Deutschland nimmt 150 afghanische Medienschaffende auf
Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan ist die Medienlandschaft in dem Land nicht mehr dieselbe: Journalistinnen und Journalisten werden daran gehindert, ihren Beruf auszuüben, Reporter bei der Arbeit bedroht und angegriffen. Fast 150 Medienschaffende und ihre Familien haben deswegen nun eine Zusage der Bundesregierung erhalten, dass sie hierzulande aufgenommen werden.
Für diesen Schritt hatte sich unter anderem Reporter ohne Grenzen (RSF) eingesetzt. Laut der Organisation sind mehr als ein Dutzend der “hoch gefährdeten” Personen bereits in Deutschland eingetroffen; weitere konnten Afghanistan verlassen.
RSF-Geschäftsführer Christian Mihr kommentierte die Rettungsaktion: “Hinter diesen Zahlen stehen menschliche Schicksale. Es sind Journalistinnen und Journalisten, die in den vergangenen zwanzig Jahren dazu beigetragen haben, in Afghanistan eine plurale und lebendige Medienlandschaft aufzubauen. Es sind mutige Reporterinnen und Reporter, die trotz der Gefahren unter anderem durch die Taliban berichtet haben.”
Die rund 150 Medienschaffenden gehören zu 2600 besonders schutzbedürftigen Personen und ihren Familien, denen das Bundesinnenministerium Aufnahmezusagen erteilt hat. RSF hatte hierfür eine Namensliste mit hoch gefährdeten Medienschaffenden an das Auswärtige Amt geschickt. Zu ihnen kommen noch Familienmitglieder hinzu, sodass die RSF-Liste insgesamt mehr als 500 Personen umfasst.
Taliban gehen gegen freie Presse vor
Journalistinnen und Journalisten können in Afghanistan kaum noch frei arbeiten. Sie leiden unter Drohungen, Schikanen und Gewalt, seitdem die radikalislamischen Taliban an der Macht sind. Einschüchterungsversuche und inhaltliche Einflussnahme gehören laut RSF zum Alltag.
Frauen leiden besonders unter der Willkür. Sie verschwinden zunehmend aus der Medienlandschaft, weil die Taliban sie gezielt in ihren Freiheitsrechten einschränken. Vor der Machtübernahme am 15. August arbeiteten rund 510 Frauen bei den acht größten Medien in Kabul; Anfang September waren es nur noch 76. Moderatorinnen und Reporterinnen wurden auf Befehl der Extremisten ersetzt und nach Hause beordert. Mitarbeiterinnen privater Sender, die aus der Öffentlichkeit berichteten, seien während der Arbeit angegriffen oder gar geschlagen worden.
So betont RSF, dass Journalistinnen in zweifacher Hinsicht in Afghanistan gefährdet seien: als Reporterin und als Frau. Die Arbeitsbedingungen für Frauen seien schon vor dem Siegeszug der Taliban besonders gefährlich gewesen. Unter den 150 Personen mit Aufenthaltszusage befinden sich 44 Journalistinnen.
Auch Transitländer gefährlich
33 der Medienschaffenden befinden sich noch in Transitländern wie Iran, Pakistan, der Türkei, Tadschikistan und Usbekistan. RSF weist darauf hin, dass die Menschen auch dort noch gefährdet seien, weil vor Ort ebenfalls die Pressefreiheit eingeschränkt ist oder ihre Visa ablaufen.
Es gebe zahlreiche weitere bedrohte Medienschaffende, die es nicht auf die anerkannte Liste geschafft haben. Das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium haben nach dem 31. August keine weiteren Schutzbedürftigen mehr zugelassen – Hilfsorganisationen wie RSF wurden über den Stichtag aber nicht in Kenntnis gesetzt. RSF fordert die deutschen Behörden dazu auf, “akut bedrohten” Medienmitarbeitern “schnell und unbürokratisch” Visa auszustellen.
Streit gibt es auch darüber, wer zur Kernfamilie der gelisteten Personen gehört. Denn die Behörden gewähren nur diesen Schutz. Dazu zählen die Partnerin oder der Partner und die minderjährigen Kinder. Laut RSF ist in den meisten Fällen aber der gesamte Haushalt der Medienschaffenden gefährdet.
RSF führt Afghanistan auf der Rangliste der Pressefreiheit noch auf Platz 122 von 180 Staaten – die Liste wurde allerdings vor der Machtübernahme durch die Taliban veröffentlicht. (hcz)