CCC-Initiative: EU soll Gesichtserkennung verbieten
Das Bündnis “Reclaim Your Face” will ein europaweites Verbot von biometrischer Überwachung erreichen: Die am Mittwoch offiziell gestartete Europäische Bürgerinitiative wird von über 40 Organisationen unterstützt – darunter der Chaos Computer Club (CCC), Digitalcourage, Access Now und Amnesty International. Gelingt es dem Bündnis, innerhalb eines Jahres insgesamt eine Million Unterschriften in mindestens sieben EU-Ländern zu sammeln, muss sich die EU-Kommission mit der Forderung auseinandersetzen.
Das Bündnis fordert die EU-Kommission dazu auf, “den Einsatz biometrischer Technologien streng zu regeln, um jegliche unzulässige Eingriffe in die Grundrechte zu verhindern”. Entsprechende Systeme sollten von öffentlichen oder privaten Stellen weder entwickelt noch eingesetzt werden dürfen – auch nicht zu Testzwecken. Denn die Verwendung biometrischer Daten könne zu “unnötigen oder unverhältnismäßigen Eingriffen in die Grundrechte der Menschen führen”. Die EU-Kommission soll daher einen Rechtsakt vorschlagen, um “die biometrische Massenüberwachung gezielt und ausdrücklich” zu verbieten.
“Reclaim Your Face” setzt sich nicht nur für ein Verbot von Gesichtserkennung ein: Es geht dem Bündnis auch um Systeme, die Merkmale wie Augen, Venen und Stimmen erfassen oder Menschen anhand ihres Ganges oder Herzrhythmus erkennen. Biometrische Merkmale gelten als besonders sensibel, da sie sich nicht verändern lassen. Menschen können ihr Leben lang über sie identifiziert werden. Gleichzeitig gelten die Systeme zur Erfassung solcher Daten als enorm fehleranfällig. Dies berge immense Risiken und könne auch Unschuldige ins Gefängnis bringen, so der Chaos Computer Club.
Biometrische Daten dürfen in der EU zwar bisher nur unter strengen Auflagen verarbeitet werden, laut dem Bündnis greifen Behörden und auch private Stellen aber immer häufiger auf solche Daten zurück, um den öffentlichen Raum zu überwachen. “Eine unterschiedslose oder stichprobenartige Verwendung derartiger Technologien ist biometrische Massenüberwachung”, heißt es von der Bürgerinitiative. Menschen würden so zu “laufenden Barcodes”. Zudem könne eine flächendeckende Erfassung von biometrischen Daten einen negativen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben haben: Wer vermutet, beobachtet zu werden, ändert sein Verhalten und nimmt beispielsweise nicht mehr an Versammlungen teil.
“Biometrische Versuchskaninchen”
Die Zeit dränge, denn schon heute würden Menschen als “biometrische Versuchskaninchen missbraucht”. Der CCC verweist auf Unternehmen wie Clearview AI und PimEyes, die mit Fotos aus dem Internet Gesichtsdatenbanken aufgebaut haben.
Der Verein Digitalcourage nennt das Sächsische Polizeigesetz als Negativbeispiel: Es erlaube der Polizei unter bestimmten Bedingungen, Gesichtserkennung an den Grenzen zu Polen und Tschechien einzusetzen. Jede Person werde so potenziell verdächtigt.
Es habe sich bereits gezeigt, dass der Einsatz von biometrischer Massenüberwachung in der EU das Recht auf Privatsphäre, freie Meinungsäußerung, Protest und auf Diskriminierungsfreiheit einschränke. Auch habe die Technik zu Verstößen gegen das EU-Datenschutzrecht geführt.
“Wenn wir uns jetzt nicht kollektiv wehren, werden wir bald nicht nur im Internet, sondern auch in der Offline-Welt auf jedem Schritt und Tritt überwacht”, sagte Matthias Marx vom CCC. Massenüberwachung sei ein kollektives Problem.
“Wir wollen, dass sich Menschen frei bewegen können, ohne Angst haben zu müssen, dass ihre Körper und ihr Verhalten ständig gefilmt und analysiert werden”, sagte Friedemann Ebelt von Digitalcourage. Gesetze und Technik sollten grundsätzlich “überwachungsfrei und grundrechtsschonend sein”.
Eine Million Unterschriften
Die Initiative sammelt nun über ihre Webseite Unterschriften. Insgesamt müssen sich innerhalb von einem Jahr eine Million Menschen aus der EU beteiligen. Dabei muss in sieben Mitgliedsstaaten eine Mindestzahl erreicht werden; in Deutschland liegt diese bei 67.680 Unterschriften.
Erreicht “Reclaim Your Face” dieses Ziel, muss sich die EU-Kommission mit den Organisatoren der Kampagne treffen. Außerdem wird die Initiative in einer öffentlichen Anhörung dem Europäischen Parlament vorgestellt. Das Parlament kann sich anschließend in einer Plenarsitzung mit dem Thema weiter auseinandersetzen. Innerhalb von sechs Monaten muss die Kommission zudem begründen, weshalb sie gegebenenfalls Folgemaßnahmen ergreift oder diese ausschließt.
Die EU-Kommission hatte im vergangenen Jahr ein zeitlich befristetes Verbot von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum diskutiert. In dem im Februar 2020 veröffentlichten Weißbuch zur künstlichen Intelligenz ist das Verbot allerdings kein Thema mehr. Dennoch stuft die EU-Kommission Gesichtserkennung hierin als Hochrisiko-Anwendung ein. (js)