England: Gesichtserkennung soll Stimmung von Menschen auswerten

Überwachungskamera
Überwachungskameras in der Stadt Gainsborough sollen in Zukunft an ein Gesichtserkennungssystem angebunden werden. (Quelle: Public Domain)

Wer ist mit einem Schirm unterwegs, wer guckt grimmig: All das will die Polizei in der britischen Grafschaft Lincolnshire künftig mit einer Gesichtserkennungs-Software auswerten. Wie die Zeitung “The Times” berichtet, soll die eingesetzte Software die Gemütslage von Menschen ebenso analysieren wie ihren Gesichtsausdruck. Polizisten könnten so auch nach Personen suchen, die beispielsweise eine Brille oder eine Tasche tragen. Zusätzlich erkennt das System Kennzeichen. Als Testort wurde die Stadt Gainsborough mit gerade einmal 20.000 Einwohnern ausgewählt.

Laut der Lokalzeitung “Lincolnshire Reporter” sollen neue Überwachungskameras in Gainsborough an Orten aufgestellt werden, die als Kriminalitätsschwerpunkte gelten. Auch vorhandene Kameras sollen aufgerüstet werden – einige bieten dann einen 360-Grad-Blickwinkel. Die Polizei verspricht sich von der Technik neue Möglichkeiten, um Straftaten erkennen zu können.

Finanziert vom Innenministerium

Das britische Innenministerium finanziert das Projekt. Das System soll die Aufnahmen nicht in Echtzeit analysieren, sondern Polizisten werten die Aufzeichnungen nachträglich mit Suchbegriffen aus. Die Aufnahmen will die Polizei nach 31 Tagen löschen.

Wann die Polizei ihren Versuch in Lincolnshire startet, ist derzeit noch unklar. Ein Sprecher sagte dem Spiegel, die Kameras kämen frühestens Anfang nächsten Jahres zum Einsatz. Bedenken in Bezug auf den Datenschutz sehe er nicht. Vor dem Einsatz des Systems will die Polizei die Auswirkungen auf Datenschutz und Menschenrechte noch untersuchen. Entschieden sei auch noch nicht, wer das gewünschte System liefern soll, schreibt die Times.

Das Vorhaben weckt Erinnerungen an China, wo große Teile des öffentlichen Lebens mit Kameras überwacht werden. Laut Financial Times nutzt die chinesische Regierung in der autonomen Region Xinjiang auch Gesichtserkennung, die Emotionen auswertet. Damit sollen Verdächtige erkannt und Straftaten verhindert werden.

Wissenschaftler von verschiedenen US-amerikanischen Universitäten hatten jedoch 2019 in einer Studie festgestellt, dass von Gesichtsausdrücken nicht zuverlässig auf Emotionen geschlossen werden kann. Ein Mensch, der finster dreinblicke, sei nicht unbedingt wütend. Algorithmen, die Stimmungen erkennen sollen, haben demnach eine hohe Fehlerquote.

Silkie Carlo von der Bürgerrechtsorganisation Big Brother Watch kritisiert das Vorhaben der englischen Polizei: “Sie bringen sich selbst in rechtliche Schwierigkeiten, indem sie Menschenrechte verletzen und die staatliche Überwachung ausbauen, während niemand hinsieht.” Die Organisation kritisiert schon lange, dass in Großbritannien Gesichtserkennung zum Einsatz kommt, ohne dass es dafür eine gesetzliche Regelung oder eine Prüfung durch das Parlament gibt.

Gesichtserkennung in Wales ist rechtswidrig

Erst Anfang August hatte das Londoner Berufungsgericht entschieden, dass die von der Polizei in Südwales eingesetzte Gesichtserkennung gegen Persönlichkeitsrechte und Datenschutzbestimmungen verstößt. Die Polizei habe außerdem nicht geklärt, ob die eingesetzte Software Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts diskriminiert.

Die Polizei in Südwales hatte die Gesichtserkennung seit 2017 eingesetzt, unter anderem bei Demonstrationen und Fußballspielen. Dabei wurden Gesichter automatisch mit einer Datenbank abgeglichen, in der Fotos von gesuchten Personen gespeichert waren. Im Jahr 2017 hatte das System dabei über 2.000 Menschen fälschlicherweise als Kriminelle identifiziert – die Fehlerquote lag bei 92 Prozent. Ein ehemaliger Stadtrat hatte gegen die Gesichtserkennung geklagt.

Aufsichtsbehörde fordert aktuelle Regeln

Die Aufsichtsbehörde für Überwachungskameras begrüßte das Urteil. Gesichtserkennung solle nicht eingesetzt werden, solange die Polizei nicht nachweisen kann, dass der Einsatz fair und nicht diskriminierend ist. Das Innenministerium müsse die aus dem Jahr 2013 stammende Vorschrift für den Einsatz von Überwachungskameras nun in Hinblick auf Gesichtserkennung überarbeiten. Das Urteil bedeute aber nicht das Ende der Technik in Großbritannien.

Auch die Londoner Polizei setzt automatische Gesichtserkennung ein. Wissenschaftler der Universität Essex hatten sechs von zehn Probeeinsätzen der Londoner Polizei begleitet und einen unabhängigen Bericht verfasst. Ihr Ergebnis: Nur in 19 Prozent der Fälle identifizierte das System Personen korrekt – es hat also eine Fehlerquote von 81 Prozent. Zudem merkten die Wissenschaftler an, dass eine rechtliche Grundlage für den Einsatz der Technik fehlt. (js)