EuGH-Generalanwältin hält Fingerabdruckpflicht in Personalausweisen für gültig

Personalausweis mit Fingerabdruck
Seit dem 2. August 2021 müssen für einen neuen Personalausweis zwei Fingerabdrücke abgegeben werden, die auf dem Chip des Ausweises gespeichert sind. (Quelle: IMAGO / Christian Ohde)

Die Generalanwältin Laila Medina des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hält die verpflichtende Speicherung von zwei Fingerabdrücken im Personalausweis für rechtens. Damit werde nicht gegen das Recht auf Privatleben im Hinblick auf die Verarbeitung personenbezogener Daten verstoßen, erklärte sie am Donnerstag in ihren Schlussanträgen in Luxemburg. Mit einem Urteil in dem Verfahren wird erst in einigen Monaten gerechnet.

Hintergrund des laufenden Verfahrens ist eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden. Der Kläger hatte kurz nach dem Inkrafttreten der Fingerabdruckpflicht im Jahr 2021 einen Personalausweis ohne die Speicherung seiner Fingerabdrücke beantragt. Weil sein Antrag abgelehnt wurde, zog er vor Gericht – das Verwaltungsgericht hatte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden EU-Verordnung geäußert und dem EuGH Fragen vorgelegt.

Die Generalanwältin des EuGH erklärte nun, ihrer Ansicht nach sei die obligatorische Erfassung und Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen gültig. Ziel der entsprechenden EU-Verordnung sei es, Fälschungen und Dokumentenbetrug zu bekämpfen. Zu diesem Zweck Fingerabdrücke auf dem Chip im Ausweis zu speichern sei “geeignet und erforderlich” und gehe nicht über das absolut Notwendige zur “Erreichung des Hauptziels” der Verordnung hinaus. Insbesondere scheine es keine Methode zu geben, die “gleichermaßen geeignet” sei wie die Fingerabdruckspeicherung und dabei weniger in die Privatsphäre eingreife.

Außerdem biete die EU-Verordnung nach Ansicht der Generalanwältin “hinreichende und geeignete” Maßnahmen, um die biometrischen Daten vor Missbrauch zu schützen.

Biometrische Daten sind besonders sensibel, weil sie sich nicht verändern lassen und Menschen ein Leben lang über sie identifiziert werden können. Kritiker sehen daher ein großes Missbrauchspotenzial durch die verpflichtende Fingerabdruckabgabe.

Das Wiesbadener Verwaltungsgericht hatte außerdem Zweifel an der Rechtmäßigkeit der EU-Verordnung geäußert, weil keine Datenschutzfolgeabschätzung durchgeführt worden sei und weil die Richter mögliche formelle Fehler im Gesetzgebungsverfahren gesehen hatten. Doch nach Ansicht der Generalanwältin war die Folgeabschätzung nicht verpflichtend und die Verordnung wurde auf Basis der richtigen Rechtsgrundlage erlassen.

Die Generalanwälte des EuGH unterbreiten dem Gerichtshof einen Entscheidungsvorschlag. Dieser ist für die Richter nicht bindend, oft orientieren sie sich jedoch daran.

Kritische Nachfragen bei Anhörung

Der Verein Digitalcourage, der die Klage in Wiesbaden unterstützt, erklärte, die Schlussanträge seien lückenhaft. Julia Witte von Digitalcourage kommentierte: “Das Gutachten liest sich, als wäre die Generalanwältin in einer anderen Verhandlung gewesen als wir.” Selbst die Anwältin des EU-Rates habe in der Verhandlung teilweise Schwächen der Verordnung eingestanden. “Die Generalanwältin klammert jetzt die offensichtlichen Probleme einfach aus.” Der Verein zeigte sich zuversichtlich, “dass der EuGH die angegriffenen Grundrechtseinschränkungen im Urteil stärker gewichten wird”.

Den Verlauf der Anhörung des Falls vor dem Gerichtshof im März hatte der Verein positiv bewertet. Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler, der Digitalcourage vertritt, hatte damals erklärt: “Wir sehen viele unserer Kritikpunkte bestätigt und blicken optimistisch auf den weiteren Verlauf des Verfahrens.”

Digitalcourage zufolge hatte es in der Anhörung besonders kritische Nachfragen der Richterinnen und Richter an EU-Vertreter zu der in der Verordnung eingeräumten Frist zwischen der Erhebung der Fingerabdrücke bei den Behörden und der vorgeschriebenen Löschung gegeben. Demnach dürfen die Fingerabdrücke bis zu 90 Tage in den Behörden gespeichert werden. Digitalcourage kritisiert, in dieser Zeit könnten die Daten bei den Behörden gestohlen werden.

Scharfe Kritik im Vorfeld

Seit August 2021 müssen Bürgerinnen und Bürger zwei Fingerabdrücke abgeben, wenn sie einen neuen Personalausweis beantragen. Der Deutsche Bundestag hatte die Fingerabdruckpflicht bereits im Jahr 2020 beschlossen und damit eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2019 umgesetzt, deren Rechtmäßigkeit der EuGH aktuell prüft.

Schon während des deutschen Gesetzgebungsverfahrens hatte es scharfe Kritik an dem Vorhaben gegeben: So hatte beispielsweise Digitalcourage das Gesetz damals als unverhältnismäßig kritisiert und bemängelt, es verstoße sowohl gegen das deutsche Grundgesetz als auch gegen die EU-Grundrechtecharta.

Friedmann Ebelt von Digitalcourage hatte bei einer Anhörung im Innenausschuss im Oktober 2020 gesagt: “Die geplante Fingerabdruck-Pflicht kommt aus unserer Sicht einem Generalverdacht gegen Bürgerinnen und Bürger gleich. Denn erfasst werden sollen millionenfach hochsensible biometrische Körpermerkmale – von allen. Also von fast ausschließlich rechtstreu lebenden Menschen, die keine kriminellen Absichten haben.”

Auch das Netzwerk Datenschutzexpertise hatte damals verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. Thilo Weichert, ehemals Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein und Mitglied des Netzwerks Datenschutzexpertise, hatte in einem Gutachten die Speicherung von zwei vollständigen Fingerabdrücken als rechtswidrig bezeichnet. Nach seiner Einschätzung ist nur die Speicherung der sogenannten Minuzien zulässig – das sind die eindeutigen Merkmale eines Fingerabdrucks, wie Endpunkte und Verzweigungen.

Bereits im Jahr 2018 hatte auch der Europäische Datenschutzbeauftragte empfohlen, nur Minuzien auf dem Personalausweis-Chip zu speichern.

Zuletzt hatte auch das Verwaltungsgericht Hamburg Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Speicherpflicht geäußert. Die Richter hatten erklärt, die EU-Verordnung könnte gegen die in der EU-Grundrechtecharta festgeschriebenen Rechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten verstoßen.

In dem Fall aus Hamburg hatte das Gericht die zuständige Behörde angewiesen, dem Kläger einen befristet gültigen Ausweis ohne Fingerabdrücke auszustellen. (dpa / js)