Saudi-Arabien: UN fordern Aufhebung von Todesurteil wegen Social-Media-Aktivitäten
Mehrere Menschenrechtsexpertinnen und -experten der Vereinten Nationen fordern Saudi-Arabien auf, ein aufgrund von Social-Media-Aktivitäten verhängtes Todesurteil aufzuheben. NGOs zufolge wurden in dem Prozess gegen Mohammed al-Ghamdi seine Aktivitäten auf X (ehemals Twitter) und YouTube als Beweismittel angeführt.
Es sei besorgniserregend, dass Saudi-Arabien für Äußerungen im Internet die Todesstrafe oder jahrzehntelange Haftstrafen nach Anti-Terror-Gesetzen verhängt, kritisierten die Menschenrechtler. In der unter anderem von der UN-Sonderberichterstatterin zur Meinungsfreiheit, Irene Khan, verfassten Mitteilung fordern sie die Behörden auf, das Urteil gegen Mohammed al-Ghamdi unverzüglich aufzuheben.
Sollte das Urteil vollstreckt werden, wäre das nach Einschätzung der Expertinnen und Experten ein “eklatanter Verstoß gegen internationale Menschenrechtsstandards” und würde als “willkürliche Hinrichtung betrachtet” werden.
Einzelhaft und schlechter Gesundheitszustand
Mohammed al-Ghamdi wurde bereits im Juni 2022 verhaftet. Zeitweise soll er in Einzelhaft gesessen haben, ohne Kontakt zu seiner Familie oder Zugang zu einem Anwalt. Berichten zufolge ist er zudem auf Medikamente angewiesen, die ihm die saudischen Behörden verweigerten. Sein geistiger und körperlicher Gesundheitszustand habe sich daher seit seiner Festnahme stark verschlechtert – die UN-Experten erklärten, sie seien darüber zutiefst besorgt.
Im Juli 2023 wurde er vom saudischen Sonderstrafgericht unter anderem wegen der angeblichen Unterstützung von Terrororganisationen zum Tode verurteilt. Laut Amnesty International hatten die Behörden in ihrer Anklageschrift mehrere Tweets angeführt, in denen das saudische Königshaus sowie die saudische Außenpolitik kritisiert wurden. Ein Gewaltverbrechen sei ihm hingegen nicht vorgeworfen worden.
Human Rights Watch (HRW) zufolge hatte er zwei verschiedene Konten bei X genutzt – mit insgesamt nur zehn Followern. Darauf habe er weniger als 1000 Tweets veröffentlicht, wobei es sich hauptsächlich um geteilte Beiträge von Regierungskritikern gehandelt habe.
Mit dem Fall vertraute Personen hatten gegenüber HRW erklärt, al-Ghamdi habe sich selbst nicht als Aktivisten angesehen. Bei seinem Bruder, Saeed bin Nasser al-Ghamdi, handelt es sich hingegen um einen bekannten Regierungskritiker, der in Großbritannien im Exil lebt. Gegenüber Amnesty International sagte er: “Die saudischen Behörden haben mich mehrmals gebeten, nach Saudi-Arabien zurückzukehren, aber ich habe mich geweigert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Todesurteil gegen meinen Bruder eine Vergeltungsmaßnahme für meine Aktivitäten ist. Andernfalls hätten die Anschuldigungen nicht so eine harte Strafe zur Folge gehabt.”
Abschreckende Botschaft
Die UN-Experten konstatierten: “Die Festnahme, Inhaftierung und Verurteilung von Mohammed al-Ghamdi zum Tode sendet eine klare und abschreckende Botschaft an alle, die sich in Saudi-Arabien frei äußern wollen.”
Marwa Fatafta von der NGO Access Now kritisierte, das Todesurteil markiere ein neues erschreckendes Ausmaß an staatlicher Repression in Saudi-Arabien. Gemeinsam mit weiteren Menschenrechtsorganisationen fordert Access Now auch die Online-Plattform X auf, Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre und Sicherheit von Nutzerinnen und Nutzern der Plattform zu ergreifen.
Der Fall von Mohammed al-Ghamdi ist das erste bekanntgewordene Todesurteil, das in Saudi-Arabien ausschließlich wegen Aktivitäten in sozialen Medien verhängt wurde. Zuvor hatten saudische Gerichte allerdings bereits mehrere Personen zu jahrelangen Haftstrafen wegen ihrer Äußerungen in den sozialen Medien verurteilt.
Jahrzehntelange Haftstrafen für Meinungsäußerungen
So wurde die 34-jährige Salma al-Schihab im August 2022 zunächst zu 34 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie auf X Frauenrechtsaktivistinnen folgte und deren Beiträge geteilt hatte. In einem Berufungsverfahren Anfang 2023 verhängte das Gericht eine Haftstrafe von 27 Jahren – anschließend unterliegt sie außerdem einem 27-jährigen Reiseverbot.
Auch Nura al-Kahtani wurde Angaben von Menschenrechtlern zufolge verurteilt, weil sie ihre Meinung auf X geteilt hatte. Ein Gericht hatte ein Strafmaß von 45 Jahren verhängt. Aktivisten haben darüber hinaus weitere Fälle dokumentiert: Amnesty spricht von insgesamt 15 Personen, die im vergangenen Jahr wegen Meinungsäußerungen im Internet zu Haftstrafen zwischen 10 und 45 Jahren verurteilt wurden.
Die Organisation kritisiert auch, dass Saudi-Arabien weltweit zu den Ländern zählt, die am meisten von der Todesstrafe Gebrauch machen. 196 Menschen wurden dort demnach im Jahr 2022 hingerichtet. (js)