Weltklimarat legt Abschlussbericht vor

Bauer
Wohlhabende Länder hatten ärmeren 100 Milliarden für die Bewältigung der Folgen des Klimawandels versprochen. Angekommen ist bislang nur ein Bruchteil dieses Betrags. (Quelle:
IMAGO / NurPhoto)

Zögern war gestern: Es muss sofort gehandelt werden, und das weltweit. Das macht der Weltklimarat (IPCC) in seinem Synthesebericht vom Montag so deutlich wie nie zuvor. Denn die Erderwärmung werde 1,5 Grad Celsius bereits in den 2030er Jahren überschreiten.

In dem Bericht warnt der IPCC, der Klimawandel nehme weiter Fahrt auf, Folgen wie Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürren häuften sich bereits und werden extremer. Ohne sofortige Maßnahmen werde das Leben auf der Erde für kommende Generationen unberechenbar und deutlich gefährlicher.

“Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das menschliche Wohlbefinden und die Gesundheit des Planeten”, heißt es in dem Bericht. Die durchschnittliche Erwärmung über Landflächen und Ozeanen liegt bereits bei rund 1,1 Grad Celsius im Vergleich zum Zeitraum 1850 bis 1900 – auf den Landflächen schon bei 1,6 Grad. Der Weltklimarat ruft in Erinnerung, dass die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur seit 1970 so stark gestiegen ist wie in keiner anderen 50-Jahre-Periode seit mindestens 2000 Jahren.

Globale Emissionen steigen weiter an

Die Menschheit bringt weiterhin immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre ein. 2019 lagen die globalen Emissionen etwa 12 Prozent höher als 2010 – und 54 Prozent über dem Wert von 1990.

Auch der Anstieg des globalen Meeresspiegels beschleunigt sich weiter und beträgt mittlerweile 3,7 Zentimeter pro Jahr. Bis 2100 könnte der Meeresspiegel einen halben bis ganzen Meter höher liegen als im Vergleichszeitraum 1995 bis 2014.

Eigentlich wollten die Staaten eine Erderwärmung um mehr als 1,5 Grad bis zum Jahr 2100 verhindern, um noch schlimmere Auswirkungen der Erderhitzung abzuwenden. Um dieses Ziel noch erreichen zu können, müssten die weltweiten CO2-Emissionen nun allerdings sehr schnell sinken: bis 2030 bereits um 48 Prozent gegenüber 2019. Sie steigen jedoch seit Jahrzehnten immer weiter an – abgesehen von einem vorübergehenden Rückgang während der Corona-Pandemie.

Erstmals gibt der Weltklimarat nun auch eine konkrete Vorgabe: Bis 2035 müssten die globalen Emissionen um 65 Prozent gegenüber 2019 sinken. “Das Tempo und der Umfang der bisherigen Maßnahmen sowie die derzeitigen Pläne sind unzureichend, um den Klimawandel zu bekämpfen”, stellt der Weltklimarat fest.

“Wir Wissenschaftler wünschten uns, dass die Kehrtwende im Klimaschutz, aber auch in der Anpassung an die Auswirkungen deutlicher, mutiger und schneller angegangen wird”, sagte Matthias Garschagen, Klimaforscher der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Mitautor des Syntheseberichts. Dass man Kehrtwenden auch zügig hinbekommen kann, hätte man jüngst gesehen. “Die Welt ist recht erstaunt, wie schnell wir uns beispielsweise von russischem Gas unabhängig machen.”

Garschagen betonte, Klimaschutzmaßnahmen seien nicht nur mit Kosten und Herausforderungen verbunden. Städte beispielsweise würden durch mehr Gewässer, Grünflächen und Beschattung auch lebenswerter. Klimaschutz sichere mittelfristig Wohlstand. Zudem wies der Wissenschaftler darauf hin, dass parallel zu einer starken Reduzierung der Emissionen auch eine Entnahme von CO2 aus der Luft nötig sei, um die Klimaschutzziele überhaupt noch erreichen zu können.

Gegenmaßnahmen weiterhin unzureichend

Fast die Hälfte der Weltbevölkerung, bis zu 3,6 Milliarden Menschen, leben in Regionen, die besonders stark die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen werden – besonders in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika, auf kleinen Inseln und in der Arktis. An Überschwemmungen, Dürren, Ernährungskrisen und Wasserknappheit leiden insbesondere Menschen in den am wenigsten wirtschaftlich entwickelten Ländern, indigene Völker, kleine Lebensmittelproduzenten und Haushalte mit niedrigen Einkommen. Von 2010 bis 2020 war die Sterblichkeit durch Überschwemmungen, Dürren und Stürme in stark gefährdeten Regionen 15-mal höher als in Gegenden mit sehr geringer Gefährdung. Die wirtschaftlich am wenigsten entwickelten Länder mit den niedrigsten Pro-Kopf-Emissionen sind vom Klimawandel am stärksten betroffen.

So tragen beispielsweise vor allem Haushalte in wirtschaftsstarken Staaten zu den verbrauchsbedingten Treibhausgasemissionen bei: Das Zehntel der Haushalte mit dem höchsten Pro-Kopf-Ausstoß ist für bis zu 45 Prozent Emissionen verantwortlich, die Hälfte mit dem niedrigsten Ausstoß hingegen nur für höchstens 15 Prozent.

Wenn die Regierungen ihre Anstrengungen zur Minderung der Emissionen nicht deutlich ausbauen, steuere die Welt auf eine Erwärmung von 2,2 bis 3,5 Grad bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu, warnte der Generalsekretär der Weltwetterorganisation (WMO), Petteri Taalas.

Doch der Weltklimarat verkündet auch gute Nachrichten: Vorhaben zur Eindämmung des Klimawandels würden zunehmend günstiger. Von 2010 bis 2019 sind dem Weltklimarat zufolge die Kosten pro Einheit bei der Solarenergie um 85 Prozent, bei der Windenergie um 55 Prozent und bei Lithium-Ionen-Batterien um 85 Prozent gesunken. In diesem Zeitraum habe der Einsatz von Solarenergie um das Zehnfache und die Anzahl der E-Fahrzeuge um mehr als das 100-Fache zugenommen. Ziel müsse sein, schnellstmöglich CO2-neutral zu werden. In diesem Jahrzehnt müssten Entscheidungen und Maßnahmen getroffen werden, die Auswirkungen auf Tausende von Jahren hätten, so der Weltklimarat.

“Überlebensleitfaden für die Menschheit”

Der Weltklimarat geht selbst in den beiden optimistischsten Szenarien mit sehr deutlicher Emissionsminderung davon aus, dass die Erwärmung 1,5 Grad vorübergehend überschreiten dürfte, und dies für mehrere Jahrzehnte. “Öffentliche und private Finanzströme für fossile Brennstoffe sind immer noch größer als die für Klimaanpassung und Klimaschutz”, hieß es in dem Bericht.

Der Vorsitzende des Weltklimarats, Hoesung Lee, nannte das Dokument dennoch eine “Botschaft der Hoffnung”: Denn das Wissen sei da, um den Klimawandel nachhaltig zu begrenzen, ebenso die finanziellen Mittel. Es müsse aber drei bis sechs Mal so viel investiert werden wie heute.

Der nun veröffentlichte Abschlussbericht beruht auf acht Berichten, die Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler innerhalb der vergangenen acht Jahre erarbeitet hatten. Er bringt ihre Erkenntnisse auf den Punkt und dient als Handlungsgrundlage für die Politik.

Der Bericht sei eine “Leitfaden zur Entschärfung der Klima-Zeitbombe” sagte UN-Generalsekretär António Guterres. “Er ist ein Überlebensleitfaden für die Menschheit.” Guterres verlangte, dass Industrieländer das Netto-Null-Ziel bei den Emissionen möglichst schon bis 2040 statt 2050 erreichen.

Der Weltklimarat (IPCC) ist ein Gremium aus 195 Mitgliedsländern. Die Staaten hatten tagelang um jede Formulierung gerungen und den Synthesebericht am Ende abgesegnet. Das bedeutet, dass sie den Inhalt nicht mehr in Zweifel ziehen.

Darauf aufbauend wollen die Staaten in diesem Jahr anschauen, wie sich die bislang versprochenen Maßnahmen mit den Klimaschutzzielen vereinbaren lassen. Die Bilanz dürfte ernüchternd ausfallen.

Auch Deutschland hinkt hinterher

Karsten Smid von Greenpeace betonte angesichts des neuen IPCC-Berichts, nun zähle jeder Tag, um den Umbau der Energiesysteme im privaten und industriellen Bereich voranzubringen. “Für den deutschen Beitrag zum Klimaschutz muss die Ampelregierung ihr ”https://posteo.de/news/us-behörden-schnellster-meeresspiegelanstieg-seit-2000-jahren" target="_blank">lähmendes Hickhack um E-Fuels, Tempolimit und LNG-Überkapazitäten endlich beenden." Greenpeace Deutschland pocht auf einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, einen Kohleausstieg bis 2030 – auch in Ostdeutschland – und einen Verzicht auf die Erschließung weiterer Gasfelder.

“Die Zeit des Wartens und Abwägens ist vorbei. Die Bundesregierung muss beim Klimaschutz nun endlich das angekündigte “Deutschland-Tempo” vorlegen", forderte die Geschäftsführende Vorständin des Bündnisses Klima-Allianz, Christiane Averbeck. “Die Klimakrise lässt uns keine Zeit für Koalitionsstreitigkeiten.”

Fridays for Future merkte mit Blick auf den Kanzler an: “Olaf Scholz und mit ihm die gesamte Regierung stehen in der Pflicht, jeglichen Blockaden konsequenten Klimaschutzes resolut entgegenzutreten und endlich gerechte Schritte zur Eindämmung der Klimakrise umzusetzen.”

Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) mahnte ebenfalls größere Anstrengungen zur Bewältigung der Klimakrise an: “Jedes zusätzliche Zehntelgrad macht es uns schwerer, die Klima-Auswirkungen in einem Ausmaß zu halten, mit dem wir als Gesellschaft und Volkswirtschaft noch umgehen können.”

Mehrere Organisationen verlangten auch eine Aufstockung deutscher Unterstützung für ärmere Länder, die besonders unter dem Klimawandel leiden. So forderte der WWF, dass Deutschland international bis 2025 Gelder in Höhe von jährlich sechs Milliarden Euro bereitstellen und auf acht Milliarden Euro erhöhen soll, um Länder des Globalen Südens bei ihren Bemühungen zu unterstützen.

Global wachse die Differenz zwischen den geschätzten Kosten der nötigen Anpassungen und den eingeplanten finanziellen Mitteln, so der Weltklimarat. Er verweist darauf, dass reiche Länder ihr Versprechen von 100 Milliarden Dollar im Jahr für die ärmsten Länder noch nicht umgesetzt haben.

Dabei sei global genügend Geld vorhanden, um die klimaschädlichen Treibhausgase zügig zu reduzieren. Regierungen müssten durch Förderung von Projekten und Studien, Subventionen und Rahmenbedingungen für Investoren die richtigen Zeichen setzen. “Der Ball liegt im Feld der Politik”, sagte Mitautor Geden. (dpa / hcz)