Israelische Behörden sollen in US-Prozess gegen NSO eingegriffen haben
Israelische Behörden sollen im Jahr 2020 Dokumente beim Spionagesoftware-Entwickler NSO Group beschlagnahmt haben – um zu verhindern, dass diese in einem laufenden Verfahren an ein US-Gericht ausgehändigt werden können. Das ist das Ergebnis einer internationalen Recherche. Hintergrund ist eine bereits 2019 eingereichte Klage von WhatsApp gegen das israelische Unternehmen.
Im Juli 2020 sollen die Behörden Material in den Büros von NSO beschlagnahmt haben, weil Sorge bestand, dass in dem Verfahren bestimmte Interna von NSO öffentlich werden. Die NSO-Verantwortlichen sollen sich etwa gesorgt haben, dass Ihre Kundenliste öffentlich werden könnte. Auch von der Regierung engagierte Anwälte sollen NSO in dem Verfahren geholfen haben.
Das berichtet die Organisation Forbidden Stories gemeinsam mit internationalen Medien wie dem Guardian, dem Spiegel und der Zeit. Sie berufen sich auf Dokumente, die aus dem israelischen Justizministerium stammen sollen und Forbidden Stories zugespielt wurden.
Der Rechercheverbund hat das Material zudem von Sicherheitsexperten der Menschenrechtsorganisation Amnesty International prüfen lassen. In Interviews und Gesprächen seien die Informationen zudem bestätigt worden. Die Medien hätten sich “aufgrund des öffentlichen Interesses” zur Berichterstattung entschieden.
Angriffe auf Dissidenten und Aktivisten
WhatsApp und das Mutterunternehmen Meta werfen NSO in ihrer Klage vor, an Angriffen auf 1400 WhatsApp-Nutzer beteiligt gewesen zu sein. NSO hatte demnach eine damals bestehende Sicherheitslücke in der Anruffunktion von WhatsApp ausgenutzt, um seine umstrittene Spionagesoftware Pegasus in Smartphones einzuschleusen. Das angerufene Gerät wurde auch dann infiltriert, wenn der Anruf nicht angenommen wurde.
Angreifer können Geräte mithilfe von Pegasus komplett übernehmen und erhalten Zugriff auf alle darauf gespeicherten Daten. Sie können zudem Kamera und Mikrofon unbemerkt einschalten.
Unter den über WhatsApp angegriffenen Zielpersonen sollen Medienschaffende, Anwälte, Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten, Diplomaten und Regierungsbeamte gewesen sein. Laut Klage wurden für die Angriffe Server verwendet, die mit NSO in Verbindung stehen. Zudem konnte WhatsApp mehrere für die Attacken genutzte Benutzerkonten dem israelischen Unternehmen zuordnen.
Regierung engagiert Anwälte
Aus dem Rechtsstreit zwischen WhatsApp und dessen Mutterkonzern Meta sowie der NSO Group wurde den aktuellen Recherchen zufolge in Israel eine hochpolitische Staatsangelegenheit. So soll die Regierung von Benjamin Netanjahu für Hunderttausende US-Dollar Anwälte engagiert haben, die auch Schriftsätze der NSO-Juristen überarbeitet hätten. Sie sollen unter anderem Hinweise gelöscht haben, dass auch israelische Behörden zu den Kunden des Überwachungsanbieters gehören. Auch Details zum Genehmigungsprozess für Pegasus-Exporte sollen entfernt worden sein. Die Ausfuhr des Überwachungswerkzeuges muss von einer dem Verteidigungsministerium unterstellten Exportkontrollbehörde genehmigt werden.
Mitarbeitende des Ministeriums sollen ebenfalls Änderungen an den Unterlagen durchgeführt haben, berichten die Journalisten.
Im Vorfeld sollen die Anwälte des Unternehmens noch darauf gehofft haben, dass die Klage von WhatsApp abgewiesen werden könnte. Die Fortsetzung des Verfahrens habe im Sommer 2020 die Behörden schließlich veranlasst, die sensiblen NSO-Dokumente zu beschlagnahmen. Im Jahr 2023 habe eine Richterin zudem eine Geheimhaltungsanordnung erlassen – israelische Medien dürfen nicht über dieses Ereignis berichten. Themen der nationalen Sicherheit unterliegen in Israel der Militärzensur und gelegentlichen Nachrichtensperren. Auch wenn Medien in Israel ansonsten weitgehend frei berichten und kommentieren können. Laut den Recherchen gehe es im Fall von NSO darum, “schweren Schaden für die nationale Sicherheit des Staates Israel und dessen Außenbeziehungen” abzuwenden. Der Spiegel schreibt, das beschlagnahmte Material sollte dem US-Gericht offenbar bewusst vorenthalten werden.
Der Jurist Scott Horton von der Columbia Law School sagte den Medien gegenüber, es sei ein “merkwürdiges Vorgehen”. Offenbar solle verschleiert werden, dass NSO mittlerweile “ein integraler Bestandteil des israelischen Verteidigungsapparats” sei.
Donncha Ó Cearbhaill, Chef des Amnesty-Sicherheitslabors, sagte, die Enthüllungen würden kritische Fragen über Israels behördliche Aufsicht über das Unternehmen aufwerfen. Die Dokumente deuteten darauf hin, dass Israel aktiv versuche, die NSO Gruop vor der Rechenschaftspflicht für “ihre Rolle bei schweren Menschenrechtsverletzungen” zu schützen.
Das israelische Justizministerium erklärte gegenüber den Medien, man widerspreche der Behauptung, dem Verfahren in irgendeiner Form geschadet oder es behindert zu haben. NSO beantwortete von den Journalisten gestellte Fragen nicht.
Kritik an Pegasus
Das Unternehmen beteuert stets, die Spähsoftware Pegasus nur zu Zwecken der Strafverfolgung an Behörden zu verkaufen. Die Überwachungssoftware steht aber in der Kritik, weil sie wiederholt mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht wurde. So soll auch das Umfeld des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi mit Pegasus überwacht worden sein – vor und nach seiner brutalen Ermordung.
Bei NSO sollen sich Verantwortliche auch gesorgt haben, dass im Laufe des Gerichtsprozesses weitere Informationen über den Mord an dem Journalisten nach außen dringen könnten, schreibt der Spiegel.
Der Prozess in den USA läuft unterdessen weiter. NSO hatte versucht dies abzuwenden, indem es Immunität beantragt hatte – auch das soll den Recherchen zufolge ein Vorschlag des israelischen Justizministeriums gewesen sein. Das Oberste US-Gericht hatte Anfang 2023 einen entsprechenden Antrag abgelehnt und die Klage ermöglicht.
Erst im März hatte die zuständige Richterin NSO verpflichtet, den Quelltext von Pegasus herauszugeben. Das Unternehmen soll dem bisher aber nicht nachgekommen sein.
Weitere Klagen
Auch Apple klagt in den USA gegen das israelische Unternehmen. Ziel dieser Klage ist es, NSO für die Überwachung und die gezielten Angriffe auf Apple-Nutzerinnen und -Nutzer zur Verantwortung zu ziehen. NSO hatte beantragt, diese Klage abzuweisen – der Antrag wurde Anfang 2024 jedoch abgelehnt.
Ebenfalls in den USA haben Medienschaffende der Nachrichtenseite El Faro aus El Salvador gegen NSO geklagt. Sicherheitsforscher vom kanadischen Citizen Lab hatten im Januar 2022 nachgewiesen, dass sie mit Pegasus überwacht wurden. Die Klagenden wollen unter anderem erreichen, dass NSO preisgeben muss, welcher Kunde für die Spähaktion verantwortlich ist.
Diese Klage wurde im März zwar abgewiesen, die Betroffenen sind jedoch in Berufung gegangen. Inzwischen unterstützten auch große Tech-Unternehmen wie Microsoft und Google diese Klage. (js)