Britische Regierung will Millionen in Gesichtserkennung investieren
Die britische Regierung will umgerechnet mehr als 64 Millionen Euro in Gesichtserkennungssysteme investieren. Das hat das Innenministerium am Mittwoch angekündigt. Bürgerrechtler kritisieren dies als Verschwendung öffentlicher Gelder – und warnen vor den Auswirkungen auf die Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern.
Das vom Innenministerium angekündigte Investment ist Teil eines Plans, um verstärkt gegen Ladendiebstähle und Angriffe auf Angestellte im Einzelhandel vorzugehen. In diesem Rahmen werde auch der Einsatz von Geschichtserkennung verstärkt, “um Täter zu fassen und Ladendiebstähle zu verhindern”, teilte das Ministerium mit.
Demnach sollen über die kommenden vier Jahre insgesamt 55,5 Millionen britische Pfund ausgegeben werden, damit die Polizei Gesichtserkennung verwenden kann. Vier Millionen Pfund sind für “mobile Einheiten” bestimmt, die in Einkaufsstraßen eingesetzt werden können und mit Live-Gesichtserkennung ausgestattet sind. So sollen von der Polizei gesuchte Personen identifiziert werden – auch Ladendiebe, heißt es vom Innenministerium.
Solche Einheiten kommen beispielsweise in London schon seit längerem zum Einsatz. Bereits in der Testphase hatte es jedoch Kritik gegeben: Wissenschaftler der Universität Essex hatten Probeeinsätze begleitet und dem System im Anschluss eine Fehlerquote von 81 Prozent bescheinigt.
Die Wissenschaftler hatten zudem darauf hingewiesen, dass es keine Rechtsgrundlage für den Einsatz von Gesichtserkennung gebe.
Standortüberwachung von Wiederholungstätern
Der ausgeweitete Einsatz von Gesichtserkennung wurde zusammen mit Plänen für härtere Strafen für Serien-Ladendiebe und bei Raubdelikten vorgestellt. Angriffe auf Beschäftigte im Einzelhandel sollen demnach künftig einen eigenständigen Straftatbestand darstellen, der mit bis zu sechs Monaten Gefängnis oder einer “unbegrenzten” Geldstrafe geahndet werden kann.
Serientäter sollen zudem dazu verpflichtet werden können, Geräte zur Standortüberwachung zu tragen. Tätern soll außerdem der Besuch bestimmter Geschäfte untersagt werden können – bei Verstößen sollen Personen ebenfalls mithilfe von Gesichtserkennung identifiziert werden.
Warnung vor Massenüberwachung
Premierminister Rishi Sunak erklärte, seit 2010 sei beispielsweise die Gewaltkriminalität in England und Wales zurückgegangen. Ladendiebstähle sowie Gewalt gegen Beschäftigte im Einzelhandel würden hingegen zunehmen.
Scharfe Kritik an den Regierungsplänen kommt von der britischen Bürgerrechtsorganisation Big Brother Watch. Deren Direktorin Silkie Carlo sagte, es sei “völlig absurd, die Öffentlichkeit unter der Prämisse der Diebstahlbekämpfung massenhaft zu überwachen”. Anstatt der Polizei genügend Mittel zur Verfolgung von Straftätern zur Verfügung zu stellen, verlasse sich die Regierung darauf, dass diese an den Kameras vorbeilaufen.
Carlo bezeichnete die Investition als “entsetzliche Verschwendung öffentlicher Gelder für eine gefährlich autoritäre und ungenaue Technologie, über die weder die Öffentlichkeit noch das Parlament jemals abgestimmt hat”. Die Menschen in Großbritannien müssten dafür mit ihrer Privatsphäre und ihren Freiheitsrechten bezahlen.
“Live-Gesichtserkennung mag in China und Russland gang und gäbe sein, aber diese Regierungspläne bringen das Vereinigte Königreich völlig aus dem Takt mit dem Rest der demokratischen Welt”, konstatierte die Big-Brother-Watch-Chefin.
Weitere Einsatzszenarien geplant?
Der Einsatz von Gesichtserkennung in Großbritannien könnte indes sogar noch mehr zunehmen, als jetzt angekündigt. Die britische Zeitung The Times berichtete Ende vergangener Woche unter Berufung auf Regierungskreise, die Regierung wolle in den kommenden Monaten ihre Strategie für den Einsatz der Technologie darlegen. Debattiert werde beispielsweise auch, Kameras an Bahnhöfen mit der umstrittenen Technik auszurüsten.
Bereits im Herbst 2023 hatte das britische Innenministerium unter dem Namen “Project Pegasus” eine Zusammenarbeit mit Einzelhandelskonzernen vorgestellt, darunter große Ketten wie Primark und Marks & Spencer und die Supermarktkette Co-op. Teil der Kooperation ist auch der Einsatz von Gesichtserkennung: Die Einzelhändler sollen Aufnahmen von ihren Überwachungskameras an die Polizei übermitteln, die diese mit ihren Datenbanken abgleicht. Finanziert wird das Projekt teils von Einzelhandelskonzernen.
Auch diese Zusammenarbeit hatte für deutliche Kritik gesorgt. So hatten beispielsweise mehrere Menschenrechtsorganisationen die Handelskonzerne aufgefordert, sich aus dem Projekt wieder zurückzuziehen. Sie warnen, bestehende Ungleichheiten könnten durch den Einsatz von Gesichtserkennungstechnik verstärkt werden.
Die Organisationen kritisieren unter anderem, dass Gesichtserkennungssoftware Menschen mit dunkler Hautfarbe häufiger falsch erkennt. Dies könne dazu führen, dass bereits marginalisierte Gruppen eher von der Polizei angehalten und kontrolliert oder von Mitarbeitenden in den Geschäften während ihrer Einkäufe überwacht werden. (js)