Korrigierte Behördenzahlen: Polizei setzte Staatstrojaner kaum ein

Trojaner
In den meisten Bundesländern kam der Staatstrojaner nach der neuen Statistik gar nicht zum Einsatz. (Quelle: imago images / Christian Ohde)

Aus den korrigierten Zahlen geht hervor, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden im Jahr 2019 den Staatstrojaner kaum eingesetzt haben. 
Die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) kam nur dreimal zur Anwendung. Für Online-Durchsuchungen wurde der Staatstrojaner in 12 Fällen genutzt.

Ende Dezember hatte das Bundesamt für Justiz (BfJ) erstmals statistische Zahlen zum Einsatz des Staatstrojaners veröffentlicht – und noch gänzlich andere Zahlen genannt. Damals hieß es, die deutschen Strafverfolgungsbehörden hätten ihn im Jahr 2019 insgesamt 380-mal eingesetzt. 368-mal sei dies im Rahmen der Quellen-TKÜ geschehen, 12-mal bei Online-Durchsuchungen.

Im Januar dieses Jahres stellten sich die veröffentlichten Statistiken jedoch als falsch heraus. Nach Recherchen des WDR und NDR hatten zahlreiche Staatsanwaltschaften aus verschiedenen Bundesländern falsche Angaben gemacht, weil Beamte Teile der Fragebögen nicht verstanden hatten. Im Untersuchungsbericht des NRW-Justizministeriums heißt es laut WDR, die falschen Zahlen könnten “teils auf eine fehlerhafte Eintragung bereits in den Erhebungsformularen und teils auf Übertragungsfehler im IT-Datenbestand der Staatsanwaltschaften zurückgeführt werden”.

Dabei war die Formulierung des Bogens recht eindeutig: “Anzahl der Eingriffe in ein vom Betroffenen genutztes Informationstechnisches System gem. § 100a Abs. 1 Sätze 2 und 3 Strafprozessordnung”.

Kaum noch Trojaner-Einsätze übrig

Gegenüber den Fernsehsendern hatten die zuständigen Behörden eingeräumt, dass die Zahlen angepasst werden müssten. Nun hat das BfJ eine Korrektur online gestellt. Die alte Tabelle wurde lediglich mit den neu ermittelten Zahlen aktualisiert. Die Änderungen sind grau hinterlegt. Die falschen Zahlen sind nicht mehr abrufbar.

Im Vergleich fällt auf, dass die Angaben drastisch nach unten korrigiert wurden: War im Dezember noch von 578 Anordnungen für die Quellen-TKÜ (gemäß Paragraf 100a StPO) und 380 tatsächlich durchgeführten Überwachungsmaßnahmen die Rede, sind es nun nur noch 31 Anordnungen. Lediglich drei wurden tatsächlich durchgeführt.

Auch die Zahl der angeordneten Onlinedurchsuchungen von Endgeräten nach Paragraf 100b StPO wurde nach unten korrigiert: So ergingen 2019 nur 22 Durchsuchungsanordnungen – statt 32. Die Zahl der tatsächlich durchgeführten Online-Durchsuchungen beläuft sich weiterhin auf 12. Davon 6 in Bayern, 2 in Nordrhein-Westfalen und jeweils eine in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen.

Die größten Diskrepanzen bei den Angaben weisen die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen auf. Ursprünglich hatten sie zusammen 260 Einsätze der Quellen-TKÜ angegeben. Nun ist nur noch ein einziger Einsatz in Niedersachsen übrig. Außerdem setzten Brandenburg und Nordrhein-Westfalen die Quellen-TKÜ jeweils einmal ein. In Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen gab es keine Veränderungen – und somit keinen Einsatz der Quellen-TKÜ.

Dennoch Ausweitung des Staatstrojaner-Einsatzes

Nach dem Statistik-Debakel im Januar hatte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Sebastian Fiedler, erklärt, den Justizverwaltungen hätte auf den ersten Blick auffallen müssen, dass die Zahlen so nicht stimmen können. Die Quellen-TKÜ sei hochkompliziert und gelinge in der Praxis nur selten – was allgemein bekannt sei.

Die Große Koalition will das Einsatzgebiet des Staatstrojaners dennoch ausweiten. Der Anfang Februar veröffentlichte Entwurf des Bundespolizeigesetzes sieht vor, dass künftig auch die Bundespolizei das Instrument nutzen dürfen soll.

Auch alle 19 deutschen Geheimdienste sollen den Staatstrojaner künftig einsetzen dürfen. Ein entsprechendes Gesetz wurde im vergangenen Herbst auf den Weg gebracht. Der Einsatz des Staatstrojaner wird derzeit kontinuierlich erweitert – offensichtlich ohne zu evaluieren, ob die Maßnahme überhaupt praktikabel ist. Im Jahr 2008 hatte das Bundesverfassungsgericht enge Grenzen für den Einsatz des Instrumentes gefordert und ein neues “Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme” geschaffen. Dennoch hatte die Große Koalition 2017 den Straftatenkatalog auf 44 Einträge erweitert, die einen Einsatz der Spionage-Software rechtfertigen. Ähnlich wie jetzt, erfolgte die Erweiterung damals kurz vor Ende der Legislaturperiode. (hcz)