Polen: Ex-Geheimdienstchef zwangsweise vor Pegasus-Ausschuss gebracht

Schild mit Hinweis auf den Untersuchungsausschuss hängt an einer Tür
In Polen sollen mehrere hundert Menschen mit Pegasus ausspioniert worden sein – darunter Oppositionspolitiker. (Quelle: IMAGO / newspix)

Der ehemalige Chef des polnischen Inlandsgeheimdienstes ABW wurde am Montag festgenommen und vor den parlamentarischen Pegasus-Untersuchungsausschuss gebracht. Der Ausschuss prüft, ob die im Herbst 2023 abgewählte PiS-Regierung politische Gegner mit der Spähsoftware Pegasus überwacht hat.

Piotr Pogonowski hatte den Geheimdienst von 2016 bis 2020 unter der damaligen PiS-Regierung geleitet. Medienberichten zufolge hatte er drei Vorladungen des Untersuchungsausschusses ignoriert. Ein Gericht hatte daraufhin angeordnet, dass die Polizei ihn zwangsweise vorführt.

Die polnische Nachrichtenseite Onet merkte an, dies sei das erste Mal in der Geschichte des Unterhauses (Sejm) der Republik Polens, dass ein Zeuge auf diese Weise zum Erscheinen vor einem Untersuchungsausschuss gezwungen wurde.

Keine konkreten Antworten

Pogonowski, der aktuell im Vorstand der Zentralbank sitzt, behauptete schließlich vor dem Ausschuss, er habe von Pegasus zum ersten Mal aus den Medien erfahren. Später stellte er jedoch klar, dass er sich auf den Namen “Pegasus” bezogen habe – nicht auf die Überwachungssoftware selbst.

Den Berichten zufolge verwies Pogonowski vor dem Ausschuss mehrfach darauf, dass ihm gesetzlich untersagt sei, über bestimmte Aspekte seiner Arbeit beim Inlandsgeheimdienst zu sprechen. Daher habe er sich bei vielen Fragen geweigert, konkrete Antworten zu geben. Er erklärte jedoch allgemein, dass die polnischen Sicherheitsbehörden moderne Technik einsetzen. Nach einer Pause wurde die Befragung unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt.

Die Ausschussvorsitzende Magdalena Sroka erklärte, Pogonowski sei ein wichtiger Zeuge, weil er den ABW zu der Zeit geleitet habe, als Polen Pegasus gekauft haben soll. Außerdem soll auch der Inlandsgeheimdienst die Überwachungssoftware verwendet haben.

Der Oberste Rechnungshof hatte bereits im Jahr 2022 erklärt, es gebe eine Rechnung über den Kauf von Pegasus durch polnische Behörden. Die PiS hatte den Kauf schließlich auch eingestanden – allerdings dementiert, mit der Spionagesoftware Oppositionelle überwacht zu haben.

Oppositionelle ausgespäht

Pegasus ist eine Spionagesoftware, die vom israelischen Unternehmen NSO Group entwickelt wird. Sie kann infiltrierte Geräte komplett übernehmen – ohne dass Betroffene einen Link oder ähnliches anklicken müssen. Angreifer erhalten Zugriff auf alle auf dem Gerät gespeicherten Daten, können den Standort verfolgen und auch Mikrofon und Kamera unbemerkt einschalten. Das Überwachungsprogramm steht seit Jahren im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in der Kritik.

In Polen soll die ehemalige PiS-Regierung mit Pegasus politische Gegner ausspioniert haben. So konnten Sicherheitsforscher vom Citizen Lab an der Universität Toronto nachweisen, dass das Smartphone des damaligen Oppositionspolitikers Krzysztof Brejza im Wahljahr 2019 mit Pegasus infiltriert wurde. Er hatte die Kampagne der Oppositionsallianz geleitet.

Die Sicherheitsforscher konnten unter anderem auch nachweisen, dass der Rechtsanwalt Roman Giertych Ende 2019 überwacht wurde, als er Donald Tusk vertreten hatte. Tusk war damals Vorsitzender des Oppositionsbündnisses Bürgerkoalition – seit Ende 2023 ist er polnischer Ministerpräsident.

Die neue polnische Regierung hatte Anfang des Jahres den Untersuchungsausschuss eingerichtet.

Der polnische Senat war bereits im vergangenen Herbst zu dem Schluss gekommen, dass der Kauf der Überwachungssoftware illegal war. Die Wahlen im Jahr 2019 sind demnach wegen des Einsatzes von Pegasus gegen Oppositionelle nicht fair abgelaufen.

Laut dem Zwischenbericht der Generalstaatsanwaltschaft soll die ehemalige PiS-Regierung nahezu 600 Menschen mit Pegasus überwacht haben. Der Untersuchungsausschuss soll unter anderem prüfen, ob diese Überwachungsmaßnahmen legal waren. Der aktuelle Justizminister Adam Bodnar hatte im April erklärt, für die einzelnen Überwachungen hätten offensichtlich richterliche Genehmigungen vorgelegen. Seiner Einschätzung nach seien die Gerichte aber nicht vollständig informiert worden, dass Pegasus zum Einsatz kam.

Anklage erhoben

Im September hat die Generalstaatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Pegasus Anklage gegen den ehemaligen stellvertretenden Justizminister Michał Woś erhoben. Ihm wird vorgeworfen, im Jahr 2017 die Überweisung von Geldern aus einem Justizfond für den Kauf der Spähsoftware Pegasus bewilligt zu haben – obwohl dies nicht zulässig war. Woś bestreitet das.

Auch weitere PiS-Politiker sollen vor dem Untersuchungsausschuss aussagen – darunter auch der ehemalige Justizminister Zbigniew Ziobro, den sein Nachfolger Bodnar ebenfalls zwangsweise zur Sitzung bringen lassen will. Ende September hat er das Parlament um Zustimmung zu diesem Schritt gebeten, die aufgrund der Immunität seines Vorgängers notwendig ist.

Ziobro war unter anderem aus gesundheitlichen Gründen bisher nicht vor dem Ausschuss erschienen. Wie auch der Ex-Geheimdienstchef Pogonowski beruft er sich aber auch auf eine Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichtshofes: Dieser hatte im September geurteilt, dass der Pegasus-Untersuchungsausschuss verfassungswidrig ist. Die neue Regierungskoalition erkennt allerdings die Legitimität des Gerichts nicht an – weil das “Trybunał Konstytucyjny” unrechtmäßig von der früheren PiS-Regierung besetzt worden sei. Im September hat das Parlament ein Gesetz zur Reform des Verfassungsgerichts verabschiedet. (js)