El Salvador: Journalisten und Aktivisten mit Pegasus ausspioniert

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Die Organisation Access Now schließt nicht aus, dass noch weitere Spionageopfer in El Salvador identifiziert werden. (Quelle: Unsplash)

In El Salvador wurden die Smartphones Dutzender Journalistinnen und Journalisten sowie Aktivisten mit der Spionagesoftware Pegasus infiltriert. Das haben Sicherheitsforscher vom Citizen Lab an der Universität Toronto gemeinsam mit der Bürgerrechtsorganisation Access Now nachgewiesen. Die Betroffenen hatten regierungskritisch berichtet.

Wie die Sicherheitsforscher berichten, wurden die Smartphones von 35 Personen zwischen Juli 2020 und November 2021 mit Pegasus infiziert. 23 der betroffenen Pressevertreter arbeiten für die Nachrichtenseite El Faro. Zudem wurden Mitarbeiter weiterer Medien sowie zwei freie Journalisten ausgespäht. Auch vier Aktivisten von drei verschiedenen Nichtregierungsorganisationen aus El Salvador wurden nachweislich mit Pegasus überwacht.

Was ist Pegasus?

Pegasus ist eine Spionagesoftware der israelischen Firma NSO Group. Die Spähsoftware kann ein infiltriertes Gerät komplett übernehmen und beispielsweise die Kamera und das Mikrofon unbemerkt anschalten – oder sämtliche Daten kopieren. Auch Standortdaten lassen sich abrufen und Passwörter auslesen. Das Überwachungsprogramm steht seit Jahren im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in der Kritik.

Begonnen hatte die Untersuchung im September 2021. Zuvor hatten mehrere der betroffenen Medienschaffenden ihre Smartphones mit einer von Amnesty International bereitgestellten Software selbst auf Spuren von Pegasus untersucht – und anschließend Access Now um Hilfe gebeten. Die Forscher des Citizen Labs bestätigten die Pegasus-Infektionen anschließend. In 16 Fällen konnten sie außerdem feststellen, dass die Angreifer mithilfe der Spionagesoftware Daten abgegriffen hatten – teils mehrere Gigabyte. Techniker von Amnesty International haben die Untersuchungsergebnisse bestätigt.

Nach Angaben des Citizen Labs handelte es sich in den meisten Fällen um sogenannte Zero-Click-Angriffe: Angreifer installieren das Spionageprogramm dabei aus der Ferne, ohne dass die Opfer aktiv werden müssen oder etwas von dem Angriff mitbekommen.

El Salvadors Regierung im Verdacht

Citizen Lab konnte die Angriffe bisher nicht eindeutig einem Kunden des Pegasus-Entwicklers NSO zuordnen. Eine Sprecherin von El Salvadors Präsident Nayib Bukele sagte Medienberichten zufolge, das Land sei kein Kunde der israelischen NSO Group. Sie kündigte an, die Regierung werde die Vorfälle untersuchen.

Nach Angaben des Citizen Labs gibt es jedoch eine Reihe von Indizien, die auf eine Verbindung zur autoritären Regierung El Salvadors hindeuten: So soll für den Angriff auf das Smartphone eines Journalisten von El Faro ein Pegasus-Kunde verantwortlich sein, den die Sicherheitsforscher “TOROGOZ” nennen. Dieser sei seit November 2019 fast ausschließlich in El Salvador aktiv – dies sei ein deutlicher Hinweis auf die Regierung als potenziellen Angreifer.

Außerdem hätten sich die Betroffenen mit Themen beschäftigt, an denen die Regierung ein großes Interesse habe: El Faro hatte im Jahr 2020 beispielsweise Verhandlungen zwischen Präsident Bukele und der kriminellen Bande MS-13 aufgedeckt. Unter anderem soll der Präsident inhaftierten Anführern der Bande Haftprivilegien als Gegenleistung für die Unterstützung seiner Partei bei den Parlamentswahlen im Jahr 2021 versprochen haben.

Gaspar Pisanu von Access Now kritisierte, die Überwachung mit Pegasus verletzte die Rechte der Betroffenen. “Dies ist ein klarer Versuch, die freie Presse in El Salvador zu unterdrücken und zu kontrollieren – keine Regierung, kein Unternehmen hat das Recht, das zu tun.”

Organisationen fordern Moratorium

Die Pegasus-Software steht schon lange wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik: Im Juli hatten die Organisationen Forbidden Stories und Amnesty International sowie mehrere internationale Medien aufgedeckt, wie weltweit Medienschaffende, Menschenrechtler und Oppositionelle mit der Spionagesoftware Pegasus überwacht wurden. Zu den weiteren potenziellen Ausspähzielen sollen Politiker wie der französische Präsident Emmanuel Macron und der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, gehören. Zuletzt war auch der Einsatz von Pegasus gegen Oppositionselle in Polen bekannt geworden.

Die Fälle aus El Salvador zeigten, dass Pegasus “weiterhin weltweit missbraucht wird, um Journalisten in großem Umfang unrechtmäßig zu überwachen”, kommentierte Erika Guevara-Rosas von Amnesty International. Die Behörden müssten aufhören, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Außerdem forderte sie “eine gründliche und unparteiische Untersuchung” zu den Vorfällen, “um die Verantwortlichen zu ermitteln”.

Gemeinsam mit weiteren Organisationen fordern Amnesty International und Access Now ein sofortiges Moratorium für den Verkauf, die Weitergabe und den Einsatz von Überwachungstechnologien. Auch Menschenrechtsexpertinnen und –experten der Vereinten Nationen fordern ein solches Moratorium.

Nach Berichten über die Überwachung von Regierungsbeamten, Journalisten, Geschäftsleuten, Aktivisten, Wissenschaftlern und Botschaftsmitarbeitern hatten die USA im November Sanktionen gegen den Hersteller NSO verhängt. Außerdem hatte Apple Klage gegen das Unternehmen eingereicht. Seitdem informiert Apple Betroffene, wenn das Unternehmen Hinweise auf “staatlich geförderte Spionageangriffe” entdeckt. Access Now berichtet, mehrere Journalisten in El Salvador hätten solche Benachrichtigungen erhalten. Auch Jhonny Wright Sol, Gründer der Oppositionspartei Nuestro Tiempo, sei von Apple gewarnt worden. Es sei nicht auszuschließen, dass es weitere Opfer von Angriffen mit Spionagesoftware in in dem Land gebe.

Eingeschränkte Meinungsfreiheit

Laut Amnesty International hat sich die Menschenrechtslage in El Salvador seit dem Amtsantritt des autoritären Präsidenten Bukele im Jahr 2019 “rapide verschlechtert”. Insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung werde eingeschränkt. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen werden Journalistinnen und Journalisten, die etwa über Korruption berichten, von Beamten schikaniert und bedroht. Auch Präsident Bukele attackiere immer wieder regierungskritische Journalisten und versuche, die Presse als “Feinde des Volkes” zu diskreditieren. Das Citizen Lab konstatierte: “Die zahlreichen Angriffe auf salvadorianische Medienorganisationen und Journalisten sind schockierend, aber keine Überraschung.”

Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2021 von Reporter ohne Grenzen steht El Salvador auf Platz 82 von 180 Staaten – ein Minus von acht Plätzen gegenüber dem Vorjahr. (js)