UN: Überwachung bedroht zunehmend die Menschenrechte

Symbolbild: Massenüberwachung
Den Experten zufolge ist Verschlüsselung unerlässlich, um die Menschenrechte zu wahren. (Quelle: IMAGO / Jochen Tack)

Spähsoftware und die Überwachung öffentlicher Räume bedrohen zunehmend das Recht auf Privatsphäre. Das UN-Menschenrechtsbüro (OHCHR) kritisiert in seinem am Freitag erschienenen Bericht “Das Recht auf Privatsphäre im digitalen Zeitalter”, dass mit den Menschenrechten unvereinbare Überwachungsmaßnahmen bereits weit verbreitet sind. Die Menschenrechtler fordern ein Moratorium für Spähsoftware – und heben die Bedeutung von Verschlüsselungstechnologien hervor.

Die Expertinnen und Experten schreiben in ihrem Bericht, beeindruckende technologische Entwicklungen würden das Leben von Menschen auf der ganzen Welt verbessern. Doch sie mahnen auch: Digitale Werkzeuge können gegen Menschen eingesetzt werden und ermöglichen neue Formen der Überwachung und Kontrolle. Das Recht auf Privatsphäre zu gewährleisten spiele daher eine zentrale Rolle, um die digitale Bedrohung der Menschenrechte einzudämmen.

Nada Al-Nashif, Interims-Hochkommissarin für Menschenrechte, sagte: “Digitale Technologien bringen der Gesellschaft enorme Vorteile. Aber die allgegenwärtige Überwachung ist mit einem hohen Preis verbunden, untergräbt Rechte und erstickt die Entwicklung lebendiger, pluralistischer Demokratien. Kurz gesagt, das Recht auf Privatsphäre ist mehr denn je in Gefahr.”

Staatliche und private Überwachungskameras

In dem Bericht warnt das UN-Menschenrechtsbüro vor der Überwachung öffentlicher Räume, sowohl online als auch offline. Überwachungskameras seien bereits heute in vielen Ländern verbreitet. Zusätzlich zu staatlich betriebenen Überwachungssystemen hätten aber auch Unternehmen Kameras für den Privatgebrauch auf den Markt gebracht, die teils auch den Behörden Zugriff auf die erfassten Daten erlauben. Das führe zu einer “enormen Ausweitung” des überwachten öffentlichen Raums – während es gleichzeitig an Transparenz, Aufsicht und Rechenschaftspflichten fehle.

In den vergangenen Jahren seien zudem die technischen Fähigkeiten von Überwachungskameras erweitert worden. Zu den problematischsten neuen Möglichkeiten zählten etwa Gesichtserkennung und Systeme, die verdächtiges Verhalten erkennen sollen. Unter dem Oberbegriff “Smart Cities” gebe es zudem immer mehr Umgestaltungen öffentlicher Räume, bei denen Daten zu Personen gesammelt werden. Kameras, die Verkehrsströme überwachen sollen, könnten beispielsweise auch genutzt werden, um Personen zu verfolgen. Eine Reihe von Länder würden zudem biometrische Daten wie Fingerabdrücke oder Iris-Scans in zentralen Datenbanken sammeln.

Gleichzeitig nehme auch die Überwachung öffentlicher Räume im Internet zu. Behörden würden etwa Beiträge in sozialen Netzwerken analysieren, um beispielsweise die Wahrscheinlichkeit von sozialen Unruhen vorauszusagen.

Die Experten kritisieren, dass sich durch datengesteuerte Technologien das Machtverhältnis zwischen den Überwachern und den überwachten Personen verschiebt. Früher habe es praktische Grenzen gegeben – heute sei es schon kleinen Teams mit Software möglich, Tausende Konten in den sozialen Medien zu beobachten. Zudem würden Staaten zunehmend auf Überwachungsmöglichkeiten zurückgreifen, die von privaten Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Als Beispiel nennen die Experten die von Clearview AI aufgebaute Gesichtserkennungsdatenbank, die auf im Internet gesammelten Fotos basiert.

Menschen ändern wegen Überwachung ihr Verhalten

Die Experten mahnen: Die systematische Überwachung von Menschen in öffentlichen Raum – online und offline – stellt einen Eingriff in das Recht auf Privatsphäre dar. Insbesondere, wenn Datenquellen miteinander kombiniert werden. Auch auf weitere Menschenrechte könne sich die Überwachung negativ auswirken.

Überwachungsmaßnahmen zielten häufig unverhältnismäßig stark auf Minderheiten ab. Einige Regierungen nutzen solche Techniken zudem, um Kritiker zu identifizieren – was zu Schikanen oder Inhaftierungen führen könne. Auch vor den sogenannten Chilling-Effekten warnen die Experten: Menschen könnten durch das Gefühl überwacht zu werden ihr Verhalten im Alltag ändern – und beispielsweise nicht an Demonstrationen teilnehmen oder ihre Meinung öffentlich nicht äußern.

Beim Einsatz von Überwachungstechniken im öffentlichen Raum müssten Staaten daher die Auswirkungen auf die Menschenrechte prüfen. Die allgemeine Überwachung von Personen im öffentlichen Raum sei fast immer unverhältnismäßig.

Verschlüsselung wichtig für die Wahrnehmung von Menschenrechten

Die Menschenrechtler merken auch an, in den vergangenen Jahren hätten verschiedene Regierungen Maßnahmen ergriffen, die die Sicherheit und Vertraulichkeit verschlüsselter Kommunikation untergraben. Sie kritisieren, dies habe “besorgniserregende Auswirkungen” auf die Wahrnehmung des Rechts auf Privatsphäre und anderer Menschenrechte. Verschlüsselung sei unerlässlich, um die Rechte auf Meinungsfreiheit und friedliche Versammlungen zu wahren. In Ländern, in denen Zensur vorherrscht, ermögliche die Technik es Menschen, dennoch ihre Meinung zu äußern und sich mit anderen auszutauschen. Auch für den Austausch von Gesundheitsinformationen sei Verschlüsselung unabdingbar. In einigen Fällen sei die Arbeit von Medienschaffenden und Menschenrechtlern ohne Verschlüsselung nicht möglich – sie schütze auch ihre Quellen.

Dennoch würden Regierungen die Verwendung von Verschlüsselungstechniken einschränken und dies mit dem Schutz der nationalen Sicherheit oder der Verbrechensbekämpfung begründen. Verschlüsselte Kommunikation werde mitunter verboten, Anbieter von Werkzeugen zur sicheren Kommunikation würden unter Druck gesetzt, Strafverfolgungsbehörden Zugriff zu gewähren.

Die meisten Einschränkungen von Verschlüsselung haben laut den UN-Experten unverhältnismäßige Auswirkungen auf das Recht auf Privatsphäre – und betreffen zudem die gesamte Bevölkerung. Hintertüren zum Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation gefährdeten die Privatsphäre und Sicherheit aller Nutzerinnen und Nutzer. Auch Vorschläge für sogenanntes Client-Side-Scanning, bei dem direkt auf den Endgeräten nach verbotenen Inhalten gesucht wird, kritisieren die UN-Menschenrechtler. Dies betreffe alle Menschen, die moderne Kommunikationsmittel einsetzen und könne ebenfalls zu sogenannten Chilling-Effekten führen. Außerdem könne die Technik zukünftig dazu genutzt werden, etwa politische Debatten zu unterdrücken.

Schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre durch Pegasus

Auch zum Einsatz von Spähsoftware haben sich die UN-Experten geäußert: Das Ausmaß der Pegasus-Spionage sei “erschreckend”. Im vergangenen Jahr hatten die Organisationen Forbidden Stories und Amnesty International gemeinsam mit internationalen Medien aufgedeckt, wie weltweit Medienschaffende, Menschenrechtler und Oppositionelle mit der Spionagesoftware Pegasus überwacht wurden. Seitdem sind Dutzende weitere Fälle bekannt geworden.

Pegasus und ähnliche Programme ermöglichen Angreifern Zugriff auf alle gespeicherten Daten auf einem Smartphone. Auch können sie unbemerkt Mikrofon und Kamera einschalten. Die UN-Experten sehen hierin einen “schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Privatsphäre”. Angreifer könnten tiefe persönliche Einblicke in die politischen oder religiösen Überzeugungen von Betroffenen erhalten und so ihr Recht auf Meinungs- und Gedankenfreiheit verletzen.

Für von Spionage Betroffene könne dies zutiefst traumatisch sein. Zudem hätten solche Angriffe auch Inhaftierungen und Folter zur Folge. Medienschaffende auszuspionieren untergrabe außerdem die Pressefreiheit. Betroffen seien nicht nur die eigentlichen Spionageziele, sondern auch andere Personen, die mit ihnen kommunizieren.

Die Pegasus-Enthüllungen hätten gezeigt, dass die Spionageoperationen nach internationalen Menschenrechtsnormen oftmals illegal sind. Zwar könnten Überwachungsmaßnahmen in bestimmten Fällen gerechtfertigt sein – niemals aber aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen. Selbst wenn legitime Ziele verfolgt würden, etwa der Schutz der nationalen Sicherheit, sei der Einsatz solcher Trojaner nur in wenigen Szenarien zulässig. Spähsoftware dürfe immer nur als letztes Mittel eingesetzt werden, und der Einsatz müsse immer beschränkt bleiben. Eine vorherige gerichtliche Genehmigung sei unerlässlich.

Das OHCHR erneuert in dem Bericht seine Forderung nach einem Moratorium für den Verkauf, die Weitergabe und den Einsatz von Spähsoftware.

Die Experten fordern zudem, starke Verschlüsselung zu fördern und zu schützen – und jegliche Einschränkungen zu vermeiden. Bei der Überwachung öffentlicher Räume müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Der Einsatz biometrischer Erkennungssysteme in öffentlichen Räumen müsse begrenzt werden. Die erfassten Daten dürften nur zeitlich begrenzt gespeichert werden. Außerdem brauche es Exportregeln für Überwachungstechnologien. Jeder Eingriff in das Recht auf Privatsphäre müsse immer im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsstandards stehen.

Mit ihrer Kritik wollen die Experten dabei nicht die “enormen Vorteile” digitaler Technologien in Frage stellen, wie sie anmerken. Die vielfältigen Bedrohungen von allgegenwärtiger Überwachung für die Menschenrechte seien jedoch “alarmierend”. Die Eigenschaften von Überwachungstechnologien könnten sie zu mächtigen Kontroll- und Unterdrückungsinstrumenten machen. Eine vorhandene Überwachungsinfrastruktur lasse sich leicht umfunktionieren und zu weiteren Zwecken nutzen – beispielsweise nach einem politischen Wechsel in einem Land. Dies solle immer bedacht werden. (js)