Moskau: Fahrkartenkauf per Gesichtserkennung

Symbol für Face Pay in der Moskauer U-Bahn
In Moskau kommt Gesichtserkennung auch zur Strafverfolgung zum Einsatz. Dafür gibt es ein dichtes Überwachungsnetz. (Quelle: IMAGO / ITAR-TASS)

In Moskau kommt Gesichtserkennung im öffentlichen Raum bereits zur Strafverfolgung zum Einsatz. Jetzt können Fahrgäste damit auch ihre Tickets für die U-Bahn an über 240 Stationen bezahlen. Mehr als 25.000 Menschen hätten das neue System bereits am ersten Tag genutzt, teilte das staatliche Verkehrsunternehmen am Wochenende mit. Datenschützer warnen, die biometrischen Daten könnten für Überwachungszwecke missbraucht werden.

Um das “Face Pay” genannte Bezahlsystem zu nutzen, müssen Fahrgäste ein Foto von sich hochladen und dieses in der Metro-App mit ihrer Bankkarte und ihrer Metro-Karte verknüpfen. Anschließend lässt sich an gekennzeichneten Zugangsschranken in der U-Bahn per Blick in die Kamera bezahlen.

Der Moskauer Vize-Bürgermeister Liksutow versicherte der russischen Tageszeitung Kommersant, das Gesichtserkennungssystem speichere keine Fotos, sondern errechne daraus einen Schlüssel. Dieser werde beim Bezahlvorgang abgeglichen. Doch Oleg Blinov von der Moscow Digital School wies gegenüber der Zeitung darauf hin, dass die Nutzungsbedingungen des Dienstes dieser Aussage widersprechen: Darin stimmten Nutzerinnen und Nutzer der Speicherung ihrer Gesichtsbilder zu.

Warnung vor Zugriff durch Sicherheitsbehörden

Auch Stanislav Shakirov, Gründer der russischen Datenschutzorganisation Roskomsvoboda, warnte vor dem neuen System: Es sei ein “gefährlicher neuer Schritt in Russlands Streben nach Kontrolle über seine Bevölkerung”. Und weiter: “Die Moskauer Metro ist eine staatliche Einrichtung und alle Daten können in den Händen der Sicherheitsbehörden landen.” Shakirov forderte Transparenz über die genaue Funktionsweise von Face Pay.

Bereits im vergangenen März hatte Roskomsvoboda die angekündigte Einführung von Face Pay kritisiert: Die Technik verspreche Komfort, lasse sich aber auch zur Überwachung verwenden. Sarkis Darbinyan, Leiter der Rechtsabteilung der Organisation, sagte damals, es werde zu “Fällen von Missbrauch” und “politischer Repression” kommen.

Michail Klimarew, Direktor der russischen Internet Protection Society, erklärte, insbesondere staatliche Unternehmen in Russland würden ihre Kunden immer öfter dazu auffordern, biometrische Daten zu hinterlegen. Argumentiert werde mit dem Schutz vor Betrugsversuchen. Doch Klimarew warnt vor dem Potenzial einer umfassenden Überwachung: “Das Problem ist, dass das System gegen mich verwendet werden kann. Zum Beispiel, um mich als Teilnehmer einer Demo zu identifizieren.”

In Moskau haben die Behörden Gesichtserkennung bereits bei Demonstrationen für den inhaftierten Kremlkritiker Alexey Navalny eingesetzt. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wurden im Januar Dutzende Demonstrierende durch Gesichtserkennung identifiziert und wegen der Teilnahme an “nicht genehmigten Protesten” verhaftet. Auch im April hätten die Behörden so friedlich Demonstrierende identifiziert.

Technik bedroht Freiheitsrechte

In Moskau gibt es derzeit ein Netz von etwa 125.000 Kameras mit Gesichtserkennung, die zur Strafverfolgung genutzt werden. Die Stadt plant zudem, die Überwachung im öffentlichen Raum weiter auszubauen. Human Rights Watch hatte diese Pläne im September kritisiert: Der Einsatz der Technik sei in Russland nicht reguliert und es fehle an Vorschriften für den Datenschutz. Die Erkennungstechnik habe schwerwiegende Auswirkungen auf Menschen- und Freiheitsrechte.

Kritiker wie Amnesty International warnen zudem vor der Unzuverlässigkeit von Gesichtserkennungssystemen: Studien hätten beispielsweise gezeigt, dass sie Menschen mit dunkler Hautfarbe schlechter erkennen. Außerdem werden Frauen schlechter erkannt als Männer.

Auch aus Moskau gibt es Berichte über Fehlerkennungen: Im Oktober 2020 hatte die Polizei beispielsweise einen Mann in der Moskauer U-Bahn verhaftet, nachdem die zur Überwachung eingesetzte Gesichtserkennung eine Übereinstimmung mit einer gesuchten Person gemeldet hatte. Obwohl die Polizei den Fehler erkannte, wurde der Betroffene durchsucht und es wurden seine Fingerabdrücke genommen.

In der EU wird derzeit über ein Verbot von Gesichtserkennung diskutiert: Das EU-Parlament hat sich Anfang Oktober in einer Resolution klar gegen biometrische Erkennungsverfahren zur Massenüberwachung ausgesprochen. Rechtlich bindend ist die Resolution nicht – Parlament, Kommission und Rat müssen einen finalen Gesetzestext nun im sogenannten Trilog verhandeln. (dpa / js)