Polen: Knapp 600 Menschen mit Pegasus überwacht
Die inzwischen abgewählte PiS-Regierung soll in Polen nahezu 600 Menschen mit der Spähsoftware Pegasus überwacht haben. Das hat die Generalstaatsanwaltschaft in Warschau am Dienstag erklärt. Betroffene sollen nun als Zeugen befragt werden.
Derzeit prüft ein Untersuchungsausschuss des Parlaments, ob die bis Dezember 2023 amtierende PiS-Regierung die Spionagesoftware Pegasus eingesetzt hat, um politische Gegner zu überwachen. In dieser Woche nun hat Justizminister und Generalstaatsanwalt Adam Bodnar einen Zwischenbericht an das Parlament übergeben: Demnach wurde die Spähsoftware in den Jahren 2017 bis 2022 gegen insgesamt 578 Personen eingesetzt. Im Jahr 2021 gab es die meisten Fälle, als 162 Menschen in Polen ausgespäht wurden.
Gegenüber polnischen Medien sagte der Minister, 31 Betroffene seien bereits vorgeladen worden, um als Zeugen auszusagen. Sie müssten selbst entscheiden, ob sie an die Öffentlichkeit gehen. Bei den nun informierten Personen handle es sich nur um die erste Gruppe und weitere Betroffene würden später unterrichtet.
In dem Bericht wird Pegasus nicht erwähnt, es ist nur die Rede von “operativer Endgeräteüberwachung”. Eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft bestätigte gegenüber Wirtualna Polska aber, dass die Betroffenen mit Pegasus überwacht wurden.
Überwachung von Oppositionellen
Die Spionagesoftware Pegasus wird von der israelischen Firma NSO entwickelt, die sie eigenen Angaben zufolge nur an Regierungskunden verkauft. Angreifer können mit dem Überwachungswerkzeug Smartphones komplett übernehmen – ohne dass die Betroffenen etwas davon mitbekommen. Ist ein Gerät erst einmal infiltriert, haben die Angreifer unter anderem Zugriff auf die darauf gespeicherten Daten, können den Standort verfolgen oder das Mikrofon unbemerkt aktivieren, um die Umgebung abzuhören. Seit Jahren schon steht Pegasus in der Kritik.
Der Koordinator der polnischen Sicherheitsdienste, Tomasz Siemoniak, sagte dem Sender TVN24 unter den knapp 600 Spionagezielen seien “sicherlich auch begründete Fälle” gewesen. Doch die Versuchung für Politiker, Pegasus gegen “unbequeme Politiker, Anwälte, Richter und Staatsanwälte” einzusetzen, sei zu groß – und es habe “zu viele” solcher Fälle gegeben.
Magdalena Sroka, Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, sagte der Zeitung Gazeta, sie habe eine solche Größenordnung erwartet.
Missbrauch soll untersucht werden
Jusitzminister Bodnar hatte bereits Anfang April gegenüber dem Guardian erklärt, die vollständige Liste der Überwachungsopfer enthalte “viel mehr bekannte Personen”, als bisher öffentlich geworden ist. Es sollen nun vor allem Fälle untersucht werden, die als politisch motiviert oder missbräuchlich erscheinen.
Für die einzelnen Überwachungen hätten offensichtlich richterliche Genehmigungen vorgelegen. Nach Einschätzung von Bodnar seien die Gerichte aber nicht vollständig darüber informiert worden, dass Pegasus zum Einsatz komme.
Wojciech Klicki, Anwalt bei der NGO Panoptykon Foundation, erklärte dem Guardian, die Richter würden oft nicht einmal den Namen der zu überwachenden Personen erfahren. “Das System ist so aufgebaut, dass die Richter dazu ermutigt werden, Überwachungsanträge automatisch zu genehmigen”, so Klicki.
Bereits im Februar hatte der neue Ministerpräsident Donald Tusk erklärt, er habe Beweise für den illegalen Einsatz von Pegasus durch die Vorgängerregierung – es gebe eine “sehr lange” Liste von Opfern.
Sicherheitsforscher weisen Angriffe nach
Im Jahr 2022 war bekannt geworden, dass in Polen Oppositionelle überwacht wurden: Sicherheitsforscher des Citizen Labs an der Universität Toronto konnten nachweisen, dass das Smartphone des damaligen Oppositionspolitikers und heutigen Europaabgeordneten Krzysztof Brejza im Wahljahr 2019 über 30-mal mit Pegasus infiltriert wurde. Er hatte damals die Kampagne der Oppositionsallianz geleitet. Eigenen Angaben zufolge ist Brejza nun eine der 31 Personen, die eine Vorladung erhalten hat.
Ende 2019 wurde nachweislich auch der Rechtsanwalt Roman Giertych mehrfach mit Pegasus ausgespäht. Er hatte unter anderem Tusk vertreten, der seit Ende 2023 erneut Ministerpräsident Polens ist und zuvor Vorsitzender des Oppositionsbündnisses Bürgerkoalition war.
Auch die Staatsanwältin Ewa Wrzosek wurde überwacht. Sie ist Mitbegründerin einer unabhängigen Vereinigung von Staatsanwälten, die von der ehemaligen PiS-Regierung angetriebene Veränderungen in der polnischen Justiz kritisiert hatte.
Später wurde unter anderem auch bekannt, dass das Smartphone des heutigen Abgeordneten Jacek Karnowski ausspioniert wurde, als er noch Bürgermeister der Stadt Sopot war.
PiS-Regierung soll eigene Abgeordnete überwacht haben
Im Februar hatten polnische Medien außerdem berichtet, auch PiS-Abgeordnete seien mit Pegasus ausgespäht worden. Bei den Betroffenen handle es sich unter anderem um den ehemaligen Landwirtschaftsminister Jan Krzysztof Ardanowski und den ehemaligen Vorsitzenden der Parlamentskammer Sejm, Marek Kuchciński.
Die PiS hatte den Kauf von Pegasus zuvor eingestanden, allerdings stets dementiert, mit der Spionagesoftware Oppositionelle überwacht zu haben.
Der polnische Senat war bereits im vergangenen Herbst zu dem Schluss gekommen, dass der Kauf der Überwachungssoftware illegal war. Die Wahlen im Jahr 2019 sind demnach wegen des Einsatzes von Pegasus gegen Oppositionelle nicht fair abgelaufen.
In der EU ist der Einsatz von Spähsoftware gegen Oppositionelle oder Medienschaffende auch in Ungarn, Spanien und Griechenland bekannt geworden. (dpa / js)