NetzDG verstößt teilweise gegen EU-Recht

Symbole sozialer Netzwerke auf einem Smartphone
Vor Gericht sind auch Klagen von Twitter und TikTok gegen die Meldepflichten aus dem NetzDG anhängig. (Quelle: IMAGO / CTK Photo)

Zentrale Vorschriften des novellierten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) verstoßen gegen das Unionsrecht und können nicht angewendet werden. Das hat das Verwaltungsgericht Köln am Dienstag entschieden und damit Eilanträgen von Google und dem Facebook-Konzern Meta teilweise stattgegeben.

Die beiden Konzerne hatten im Sommer 2021 gegen die Änderungen des NetzDG geklagt und Verstöße gegen das Grundgesetz und das Europarecht geltend gemacht. Das Gericht folgte dem nun teilweise und erklärte, die im NetzDG neu geschaffene Meldepflicht verstoße gegen Europarecht.

Die Meldepflicht für Betreiber von sozialen Netzwerken ist eigentlich am 1. Februar in Kraft getreten. Sie verpflichtet die Betreiber, bei konkreten Anhaltspunkten für bestimmte Straftaten sensible Nutzerdaten an das Bundeskriminalamt (BKA) zu übermitteln. Außer den eigentlichen Inhalten betrifft dies die jeweiligen Nutzernamen, IP-Adressen und Portnummern. Dies gilt beispielsweise bei Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder Volksverhetzung. Aber auch Beleidigung, Verleumdung oder Bedrohung zählen zu den vom NetzDG erfassten Straftatbeständen. Erst nach Datenübermittlung prüft das BKA, ob die Inhalte tatsächlich strafrechtlich relevant sind und leitet gegebenenfalls Ermittlungen ein.

Das Gericht stellte in Bezug auf die Einführung der Meldepflicht einen Verstoß gegen das sogenannte Herkunftslandprinzip der europäischen Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr fest. Nach diesem Prinzip müssen sich Anbieter elektronischer Dienste an das Recht des EU-Staates halten, in dem sie sich niedergelassen haben. Im Fall von Meta und Google ist das Irland und nicht Deutschland.

Auf Ausnahmen von diesem Prinzip könne sich die Bundesrepublik nicht berufen, so das Gericht. Dafür sei ein Konsulations- und Informationsverfahren vorgesehen, das aber nicht durchgeführt wurde. Auch die Voraussetzungen eines Dringlichkeitsverfahrens hätten nicht vorgelegen.

Kritik an Meldepflichten

Bereits im Gesetzgebungsverfahren hatte es Widerstand gegen die neuen Vorgaben für soziale Netzwerke im NetzDG von Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gegeben. Unter anderem der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte auch auf einen möglichen Verstoß gegen das Herkunftslandprinzip hingewiesen.

Google hatte zur Klageeinreichung erklärt, Nutzerinnen und Nutzer müssten aufgrund der Meldepflicht fürchten, dass ihre personenbezogenen Daten bei der Polizei gespeichert werden – auch wenn sie nur rechtmäßige Inhalte veröffentlicht haben. Einmal weitergegebene Daten könnten nicht mehr zurückgenommen werden. Das sei ein massiver Eingriff in die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer. Auch seien umfassende Datenbanken mit personenbezogenen Daten einer Vielzahl von Nutzern problematisch.

Zuständige Behörde nicht unabhängig

Vom NetzDG ist auch die zu Google gehörende Videoplattform YouTube betroffen. Der Konzern hatte sich in seiner Klage auch dagegen gewandt, dass das Bundesamt für Justiz die Einhaltung der Vorschriften des NetzDG überwacht. Diese Vorgabe verstößt nach Auffassung des Gerichts gegen die EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, die auf Videosharing-Dienste anwendbar ist. Demnach müssen die zuständigen Medienbehörden rechtlich und funktionell unabhängig sein. Da das Bundesamt für Justiz aber dem Bundesjustizministerium unterstehe und Weisungen von diesem entgegennehme, könne von der geforderten Staatsferne keine Rede sein.

In dem Eilverfahren ging es außerdem um das im NetzDG eingeführte Gegenvorstellungsverfahren. Die Plattformen werden dadurch verpflichtet, Löschentscheidungen auf Antrag betroffener Nutzerinnen und Nutzer zu prüfen. Diese Vorschrift sei durch Unionsrecht gedeckt, urteilte das Gericht.

Bundesjustizministerium prüft Rechtsmittel

Die Entscheidung des Gerichts bezieht sich nur auf die Eilanträge von Google und Meta. Die Verfahrensbeteiligten können Beschwerde gegen die Beschlüsse einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden würde.

Das Bundesjustizministerium prüft derzeit, ob es gegen das Urteil vorgehen wird. Die einstweilige Anordnung sei noch nicht rechtskräftig, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums am Mittwoch. “Der Bundesrepublik steht dagegen das Rechtsmittel der Beschwerde zu. Ob dieses Rechtsmittel eingelegt werden soll, wird das Bundesministerium der Justiz nunmehr prüfen.” Das Ministerium werde “die Entscheidung dazu sorgfältig auswerten und prüfen, welche Folgerungen insgesamt aus der Entscheidung zu ziehen sind”.

Bis zum Abschluss des Verfahrens werde das Bundesjustizministerium aber keine Maßnahmen gegen Google und Meta ergreifen. Das Ministerium hatte aufgrund der Klagen bereits sogenannte Stillhaltezusagen gegenüber den beiden Konzernen abgegeben, sodass diese keine Sanktionen befürchten mussten. “Dies hat die Bundesrepublik bereits zu Beginn der Eilverfahren zugesagt. Und diese Zusage gilt auch weiterhin”, erklärte die Ministeriumssprecherin.

Eine YouTube-Sprecherin begrüßte die Entscheidung des Gerichts. “Wir unterstützen die Bestrebungen der Europäischen Union, mit dem Digital Services Act ein europaweit einheitliches Regelwerk für den Umgang mit Inhalten festzulegen. Wir halten das für den richtigen Weg, um konsequent gegen illegale Inhalte vorzugehen und dabei das Prinzip des offenen Internets zu bewahren.”

Vor dem Verwaltungsgericht in Köln sind außerdem Klagen von Twitter und TikTok gegen das NetzDG anhängig. Wann in diesen Verfahren entschieden wird, ist noch offen.

Die “Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet” hat ihren Betrieb bereits am 1. Februar aufgenommen. Bislang wurden jedoch auf Grundlage des NetzDG keine Meldungen an das BKA übermittelt, teilte die Behörde auf Anfrage von Posteo mit. Anstelle der Meldungen der Plattformen seien in den Ländern bereitstehende, dezentrale Meldestrukturen beim BKA zentral zusammengeführt worden. Derzeit würden Meldungen der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und der Staatsanwaltschaft Köln verarbeitet. Diese stammen aus den Projekten “Hessen gegen Hetze” und “Keine Macht dem Hass” sowie von der Initiative “Verfolgen statt löschen”. Künftig sollen außerdem Meldungen der Meldestelle “REspect!” der Jugendstiftung im Demokratiezentrum Baden-Württemberg berücksichtigt werden. Das BKA prüfe diese Meldungen auf strafrechtliche Relevanz. Liege diese vor, werde versucht, den Verursacher eines gemeldeten Beitrags festzustellen. Anschließend werde der Fall an die zuständige Strafverfolgungsbehörde abgegeben.

Update vom 9. März: Erklärung des BKA zum derzeitigen Meldesystem hinzugefügt. (dpa / js)