Brandenburg: Innenministerium will Kennzeichenerfassung ausweiten
Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) will künftig den Einsatz automatischer Kennzeichenscanner im sogenannten Aufzeichnungsmodus erlauben. Erfasste Daten werden dabei für einen bestimmten Zeitraum gespeichert. Die in Brandenburg mitregierenden Grünen lehnen den Vorschlag allerdings ab und auch der Koalitionspartner SPD sieht noch “Diskussionsbedarf”.
Kennzeichenscanner erfassen die Nummernschilder aller vorbeifahrenden Fahrzeuge – auch die unbescholtener Personen. Die Technik ist umstritten, auch weil sie als ineffizient und fehleranfällig gilt. In Brandenburg darf die Technik derzeit nur anlassbezogen zu Fahndungszwecken eingesetzt werden. Erfasste Nummernschilder werden dabei sofort mit den gesuchten Daten abgeglichen. Liegt kein Treffer vor, werden die Daten gelöscht.
Das CDU-geführte Innenministerium will nun aber das Brandenburgische Polizeigesetz ändern, um eine Rechtsgrundlage für den sogenannten Aufzeichnungsmodus des Kennzeichenerfassungssystems (Kesy) zu schaffen. Der Gesetzentwurf wurde von der Nachrichtenseite netzpolitik.org veröffentlicht.
Datenspeicherung für bis zu drei Monate
Im Aufzeichnungsmodus werden die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Fahrzeuge für einen späteren Abgleich gespeichert. Auch Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung werden gespeichert. Im Gesetzentwurf ist eine Speicherdauer von bis zu drei Monaten vorgesehen. Voraussetzung für die Datenspeicherung sollen unter anderem Anhaltspunkte dafür sein, dass “besonders schwere Straftaten fortgesetzt begangen werden sollen”.
Ermöglicht werden soll der Einsatz des Aufzeichnungsmodus “zur Abwehr von Gefahren für hochwertige Rechtsgüter durch noch laufende Straftatenserien”. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird dabei unter anderem auf grenzüberschreitende “Straftatenserien in den Bereichen der Betäubungsmittel-, Eigentums-, Schleuserkriminalität sowie bei laufenden Serien gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr” verwiesen. Auch von “seriellen Bandendiebstählen bei Reisenden auf Raststätten” ist die Rede.
Der Aufzeichnungsmodus soll laut Gesetzentwurf nur nach richterlicher Anordnung aktiviert werden dürfen. Bei Gefahr im Verzug soll auch die Behördenleiterin oder der Behördenleiter die Maßnahmen anordnen dürfen, eine richterliche Bestätigung muss dann jedoch “unverzüglich” eingeholt werden. In der Anordnung muss unter anderem der Ort der Datenerhebung genannt werden und sie soll auf höchstens sechs Monate befristet sein. Geplant ist weiterhin, dass die Anordnung einmalig um “nicht mehr als drei Monate” verlängert werden kann.
Grüne lehnen Vorschlag ab
Ob das geänderte Polizeigesetz so aber tatsächlich in Kraft treten wird, ist noch unklar. Die mitregierenden Grünen lehnen das Vorhaben klar ab. Die Landtagsabgeordnete Marie Schäffer sagte dem Tagesspiegel: “Der Koalitionsvertrag schließt die Einführung neuer Überwachungsmaßnahmen im Polizeigesetz klar aus.” Die Grünen stünden für “die Wiedereinführung einer Auto-Vorratsdatenspeicherung nicht zur Verfügung”. Schäffer kritisierte zudem, bei der Maßnahme stehe der “sehr fragwürdige Nutzen zur Verbrechensbekämpfung in keinem Verhältnis zur Überwachung aller Autofahrerinnen und Autofahrer im Land”.
Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Polizeigesetz in Mecklenburg-Vorpommern lasse Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Pläne aufkommen, so Schäffer.
Die innenpolitische Sprecherin der Brandenburger SPD, Inka Gossmann-Reetz, erklärte gegenüber dem Tagesspiegel, sie sehe bei dem Entwurf “noch Diskussionsbedarf, wenn wir vermeiden wollen, dass uns der Entwurf vor Gericht um die Ohren fliegt”.
Die oppositionelle Linkspartei lehnt den Gesetzentwurf vollständig ab, wie die innenpolitische Sprecherin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Marlen Block gegenüber netzpolitik.org erklärte.
Der Gesetzentwurf sieht außerdem die Einführung der sogenannten Abschnittskontrolle zur Geschwindigkeitsmessung vor. Bei dieser auch als “Section Control” bezeichneten Technik wird die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Fahrzeuges zwischen zwei Messpunkten errechnet. Erfasst werden die Fahrzeuge dabei ebenfalls über das Kennzeichen. Die Nachrichtenseite netzpolitik.org merkt dazu an, so entstünden möglicherweise an weiteren Standorten Kennzeichenscanner, “die auch zu anderen Zwecken eingesetzt werden könnten”.
Gericht hatte Aufzeichnungsmodus für rechtswidrig erklärt
Brandenburg hatte das Kennzeichenerfassungssystem bereits in der Vergangenheit jahrelang im Aufzeichnungsmodus betrieben. Das Landgericht Fankfurt (Oder) hatte die Praxis im vergangenen Jahr für rechtswidrig erklärt. Die Praxis sei “als gewichtiger Grundrechtseingriff zu qualifizieren”, hatten die Richterinnen und Richter entschieden. Weil die Daten damals zeitlich unbegrenzt gespeichert wurden, sei es möglich gewesen, über Jahre hinweg das Bewegungsverhalten weiter Teile der Bevölkerung nachzuvollziehen.
Das brandenburgische Innenministerium hatte schon damals ein neues Gesetz angekündigt, um auch den Aufzeichnungsmodus unter bestimmten Umständen nutzen zu können. Ein Ministeriumssprecher hatte nach dem Urteil erklärt, das Gericht habe sich mit der Kennzeichenerfassung im Aufzeichnungsmodus für die Strafverfolgung auf Grundlage der Strafprozessordnung beschäftigt. Stübgen wolle aber eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz des Aufzeichnungsmodus zur Gefahrenabwehr im Zusammenhang mit besonders schweren Straftaten wie Mord schaffen.
Bereits im Januar 2020 hatte Brandenburgs Landesdatenschutzbeauftragte Dagmar Hartge den Kesy-Einsatz im Aufzeichnungsmodus für unzulässig befunden. Dazu hatte sie erklärt: “Durch den dauerhaften Betrieb des Aufzeichnungsmodus sind ganz überwiegend unbeteiligte Personen betroffen, welche die Erfassungsgeräte auf den überwachten Straßenabschnitten passieren. Die Erfassung und Speicherung dieser Daten stellt einen unzulässigen Eingriff in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.”
Gegenüber dem Tagesspiegel sagte Hartges Pressesprecher nun: “Die Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage im Gefahrenabwehrrecht für eine Maßnahme, die in der Strafverfolgung vom Bundesgesetzgeber gerade erst ausgeschlossen wurde, ändert nach Auffassung der Landesbeauftragten nichts an der Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Datenschutzrechte Unbeteiligter.”
Auf Bundesebene wurde im Sommer 2021 eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Kennzeichenerkennung geschaffen. Erlaubt ist sie allerdings nur zu Fahndungszwecken, wenn Anhaltspunkte für “eine Straftat von erheblicher Bedeutung” vorliegen – und sie sowohl örtlich als auch zeitlich begrenzt ist. Im Fahndungsmodus muss der Abgleich der Kennzeichen unverzüglich erfolgen. Stellt die Software keine Übereinstimmung fest, so müssen die Daten “sofort und spurenlos” gelöscht werden. Eine Speicherung der Daten auf Vorrat ist also nicht zulässig. (js)