Niederländische Firma soll Moskauer Gesichtserkennung trainieren
Die Moskauer Gesichtserkennung wird von einer niederländischen Firma trainiert, die wohl eine Sanktionslücke ausnutzt. Das haben Recherchen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel und der Organisationen “The Bureau of Investigative Journalism” und “Follow the Money” ergeben. Gesichtserkennungstechnik wird in der russischen Hauptstadt seit Jahren verwendet, um Andersdenkende zu identifizieren und zu verhaften.
Wie der Spiegel berichtete, stammt die eigentliche Software zur Gesichtserkennung von russischen Firmen wie NTechLab. Die EU hat im Juli 2023 Sanktionen gegen das Unternehmen verhängt, weil es “verantwortlich für die Bereitstellung technischer oder materieller Unterstützung für schwere Menschenrechtsverletzungen in Russland” sei.
Europäische Firma soll Software trainieren
Trainiert wird die Software laut den Recherchen aber wohl auch mithilfe einer Firma namens Toloka mit Sitz in den Niederlanden. Diese betreibe eine Plattform, auf der sogenannte “Clickworker” aus verschiedenen Ländern gegen Bezahlung einfache Aufgaben erfüllen. Dazu zähle beispielsweise, Bilder von ihren Gesichtern aus unterschiedlichen Positionen hochzuladen.
Diese Bilder dienten NTechLab dann wahrscheinlich als Testmaterial, um die Gesichtserkennung zuverlässiger zu machen, schreibt der Spiegel. Die Journalisten berufen sich etwa auf Videos von Toloka-Nutzern, in denen sie ihre Aufgaben durchführen – und NTechLab sowie eine weitere sanktionierte Firma als Auftraggeber erkennbar seien.
Toloka ist laut den Recherchen eine Tochtergesellschaft der russischen Suchmaschine Yandex. Diese ist ebenfalls in den Niederlanden registriert und gehört in Teilen westlichen Investoren. Die russischen Geschäftsanteile von Yandex wurden im Februar zwar verkauft – Toloka sei aber Teil der niederländischen Gesellschaft geblieben.
Unternehmen bestreitet Vorwürfe
Dass Toloka die russische Gesichtserkennung trainiert, bewerten EU-Diplomaten als Sanktionsbruch. Rechtsexperten haben gegenüber den Journalisten allerdings darauf verwiesen, dass das Unternehmen eine legale Lücke gefunden haben könnte: Denn auch in der Schweiz existiere eine Toloka-Firma, mit deren Hilfe die EU-Sanktionen umgangen werden könnten – NTechLab ist in der Schweiz nämlich bisher nicht sanktioniert.
Mit den Recherchen konfrontiert, erklärte Toloka gegenüber dem Spiegel: “Keines der EU- oder US-Unternehmen von Toloka hat jemals Dienstleistungen für NTechLab […] erbracht.” Das gelte auch für die Schweizer Firma. NTechLab habe hingegen einen Vertrag mit einer russischen Firma namens “Toloka RU LLC” gehabt. Zum fraglichen Zeitpunkt habe aber auch diese einer niederländischen Firma gehört, so der Spiegel.
Gesichtserkennung soll ausgeweitet werden
Der Einsatz von Gesichtserkennung gegen Demonstrierende ist bereits seit längerem bekannt. Laut dem Bericht gibt es in Moskau inzwischen mehr als 227.000 Überwachungskameras. Auch in der Moskauer U-Bahn kommt die Technik zum Einsatz.
Bereits in der Vergangenheit gab es Berichte, wonach Demonstrierende mithilfe der Technik identifiziert und verhaftet wurden. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich bereits damit befasst – und in dem entsprechenden Fall entschieden, dass ein Demonstrant unrechtmäßig identifiziert wurde.
Zudem hatten Aktivisten im Jahr 2020 ein Datenleck beim staatlichen Gesichtserkennungssystem dokumentiert. Über den Messenger-Dienst Telegram wurde damals gegen Geld Zugang zu dem System angeboten. Wer ein Foto einschickte und bezahlte, erhielt eine Liste von Adressen, an denen die Überwachungssysteme die Person auf dem Bild erfasst hatten.
Die russischen Behörden wollen den Einsatz der umstrittenen Technik indes ausweiten: Geleakte Dokumente zeigen, dass bereits ein nationales System von Überwachungskameras in Arbeit ist. In einem “Videostream-Verarbeitungszentrum” sollen demnach Bilder aus dem ganzen Land gesammelt, gespeichert und nach “Objekten von Interesse” durchsucht werden. Das Ziel sei es, “Bedrohungen” und “destruktives und/oder illoyales Verhalten” zu erkennen.
Dem russischen Minister für digitale Entwicklung, Maksut Schadajew, zufolge gibt es derzeit mehr als eine Million Überwachungskameras in ganz Russland – jede dritte soll bereits über Gesichtserkennungssoftware verfügen. (js)