Indien: 27 Millionen Menschen von Internetsperre betroffen
Die Behörden im indischen Bundesstaat Punjab haben am vergangenen Wochenende das mobile Internet sperren lassen. Die Maßnahme soll nach Behördenangaben Unruhen und angeblichen Falschinformationen vorbeugen. Betroffen sind etwa 27 Millionen Menschen – Kritiker halten die Blockade für unverhältnismäßig.
Medienberichten zufolge hatten die Behörden die Internetsperre am vergangenen Samstag zunächst für 24 Stunden angeordnet und anschließend wiederholt verlängert. Am Montag verfügte die Regionalregierung eine erneute Verlängerung für den gesamten Bundesstaat bis Dienstagmittag (Ortszeit). In einigen Bezirken sollen die Einschränkungen noch bis Donnerstag gelten.
Nach Angaben der Washington Post wurde das mobile Internet in Punjab komplett gesperrt – auch Textnachrichten lassen sich größtenteils nicht mehr versenden oder empfangen. Sprachanrufe und Festnetzanschlüsse seien hingegen nicht betroffen. Der Zeitung zufolge handelt es sich um eine der weitreichendsten Internetblockaden der vergangenen Jahre in Indien. Der Bundesstaat Punjab hat etwa 27 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.
Polizei will Separatisten festnehmen
Hintergrund ist die Fahndung nach dem Sikh-Separatisten Amritpal Singh. Er gilt als prominente Persönlichkeit einer separatistischen Bewegung, die in Punjab einen souveränen Staat errichten will. Die Bewegung ist in Indien verboten.
Wie der Guardian berichtet, hatte Singh Ende Februar gemeinsam mit Anhängern eine Polizeistation gestürmt und die Freilassung eines festgenommenen Separatisten gefordert. Am vergangenen Samstag habe ihn die Polizei dann zum “Flüchtigen” erklärt und eine Fahndung eingeleitet. Dabei seien auch im ganzen Bundesstaat Straßensperren errichtet worden.
Die ebenfalls am Samstag verhängte Internetblockade wurde seitens der Behörden damit begründet, Unruhen vorbeugen und die Verbreitung angeblicher Falschinformationen eindämmen zu wollen. Die Washington Post merkt an, die Behörden wollten wahrscheinlich auch die Nutzung der sozialen Netzwerke einschränken, nachdem sich Anhänger von Singh dort am Samstag versucht hätten zu organisieren.
In Punjab sei es am Wochenende zu Protesten gekommen, bei denen die Freiheit Singhs gefordert wurde. Mehr als 100 seiner Anhänger wurden Polizeiangaben zufolge verhaftet. Anhänger hatten am Sonntag auch in London vor der indischen Botschaft demonstriert – dabei wurden Scheiben des Gebäudes eingeworfen.
Prasanth Sugathan, juristischer Direktor der indischen Organisation Software Freedem Law Center, sagte gegenüber der Washington Post, außerhalb der Region Kaschmir würden die indischen Behörden Internetsperren in der Regel auf bestimmte Bezirke begrenzen. Indische Gerichte hätten die Behörden bei der früheren Überprüfung von Internetsperren verpflichtet, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. “Eine Internetsperre im gesamten Staat ist definitiv nicht verhältnismäßig”, urteilte Sugathan. Ein Internetzugang sei heutzutage “für fast alles” wichtig – die Auswirkungen auf die Menschen seien daher “unvorstellbar”.
Indien sperrt besonders häufig
In den vergangenen fünf Jahren wurden in Indien mehr Internetsperren verhängt als in jedem anderen Land der Welt, so die Organisation Access Now in ihrem jährlichen Bericht. Demnach ordnete die indische Regierung alleine im vergangenen Jahr 84 Abschaltungen an – weltweit hat Access Now 187 Blockaden im Jahr 2022 dokumentiert.
Mehr als die Hälfte der Internetsperren in Indien im Jahr 2022 betrafen das umstrittene Unionsterritorium Jammu und Kashmir, das als politisch instabil gilt. Dort sperrten die Behörden den Netzzugang bis zu 100 Tage lang. Auch in Westbengalen und Rajasthan verhängten die Behörden mehrfach Internetsperren. Anlass dafür waren unter anderem Proteste, öffentliche Gewalt, aber auch Schulprüfungen.
Access Now kritisiert in dem Bericht, die vielen Einschränkungen im Jahr 2022 hätten das tägliche Leben von Millionen Menschen beeinflusst. So seien beispielsweise viele Unternehmer auf den Zugang zum Internet angewiesen.
Raman Jit Singh Chima von Access Now sagte der Washington Post mit Blick auf die aktuelle Situation in Punjab, diese könne durch die Internetsperre noch gefährlicher werden. Weil unabhängige Berichterstattung erschwert werde, könnte dies etwa die Verbreitung von Gerüchten begünstigen.
Access Now forderte, die Sperre aufzuheben – die Bewohnerinnen und Bewohner des Bundesstaates würden von Informationen abgeschnitten und könnten nicht mehr untereinander kommunizieren. Die Organisation fordert zudem eine Überarbeitung der Gesetze, die Lokalregierungen zum Verhängen von Internetsperren ermächtigen.
Das UN-Menschenrechtsbüro hatte im Sommer 2022 in einem Bericht kritisiert, Internetsperren hätten “dramatische Auswirkungen” auf das Leben und die Menschenrechte von Millionen Menschen. Die Situation gefährde die Sicherheit und das Wohlergehen von Menschen, weil sie ohne Kommunikationsmöglichkeiten beispielsweise nicht vor Gefahren gewarnt werden können. (js)