immer kommt durchschnittlich fast jede Woche ein Medienschaffender im Zusammenhang mit seiner Arbeit ums Leben. Insgesamt wurden fast zwei Drittel (65 Prozent) der im Jahr 2021 Getöteten gezielt wegen ihrer Arbeit ermordet.

Unter den Getöteten waren auch vier Frauen. Die afghanischen Journalistinnen Shahnaz Roufi, Saadia Sadat und Mursal Vahidi kamen im März bei zwei Anschlägen in Jalalabad ums Leben. Die jemenitische Fernsehreporterin Rascha Abdallah al­-Harazi wurde im November bei einem gezielten Autobomben-Attentat in Aden getötet.

Journalisten in der EU ermordet

18 Journalistinnen und Journalisten wurden 2021 in Kriegsgebieten getötet. Darunter der indische Reuters-Fotograf und Pulitzer-Preisträger Danish Siddiqui, der in Afghanistan ums Leben kam. 2020 war nur ein Journalist in einem Kriegsgebiet gestorben. Zum ersten Mal seit fünf Jahren sank der Anteil der Medienschaffenden, die außerhalb von Kriegs­- und Krisengebieten starben. Er liegt trotzdem bei 61 Prozent (28 Fälle).

Mexiko ist im dritten Jahr in Folge das gefährlichste Land für Medienschaffende: Dort starben sieben Journalisten, zudem sind zwei verschwunden. In Afghanistan wurden sechs Journalistinnen und Journalisten getötet; im Jemen und in Indien jeweils vier. Mit drei ermordeten Journalisten zählt auch Pakistan zu den fünf gefährlichsten Ländern für Medienschaffende.

Die Europäische Union gilt laut RSF als sicherste Region für Medienschaffende. Doch auch dort gab es in diesem Jahr zwei Todesfälle: Der griechische Polizeireporter Giorgos Karaivaz wurde in Athen ermordet. In den Niederlanden wurde der bekannte Kriminalreporter Peter R. de Vries ermordet, der außerdem Opfer und Zeugen in Strafprozessen beraten hatte.

Weltweit gelten aktuell mindestens 65 Medienschaffende als entführt, zwei mehr als im vergangenen Jahr. Nahezu alle Fälle konzentrieren sich auf Syrien, den Irak und den Jemen. Die einzige Ausnahme ist der französische Journalist Olivier Dubois, der im April in Mali entführt wurde. Fünf Medienschaffende wurden in diesem Jahr freigelassen.

Besonders dramatische Fälle

Neben diesen Zahlen betrachtet RSF in diesem Jahr auch Einzelschicksale – beispielsweise die des 74-jährigen Jimmy Lai in Hongkong und des 73 Jahre alten Kayvan Samimi im Iran. Sie sind die ältesten inhaftierten Journalisten weltweit.

Am längsten befinden sich der schwedisch-eritreische Journalist Dawit Isaak und seine Kollegen Seyoum Tsehaye und Temesgen Gebreyesus in Haft. Sie wurden im Jahr 2001 verhaftet, als in Eritrea alle unabhängigen Medien verboten wurden.

Die längsten Haftstrafen in diesem Jahr wurden gegen Ali Abu Luhom in Saudi-Arabien und Pham Chi Dung in Vietnam verhängt. Beide wurden zu jeweils 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Die längste Strafe droht Wikileaks-Gründer Julian Assange: In den USA könnte er zu 175 Jahren Gefängnis verurteilt werden. In der vergangenen Woche hatte ein Londoner Gericht das Auslieferungsverbot für ihn aufgehoben.

RSF verifiziert Fälle

Die Jahresbilanz der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen erscheint seit 1995. Die Zahlen beziehen sich stets auf den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 1. Dezember eines Jahres. RSF zählt nur Fälle, bei denen die Organisation verifizieren konnte, dass diese mit der journalistischen Tätigkeit der Opfer zusammenhängen. In die Statistik gehen neben professionellen Journalisten auch Bürgerjournalisten sowie Mitarbeiter wie Kamera- oder Tontechniker ein. (js)