Brasilien: Amazonas brennt wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr
Im brasilianischen Amazonasgebiet toben die schwersten Brände seit zwölf Jahren. Im September wurden in der Region 41.282 Feuer registriert, wie das für die Satellitenüberwachung zuständige Institut für Weltraumforschung (INPE) am Samstag mitteilte. Mehr Brände in einem Monat hatte es zum letzten Mal im September 2012 gegeben.
Zwischen Juni und Oktober ist in Brasilien Waldbrandsaison. Bereits im Zeitraum zwischen Januar und August dieses Jahres seien 5.463 Quadratkilometer Wald zerstört worden. Weil der Regenwald im Amazonasgebiet immense Mengen des Treibhausgases CO2 binden kann, hat er für das Weltklima entscheidende Bedeutung.
Die meisten Brände werden von Menschen gelegt. Üblicherweise werden zunächst die Bäume gefällt und die abgeholzten Flächen dann in Brand gesteckt. Die verwüsteten Flächen nutzen Landwirte für neue Weideflächen und Ackerland.
An die 20 Prozent des ursprünglichen Amazonas-Regenwaldes sind heute bereits zerstört. “Verlieren wir den Amazonas, verlieren wir einen der größten Kohlenstoffspeicher dieses Planeten”, warnte Roberto Maldonado von der Naturschutzorganisation WWF. Der Amazonas stehe aktuell “näher am Kollaps als je zuvor”.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rechnen damit, dass ein Kipppunkt überschritten wird, wenn mehr als 25 Prozent des Amazonas-Regenwaldes vernichtet sind, so der WWF. Der Wald könnte sich dann auf einer Fläche so groß wie Frankreich, Spanien, Schweden, Deutschland und Finnland zusammen in eine Steppe verwandeln. Das hätte Auswirkungen auf den gesamten Planeten – “in ungeahntem Ausmaß”.
Historische Wahl
Das Thema Umweltschutz spielt auch bei der andauernden Präsidentschaftswahl eine Rolle. Mehr als 156 Millionen Wahlberechtigte waren am Sonntag aufgerufen, über ihren neuen Staatschef abzustimmen.
Brasiliens amtierender Präsident, der Rechtsextreme Jair Bolsonaro, sieht das Amazonasgebiet vor allem als wirtschaftliches Potenzial – und will weitere Flächen für Landwirtschaft und Bergbau erschließen. In den vergangenen Jahren förderte er durch stetigen Abbau von Kontrollmechanismen bewusst die Zerstörung des Regenwaldes. Sein Gegenkandidat, Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, hat hingegen versprochen, den Umwelt- und Klimaschutz künftig zu stärken. In den Umfragen lag dieser vor dem ersten Wahlgang deutlich vorn.
Überraschend knapp hatte Lula dann am Sonntag die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewonnen. Der linke Ex-Staatschef kam auf über 48 Prozent der Stimmen, wie das Wahlamt am Montag mitteilte. Amtsinhaber Jair Bolsonaro erhielt 43 Prozent. Damit schnitt der Rechtsextremist deutlich stärker ab als im Vorhinein erwartet. Am 30. Oktober treffen Lula und Bolsonaro nun erneut in einer Stichwahl aufeinander.
Bolsonaros Erbe
Bolsonaro hat seit seinem Amtsantritt Anfang 2019 nicht nur Kontrollmechanismen stetig abgebaut, er hat auch Umweltschutzbehörden Personal und Finanzierung entzogen. Die “naturfeindliche Politik von Präsident Bolsonaro” treibe diese Zerstörung an, konstatierte die Umweltschutzorganisation WWF Anfang September. Auch ein im Januar veröffentlichter Greenpeace-Bericht zog eine verheerende Bilanz seiner Amtszeit: “In nur drei Jahren hat seine [Bolsonaros] Agenda zu einer dramatischen Verschlechterung der Natur, der Gemeinschaften und der biologischen Vielfalt geführt.”
Seit seinem Amtsantritt bis zum Jahresbeginn 2022 sei die Abholzung um fast 76 Prozent gestiegen, Brasilien habe knapp 10 Prozent mehr Treibhausgase ausgestoßen, 1500 neue Pestizide zugelassen und Landkonflikte hätten um fast 40 Prozent zugenommen. Diese Zunahmen seien zu einem großen Teil auf den systematischen Abbau von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen zurückzuführen, so Greenpeace.
Zudem gilt Brasilien unter Bolsonaros Präsidentschaft als eines der gefährlichsten Länder für Naturschützer. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Global Witness wurden im Jahr 2021 in dem Land 26 Umweltschützer getötet.
“Jair Bolsonaros Politik ist wie Gift für den Amazonas. Er ist einer der größten Kohlenstoffspeicher der Erde. Wird er weiter zerstört, können wir der fortschreitenden Klimakrise nur noch zugucken”, sagte Anfang September Naturschützer Maldonado.
EU könnte Einfluss nehmen
Bolsonaros Verweigerungshaltung beim Klimaschutz bremst auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Südamerika und Europa. Das Freihandelsabkommen EU-Mercosur zwischen dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur und der EU liegt derzeit auf Eis – unter anderem deshalb, weil Kritiker in Europa befürchten, der Vertrag werde die Regenwaldzerstörung in Brasilien weiter befeuern.
Greenpeace fordert die Europäische Union deswegen dazu auf, wirtschaftlichen Druck auf die brasilianische Regierung auszuüben. Die Bedingungen für das geplante Handelsabkommen EU-Mercosur müssten mit Blick auf den Umwelt-, Arten- und Klimaschutz neu verhandelt werden.
“Egal ob Bolsonaro oder Lula die Wahl gewinnt, wir müssen unsere Handelsbeziehungen ändern. Bisher haben wir mit unseren Importen die Naturzerstörung in Brasilien gefördert”, sagte Maldonado. “Wo in Brasilien früher Regenwald war, wird heute unter anderem Soja angebaut. Das wird oft als Tierfutter nach Deutschland importiert.” Intakte Natur werde in Ackerflächen umgewandelt für EU-Importprodukte.
Der WWF fordert die EU und Deutschland dazu auf, ein wirkungsvolles Gesetz zum Stopp globaler Entwaldung zu verabschieden. Es müsse zukünftig verhindert werden, dass der Konsum in Europa die Umweltzerstörung in Südamerika fördert.
Brasilien ist 24-mal so groß wie Deutschland und hat rund 210 Millionen Einwohner. Damit ist es der flächenmäßig fünftgrößte und in Bezug auf die Bevölkerung sechstgrößte Staat der Erde. Aufgrund seiner Größe und der enormen natürlichen Ressourcen kommt Brasilien nicht nur beim Klimaschutz eine wichtige Rolle zu, sondern auch bei der internationalen Sicherheitspolitik und beim Welthandel. (dpa / hcz)