Reporter ohne Grenzen: Wie China die Pressefreiheit unterdrückt

Xi Jinping
Seit der Machtübernahme von Xi Jinping im Jahr 2013 hat sich die Situation für Medienschaffende in China massiv verschlechtert. (Quelle: IMAGO / Xinhua)

Ideologische Prüfung, Inhaftierungen, Schikanen und Zensur: In dem neuen Bericht “Der große Sprung zurück” zeichnet die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) ein düsteres Bild der Pressefreiheit in China. Freie Berichterstattung sei kaum noch möglich. Und auch in der Sonderverwaltungszone Hongkong sei die Pressefreiheit so bedroht wie nie zuvor.

Kaum ein kritisches Thema entkomme in China noch der Zensur, heißt es in dem Bericht. Das Propagandaministerium der Kommunistischen Partei sende den Medien täglich eine Liste mit Themen, die sie hervorheben sollen – und anderen, über die sie unter Androhung von Sanktionen nicht berichten dürfen.

Die MeToo-Bewegung, die Verfolgung der Minderheit der Uiguren oder die Covid-19-Pandemie und weitere Themen unterliegen der staatlichen Zensur. Im Juli hatte die Onlinezeitung China Digital Times Anweisungen zur Berichterstattung über die Überschwemmungen in der Provinz Henan öffentlich gemacht: Unter anderem hieß es darin, dass sich Journalistinnen und Journalisten an die offiziellen Angaben zu Todesopfern und Sachschäden halten müssen.

Die Regierung in Peking führe einen regelrechten “Krieg” gegen den investigativen Journalismus, so Reporter ohne Grenzen. Dieser halte Redaktionen davon ab, Zeit und Ressourcen in längere Recherchen zu investieren, die letztlich ohnehin zensiert würden oder die Journalisten in rechtliche Schwierigkeiten brächten. Investigativjournalistinnen und -journalisten in China seien eine “aussterbende Spezies”, erklärte der Journalist Liu Hu der New York Times im Jahr 2019. Er war selbst bereits inhaftiert in China.

Presseausweis nur nach Loyalitätstest

Dabei hatte es seit Ende der 1990er Jahre zumindest kleine Freiheiten für die chinesischen Medien gegeben, woraufhin sich einige auch investigativen Themen gewidmet hatten. So hatte beispielsweise die Zeitung Southern Weekly über Korruption und Armut in ländlichen Regionen berichtet. Mit dem Amtsantritt von Präsident Xi Jinping im März 2013 habe sich die Situation aber geändert. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung von “Online-Gerüchten”, die später auf alle “vulgären” Inhalte ausgedehnt wurde, habe Xi die Kontrolle über die Medien übernommen. Gegen Bürgerjournalisten und Blogger sei er gewaltsam vorgegangen.

Journalisten ist es untersagt, persönliche Blogs zu betreiben. In diesen konnten sie früher noch Berichte veröffentlichen, die ihre Redaktionen zensiert hatten. Verboten ist es auch, Informationen aus den sozialen Medien zu zitieren, solange diese nicht von den Behörden “bestätigt” wurden.

Die Loyalität zur Kommunistischen Partei und ihrem Anführer ist mittlerweile Voraussetzung für die Arbeit im Journalismus. Seit 2019 müssen chinesische Journalistinnen und Journalisten eine App herunterladen und einen Loyalitätstest absolvieren, um einen Presseausweis zu erhalten. Eine Untersuchung des deutschen IT-Sicherheitsunternehmens Cure53 hat gezeigt, dass die App die Nutzerinnen und Nutzer überwacht. So könnten Dateien verändert werden und das Mikrofon des Gerätes lasse sich aktivieren.

Im Oktober kündigte die für die Presse zuständige Behörde zudem an, Journalisten müssten künftig mindestens 90 Stunden im Jahr an einer Schulung teilnehmen, in der es auch um Xi Jinpings “Gedankengut” geht. Die Teilnahme daran und die Profile von Journalisten in den sozialen Medien sollen ebenfalls bei der Erneuerung von Presseausweisen berücksichtigt werden.

Haftstrafen für Recherchen

Doch nicht nur die ideologische Kontrolle erschwert die Arbeit. Journalistinnen und Journalisten müssen unter Umständen mit juristischen Schikanen und langen Haftstrafen rechnen. Dabei erhebe das Regime vor allem drei Vorwürfe: “Spionage”, “Umsturz” und “einen Streit anfangen und Ärger provozieren”. Die ersten beiden können mit lebenslanger Haft geahndet werden. RSF kritisiert, die Vorwürfe seien so allgemein definiert, dass sie sich auf jede Tätigkeit anwenden ließen. Die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen beispielsweise gilt als “Spionage”. Darunter können jedoch bereits die Geburtstage der Parteiführer fallen. Auch könnten Informationen rückwirkend als Staatsgeheimnisse eingestuft werden.

Protest in Hongkong
Aktivisten in Hongkong fordern die Freilassung der in China inhaftierten Journalistin Zhang Zhan. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Ein prominentes Beispiel für den Anklagepunkt “einen Streit anfangen und Ärger provozieren” ist die Journalistin Zhang Zhan. Sie hatte in der Frühphase der Covid-19-Pandemie aus der Stadt Wuhan berichtet und wurde deswegen Ende Dezember 2020 zu vier Jahren Haft verurteilt. Daraufhin trat sie in einen Hungerstreik. RSF berichtet, ihr Gesundheitszustand habe sich seitdem erheblich verschlechtert – bleibe sie in Haft, drohe sie zu sterben.

Mindestens zehn weitere inhaftierte Journalistinnen und Journalisten befänden sich aktuell in Lebensgefahr. Im Februar sei Kunchok Jinpa, eine wichtige Quelle ausländischer Medien zum Thema Tibet, nach Misshandlungen während der Haft gestorben.

Insgesamt sitzen nach Angaben von RSF derzeit mindestens 116 Medienschaffende in China im Gefängnis – mehr als in jedem anderen Land. Darunter befinden sich mindestens 71 uigurische Pressevertreter.

Korrespondenten unter Druck

Dennoch gibt es weiterhin unabhängige Medien, die sich der Zensur in China widersetzen. Darunter die Wochenzeitung Caixin, die beispielsweise die offiziellen Covid-19-Todesfälle in Wuhan in Frage stellte. Das Medium darf in China nicht mehr als Nachrichtenquelle zitiert werden. Auch die Nachrichtenseite 64 Tianwang stemmt sich gegen die Zensur – und hat in den vergangenen Jahren zehntausende Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Beide Medien haben ihren Sitz weiterhin in China.

Die eingeschränkte Pressefreiheit bekommen auch Auslandskorrespondenten zu spüren. Zwar hätten sie es in China schon immer schwer gehabt, besonders wenn sie über Politik oder Menschenrechtsfragen berichteten. Doch in den 1990er und 2000er Jahren habe es noch eine gewisse Recherchefreiheit und Zugang zu wichtigen Informationsquellen gegeben. Denn ihre Artikel informierten die Welt auch über positive soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in China und sollten so Investoren anlocken. Doch die Situation habe sich “dramatisch verändert”: Das Regime sehe Korrespondenten nun als “unerwünschte Zeugen”.

China habe ein “regelrechtes System der Einschüchterung” geschaffen, unter anderem mit Einschränkungen bei der Visavergabe. Im Jahr 2020 haben nach Angaben von RSF mindestens 18 Auslandskorrespondenten das Land verlassen müssen. Darunter auch John Sudworth, der für die BBC neun Jahre lang aus China berichtet hatte, unter anderem über die Unterdrückung der Uiguren in der Region Xinjiang. Ausländische Medienschaffende, die noch in die Region reisen dürfen, würden streng überwacht und könnten sich nicht frei bewegen.

Auch chinesische Medienmitarbeiter werden unter Druck gesetzt. So wurde etwa Haze Fan, eine chinesische Mitarbeiterin bei Bloomberg im Dezember 2020 verhaftet, weil sie angeblich die nationale Sicherheit gefährdet haben soll. Die Behörden halten sie seitdem ohne Kontakt zur Außenwelt oder einen Prozesstermin fest.

Online-Zensur in China

Die Zensur in China betrifft jedoch nicht nur Journalistinnen und Journalisten, sondern generell Äußerungen im Internet. Nach Schätzungen der Nichtregierungsorganisation GreatFire sind in China 160 der 1000 meistbesuchten Internetseiten der Welt nicht zugänglich. Inhalte, die bestimmte Schlüsselwörter enthalten, werden ebenfalls gesperrt. Nutzerinnen und Nutzer versuchen dies zu umgehen, indem sie ein zensiertes Wort durch ein sogenanntes Homofon ersetzen, also ein gleichklingendes Wort, das mit anderen Schriftzeichen geschrieben wird. Den Zugang zu sogenannten VPN-Apps, mit denen sich Zensurmaßnahmen umgehen lassen, schränken die Behörden zunehmend ein.

Reporter ohne Grenzen spricht darüber hinaus von einem “beängstigenden Ausmaß” der Überwachung von Kommunikation – beispielsweise in Chat-Apps. Internetnutzer müssen sich bei Messaging-Apps mit ihrem echten Namen registrieren. Unverschlüsselte Gespräche der in China populären App WeChat werden in Gerichtsverfahren als Beweismittel angeführt.

Letzte Ausgabe von Apple Daily
Am 24. Juni ist die letzte Ausgabe der prodemokratischen Zeitung Apple Daily in Hongkong erschienen. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Sicherheitsgesetz bedroht Pressefreiheit in Hongkong

Der Bericht beschäftigt sich auch mit der Sonderverwaltungszone Hongkong. Einst eine Bastion der Pressefreiheit, befinde sich diese nun “im freien Fall”. Ein Grund dafür ist das umstrittene Sicherheitsgesetz, mit dem die chinesische Regierung in den halbautonomen Sonderstatus Hongkongs eingegriffen hat. Das im Juni 2020 in Kraft getretene Gesetz erlaubt es den Behörden, gegen Aktivitäten vorzugehen, die die Regierung in Peking als umstürzlerisch, separatistisch, terroristisch oder verschwörerisch ansieht.

Das Gesetz habe der Hongkonger Regierung bereits als Vorwand gedient, um gegen mindestens 12 Journalistinnen und Journalisten vorzugehen. Auch Jimmy Lai, Herausgeber der Zeitung Apple Daily, wurde im Dezember 2020 verhaftet. In dieser Woche wurde Lai verurteilt, weil er zu einem verbotenen Gedenken an das Tiananmen-Massaker aufgerufen hatte. Die prodemokratische Zeitung musste im Sommer ihre Arbeit einstellen.

Medienschaffenden drohen im Falle einer Verurteilung in Hongkong lebenslange Haftstrafen. Laut RSF gibt es zudem die Möglichkeit, die Prozesse in der Volksrepublik China zu führen – dort können Verbrechen gegen die nationale Sicherheit mit dem Tode bestraft werden. Prozesse finden auch unter Ausschluss von Medien und Öffentlichkeit statt.

Reporter ohne Grenzen ruft die chinesischen Behörden auf, alle Medienschaffenden freizulassen, die wegen ihrer Berichterstattung inhaftiert sind. Zudem solle das Regime die Pressefreiheit respektieren und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen ratifizieren, der die Meinungsfreiheit garantiert.

RSF-Geschäftsführer Christian Mihr kommentierte die Situation: “Wenn Peking die Unterdrückung von Informationen in diesem Tempo fortsetzt, schwindet die Hoffnung für die Menschen in China weiter, dass eines Tages Pressefreiheit in ihrem Land herrscht. Demokratien sollten geeignete Strategien finden, um das Regime von seiner repressiven Politik abzubringen und alle chinesischen Bürgerinnen und Bürger zu unterstützen, die ihr Recht auf Information verteidigen wollen.”

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von RSF steht Hongkong auf Platz 80 von 180 Staaten. Als die Rangliste 2002 eingeführt wurde, belegte Hongkong noch Platz 18 von damals 139 bewerteten Ländern.

China belegt Platz 177. Nur in Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea ist die Lage demnach noch schlechter. (js)