Oberstes US-Gericht macht Weg frei für Klage gegen NSO
Der US-amerikanische Supreme Court hat am Montag einen Berufungsantrag des Spionagesoftwareanbieters NSO Group abgewiesen. Damit kann die Klage von WhatsApp und dessen Mutterkonzern Meta gegen die israelische Firma nun verhandelt werden.
NSO hatte versucht, das Verfahren abzuwenden und argumentiert, Technologien zur Strafverfolgung an staatliche Behörden zu verkaufen. Das Unternehmen sei daher Vertreter ausländischer Regierungen und sollte Anspruch auf Immunität nach US-Recht genießen. Nachdem zwei Vorinstanzen NSO die Immunität bereits abgesprochen hatten, hatte die Firma im April 2022 einen Berufungsantrag beim Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten gestellt.
Meta begrüßte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs und teilte mit: “Die Spionagesoftware von NSO hat Angriffe auf Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Regierungsbeamte ermöglicht. Wir sind der festen Überzeugung, dass ihre Operationen gegen US-Recht verstoßen und sie zur Verantwortung gezogen werden müssen.”
Klage aus dem Jahr 2019
In der im Jahr 2019 eingereichten Klage werfen WhatsApp und Meta dem israelischen Unternehmen vor, an Angriffen auf 1400 WhatsApp-Nutzer beteiligt gewesen zu sein. Unter den Zielpersonen seien Journalisten, Anwälte, Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten, Diplomaten und Regierungsbeamte gewesen.
Was ist Pegasus?
Pegasus ist eine Spionagesoftware der israelischen Firma NSO Group. Die Spähsoftware kann ein infiltriertes Gerät komplett übernehmen und beispielsweise die Kamera und das Mikrofon unbemerkt anschalten – oder sämtliche Daten kopieren. Auch Standortdaten lassen sich abrufen und Passwörter auslesen. Das Überwachungsprogramm steht seit Jahren im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in der Kritik.
NSO hatte demnach eine damals bestehende Sicherheitslücke in der Anruffunktion von WhatsApp ausgenutzt, um seine umstrittene Spionagesoftware Pegasus in Smartphones einzuschleusen. Das angerufene Gerät wurde auch dann infiltriert, wenn der Anruf nicht angenommen wurde. Für diese Angriffe seien Server genutzt worden, die mit NSO in Verbindung stehen. Zudem konnte WhatsApp mehrere für die Attacken genutzte Benutzerkonten dem israelischen Unternehmen zuordnen.
Meta argumentiert, NSO habe gegen US-Gesetze sowie gegen die WhatsApp-Nutzungsbedingungen verstoßen. Daher fordert der Konzern Schadensersatz und möchte NSO unter anderem untersagen lassen, Konten bei WhatsApp oder Facebook anzulegen.
US-Justizministerium hatte sich gegen Immunität ausgesprochen
Im Berufungsantrag von NSO an den Obersten Gerichtshof hatte das Unternehmen auch vorgeschlagen, in dem Fall eine Einschätzung des US-Justizministeriums einzuholen. Der Oberste Gerichtshof hatte das Ministerium daraufhin um eine Stellungnahme gebeten, die im November 2022 abgegeben wurde.
Das US-Justizministerium hatte darin erklärt, der Berufungsantrag des Unternehmens solle abgelehnt werden. Dem folgte der Gerichtshof nun.
Das US-Justizministerium hatte die Entscheidungen der Vorinstanzen als richtig beurteilt – und festgestellt, NSO habe im vorliegenden Fall “eindeutig keinen Anspruch auf Immunität”. Auch hätten weder das US-Außenministerium noch ein anderer Staat den Anspruch von NSO auf Immunität unterstützt.
Das Ministerium hatte zudem darauf verwiesen, dass die US-Regierung bereits im November 2021 Sanktionen gegen NSO verhängt hat: Das US-Handelsministerium hatte die israelische Firma damals in die sogenannte Entity List aufgenommen, weil ihre Aktivitäten “den nationalen Sicherheits- oder außenpolitischen Interessen der Vereinigten Staaten zuwiderlaufen”. Ohne eine Sondergenehmigung ist es US-Unternehmen verboten, bestimmte Technologien an Firmen auf dieser Liste zu verkaufen.
Laut dem Handelsministerium gibt es Beweise dafür, dass NSO Spionagesoftware entwickelt und an ausländische Regierungen geliefert hat. Diese Programme seien zur böswilligen Überwachung von Regierungsbeamten, Journalisten, Geschäftsleuten, Aktivisten, Wissenschaftlern und Botschaftsmitarbeitern eingesetzt worden. Autoritäre Regierungen hätten mit der Software auch Dissidenten außerhalb ihres Hoheitsgebietes ins Visier genommen, um abweichende Meinungen zu unterdrücken.
Medienschaffende und Apple klagen ebenfalls
Die Bürgerrechtsorganisation Access Now begrüßte die Entscheidung des Supreme Courts. Sie appellierte an das nun zuständige Gericht in Kalifornien, das Verfahren unverzüglich fortzusetzen.
Der Sicherheitsforscher John Scott-Railton vom Citizen Lab an der Universität Toronto, das wiederholt den Einsatz von Pegasus aufgedeckt hat, erklärte, NSO sehe sich nun mit einer Reihe hochkarätiger Klagen konfrontiert.
Denn in den USA klagen auch Medienschaffende der Nachrichtenseite El Faro aus El Salvador gegen NSO. Das Citizen Lab hatte im Januar 2022 nachgewiesen, dass sie mit Pegasus überwacht wurden. Die Klagenden wollen unter anderem erreichen, dass NSO preisgeben muss, welcher Regierungskunde für die Spähaktion verantwortlich ist.
Die Klage wurde im November 2022 vom Knight First Amendment Institute an der Columbia University im Namen der betroffenen Medienschaffenden eingereicht. Die bei dem Institut beschäftigte Anwältin Carrie DeCell erklärte die Auswirkungen der nun ergangenen Entscheidung: “Die heutige Entscheidung macht den Weg frei für Klagen von Technologieunternehmen sowie für Klagen von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die Opfer von Spionageangriffen geworden sind.” Sie kritisierte außerdem, der Einsatz von Spionagesoftware gegen Medienschaffende stelle “eine der größten Bedrohungen für die Pressefreiheit und die Demokratie” dar.
Auch Apple klagt in den USA gegen das israelische Unternehmen. Ziel dieser Klage ist es, NSO für die Überwachung und die gezielten Angriffe auf Apple-Nutzerinnen und -Nutzer zur Verantwortung zu ziehen.
Moratorium gefordert
NSO und die Spionagesoftware Pegasus stehen schon lange in Verbindung mit Menschenrechtsverletzungen. So soll die Spähsoftware auch im Fall des ermordeten saudischen Dissidenten Jamal Kashoggi eine Rolle gespielt haben. Im Sommer 2021 hatte zudem ein internationales Recherchekonsortium aufgedeckt, wie weltweit Medienschaffende, Menschenrechtler und Oppositionelle mit Pegasus überwacht wurden.
Seitdem sind Dutzende weitere Fälle bekannt geworden: So wurden unter anderem Aktivisten in Jordanien und Bahrain ausgespäht, Oppositionelle in Polen und Mitarbeiter des US-Außenministeriums in Uganda.
Organisationen wie Amnesty International und Reporter ohne Grenzen sowie UN-Menschenrechtsexperten fordern bereits seit längerem ein weltweites Moratorium für den Verkauf und die Weitergabe von Überwachungstechnologien. (js)