Bundestag beschließt Bürger-Identifikationsnummer

Steuer-ID
Bedenken, dass die Steuer-ID – trotz anders lautender Versprechungen – nicht nur zur Steuererfassung genutzt wird, haben sich mit dem beschlossenen Registermodernisierungsgesetz nun bewahrheitet. (Quelle: IMAGO / Bernhard Classen)

Die Steueridentifikationsnummer (Steuer-ID) soll zu einer “Bürgernummer” werden, die künftig 51 Behörden den Zugriff auf persönliche Daten ermöglicht. Der Bundestag hat das Vorhaben am Donnerstagabend trotz Bedenken von Sachverständigen, Datenschützern und Opposition verabschiedet.

Stimmt auch der Bundesrat dem Registermodernisierungsgesetz (RegModG) zu, wird die Steuer-ID zum behördenübergreifenden Personenkennzeichen. Zu der im Jahr 2007 eingeführten ID sind beim Bundeszentralamt für Steuern Basisdaten wie Name, Adresse, Geschlecht, Geburtsdatum, Geburtsort oder Staatsangehörigkeiten hinterlegt. Mithilfe der ID sollen diese Daten künftig beispielsweise auch mit dem Melderegister, dem Führerscheinregister oder dem Waffenregister abgeglichen werden.

Eingeschränkte Kontrolle für die Bürger

Nach Angaben der großen Koalition sollen Verwaltungsvorgänge so vereinfacht werden. Die Initiatoren möchten vermeiden, dass die gleichen Daten mehrfach von verschiedenen Behörden eingeholt oder identische Dokumente mehr als einmal eingereicht werden müssen. Die Bürgerinnen und Bürger sollen außerdem über ein so genanntes “Datencockpit” selbst einsehen können, welche Behörden Daten über sie ausgetauscht haben. Allerdings erhalten die Bürger keine Kontrolle darüber, welche Behörden welche Daten austauschen.

Die deutsche Personalausweisnummer ist zwar ebenfalls einmalig, doch sie ist nicht zur Suche freigegeben und wird mit jedem neuen Personalausweis neu vergeben. Somit ist die Steuer-ID die erste und einzige staatlich vergebene Nummer, die bei Geburt zugeteilt wird, ein Leben lang gleich bleibt und bis über den Tod hinaus gilt.

Kritik am Gesetz seit Monaten

Um Datenschutzbedenken zuvor zu kommen, brachte die Regierung in letzter Minute einen Änderungsantrag mit Sicherungen ein. Darin wird die Nutzung der Identifikationsnummer nur “zu Verarbeitungen zur Erbringung von Verwaltungsleistungen” erlaubt.

Die Opposition hat das nicht beruhigt. Sie stimmte geschlossen gegen das Gesetz, weil sie es für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz hält. Der digitalpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Manuel Höferlin, sagte, die Nutzung der Steuer-ID als einheitliche Personenkennung sei verfassungsrechtlich hochbedenklich. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz warnte, wenn das Verfahren in einigen Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern sollte, “dann haben wir ein Kosten- und Zeitproblem biblischen Ausmaßes”.

Dass das Gesetz bei zukünftiger verfassungsrechtlicher Prüfung für verfassungswidrig erklärt wird, scheint nicht unwahrscheinlich: Im September 2020 hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der deutschen Datenschutzbehörden, der Gesetzentwurf stehe im Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Regelungen, da sich so Daten zusammenführen liessen. Die Datenschutzkonferenz warnte damals davor, dass sich die Steuer-Identifikationsnummer so von ihrer Zweckbestimmung für steuerliche Angelegenheiten löse, “obwohl sie nur deswegen bislang als verfassungskonform angesehen werden kann”.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnte im Juli 2020: “Damit [mit dem RegModG] werden viele Sicherheitsmaßnahmen entwertet. Ich hoffe, dass uns nicht wieder erst das Bundesverfassungsgericht vor einem zu neugierigen Staat schützen muss.” Im Oktober erneuerte Kelber seine Kritik abermals in einer Stellungnahme.

Auch die Experten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages rechnen mit “erheblichen Schwierigkeiten”. Sie urteilten in einem Gutachten, dass sowohl die Einführung einer Identifikationsnummer als auch die Verarbeitung von personenbezogenen Daten Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen. Auch sie sehen die Gefahr, dass mithilfe der Personenkennziffer in Zukunft Persönlichkeitsprofile angefertigt werden. In der Gesamtschau sei die Eingriffsintensität als hoch zu bewerten. Die Autoren verweisen außerdem auf mehrere Gerichtsurteile, die eine mögliche Profilbildung verbieten.

Bereits im Jahr 1983 hat das Bundesverfassungsgericht der Einführung von Personenkennzeichen enge Schranken aufgewiesen. Das Gericht hatte im sogenannten Volkszählungsurteil ein einheitliches Personenkennzeichen als entscheidenden Schritt des Staates gewertet, “den einzelnen Bürger in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren”.

Als Alternative schlugen die Experten das in Österreich eingeführte Modell vor: Die österreichische “Stammzahl” ist nur einer Zentralstelle bekannt. Andere Behörden erhalten diese Zahl nicht, sondern nur eine mittels kryptografischer Verfahren errechnete bereichsspezifische Nummer. Die Stammzahl kann daraus nicht zurück errechnet werden. Benötigt ein Amt von einem anderen Daten zu einer Person, erhält es die Spezialnummer von der Zentralstelle. Mit dieser kann es dann bei den Kollegen anfragen. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte hatte diese Lösung als Alternative vorgeschlagen. Das Innenministerium lehnte dieses Modell aber wegen “immenser rechtlicher, technischer und organisatorischer Komplexität” explizit ab.

Big Brother Award für Innenministerkonferenz

Der Verein digitalcourage zeichnete die deutsche Innenministerkonferenz im Herbst 2020 mit dem Negativpreis “Big Brother Award” für die Pläne zur Personenkennziffer aus. Zur Begründung führte die Jury an, ähnliche Systeme hätten in der DDR (Personenkennzahl) und während der NS-Diktatur (Reichspersonalnummer) existiert und seien in beiden politischen Systemen “zur Erfassung, zur Repression bis hin zur Vernichtung genutzt” worden. Eine solche Nummer widerspräche dem Geist des Grundgesetzes und der “Würde des Menschen”.
(dpa / hcz)