Umfrage: Auslandskorrespondenten in China verfolgt, überwacht und bedrängt
China nimmt nicht nur die einheimische Presse mit zahlreichen Schikanen und Restriktionen an die Kandare: Wie eine neue Umfrage unter Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten in dem Land zeigt, wurde auch ihre Berichterstattung im Jahr 2023 von den Behörden massiv behindert.
In dem Bericht des Foreign Correspondents’ Club of China (FCCC) gaben 99 Prozent der befragten Medienmacherinnen und -macher an, dass die Pressefreiheit während ihrer Arbeit selten oder nie internationalen Standards entspräche. Auch hätte die Pressefreiheit niemals wieder das (ohnehin schon niedrige) Niveau erreicht, wie vor der Corona-Pandemie.
“Die Ergebnisse der diesjährigen Umfrage zeigen, dass es in China nach wie vor erhebliche Hindernisse für eine unabhängige Berichterstattung gibt, insbesondere in Form von verstärkter Einschüchterung und Überwachung, sowohl vor Ort als auch durch ausgefeiltere digitale Mittel”, erklärt der FCCC.
Vier von fünf Befragten hätten angegeben, Einmischung, Belästigung oder Gewalt erlebt zu haben. Über die Hälfte sei mindestens einmal durch Polizei oder andere Beamte behindert worden. Bei 45 Prozent der Medienmacher hätten Unbekannte versucht, die Berichterstattung zu behindern.
Für den Bericht hat die Organisation Anfang des Jahres 157 der bei ihr organisierten Journalistinnen und Journalisten befragt. 101 Korrespondenten nahmen teil. Sie arbeiten für Medien aus Asien, Europa sowie Nord- und Lateinamerika. Der FCCC veröffentlicht die Umfrage einmal jährlich. 2022 wurde bereits von ähnlichen Problemen berichtet.
Tabuzonen Xinjiang und Tibet
Die Behinderung journalistischer Berichterstattung gehöre besonders in Teilen des Landes zur Praxis, die die chinesischen Behörden als “politisch sensibel” betrachten. Dazu gehört beispielsweise die Region Xinjiang, wo das Volk der Uiguren staatlichen Repressalien ausgesetzt ist und der Staat gerne neue Überwachungstechnologien testet.
85 Prozent der ausländischen Reporter, die von dort berichten wollten, gaben in der Umfrage an, auf Probleme gestoßen zu sein – wie Überwachung oder Belästigungen. In diese Region reisende ausländische Medienvertreter hätten unter strengen Kontrollen gestanden und konnten sich nur im Rahmen staatlich organisierter Touren bewegen.
Ein für ein europäisches Medium arbeitender Journalist erklärte, während seiner Reise in Xinjiang von bis zu einem halben Dutzend Polizisten in Zivil verfolgt worden zu sein. Ein ebenfalls europäischer Kollege berichtet: “Während einer einwöchigen Reise in Xinjiang kamen Polizeibeamte in mein Hotel und fragten mich, wen ich interviewt hatte und was ich sie gefragt hatte. Sie verlangten mehrmals, dass ich ihnen ein Schreiben meiner Botschaft vorlege, sonst dürfe ich dort nicht arbeiten.” Der Reporter hätte sich danach entschieden, die Recherchen vor Ort einzustellen, weil er sich um die Sicherheit der Befragten sorgte.
Ähnlichen Repressalien seien ausländische Pressevertreter in der Region Tibet ausgesetzt gewesen. Drei der befragten Reporter hätten versucht, von dort zu berichten – alle drei gaben an, mit Problemen konfrontiert worden zu sein.
Generell sei es eine Ausnahme, wenn Reporter auf ihren Recherchereisen nicht eingeschränkt werden. Mittlerweile würden die Behörden auch die Grenzgebiete zu Russland, der Mongolei und zu südostasiatischen Nachbarstaaten als sensibel betrachten und ausländische Reporter dort von der freien Berichterstattung abhalten.
Dorthin gereiste Journalisten seien von Behörden oder Männern in Zivil belästigt oder aufgefordert worden, das Filmen einzustellen und Aufnahmen zu löschen. Die Medienmacher berichten von Autokolonnen, die ihnen hunderte Kilometer durch die Landschaft gefolgt seien, Einschüchterungen gegenüber Interviewpartnern und unterbrochenen Recherchegesprächen.
Auch würden die Behörden immer mehr Technologien einsetzen, um die Berichterstattung der ausländischen Medien zu überwachen. Ein Journalist eines europäischen Mediums erklärte: “Auf einer Reise in zwei verschiedene Provinzen, auf der wir über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und extremen Wetterereignissen berichteten, wurden wir von mehreren Wagenladungen von Beamten in Zivil verfolgt. Drohnen wurden losgeschickt, um uns zu verfolgen und zu beobachten, als wir aus dem Fahrzeug stiegen, um zu filmen und Interviews zu sammeln. Wenn wir uns zu Fuß bewegten, folgten uns die Drohnen.”
Keine Visa für US-Korrespondenten
Über die (Nicht-)Vergabe von Visa versuchen die chinesischen Behörden zudem zu kontrollieren, wer berichtet. Obwohl die Grenzen offiziell wieder geöffnet sind, seien vielen Korrespondenten die erforderlichen Journalistenvisa und Aufenthaltsgenehmigungen verweigert worden. Darunter litten besonders Pressevertreter aus den USA.
Damit gehe in einigen Fällen ein Personalmangel einher: Verlassen ausländische Reporter das Land, könnten diese nicht immer ersetzt werden. Fast ein Drittel der Befragten gab an, in Unterbesetzung arbeiten zu müssen, weil sie nicht genug neue Reporter einstellen können.
Immerhin gaben 87 Prozent der bereits akkreditierten Befragten an, dass sie ihre Presseausweise und Aufenthaltsgenehmigungen 2023 reibungslos erneuern konnten. Allerdings erzählten zwei der Befragten von Einschüchterungsversuchen im Rahmen des Prozesses: “Die Person vom Außenministerium sagte mir, dass ich bei mehreren Gelegenheiten die rote Linie überschritten habe, zum Beispiel als ich sagte, China habe eine autoritäre Regierung. Außerdem sagte die Person, dass ich in separatistische Aktivitäten verwickelt sei – indem ich einen Wissenschaftler interviewte, der über Xinjiang forscht.” Zudem sei in dem Gespräch mehrfach auf den BBC-Reporter John Sudworth verwiesen worden, der 2021 China verlassen musste.
Chinesische Medienschaffende gefährdet
Chinesische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei ausländischen Nachrichtenmedien arbeiten, seien zunehmend Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Die Fallzahlen seien zwar nur leicht gestiegen, aber dennoch “besorgniserregend”, so der FCCC. Chinesische Mitarbeiter stünden deutlich stärker unter dem Druck der Sicherheitsbehörden und genössen nicht den Schutz, den ein ausländischer Pass mit sich brächte.
49 Prozent der Befragten gaben an, ihre chinesischen Kollegen seien 2023 mindestens einmal belästigt oder eingeschüchtert worden. Im Vorjahr waren es noch 45 Prozent, 2021 40 Prozent. Dadurch werde es auch zunehmend schwieriger, chinesische Mitarbeiter zu finden.
Ebenfalls unter Druck gesetzt würden potenzielle Quellen. “In den letzten Jahren ist ein deutlicher Wandel zu beobachten, bei dem akademische Quellen, Think-Tank-Mitglieder sowie Analystinnen und Analysten Interviews entweder ablehnen, Anonymität verlangen oder überhaupt nicht antworten”, schreibt der FCCC.
So haben 82 Prozent der Medienmacher angegeben, dass ihnen Interviews verweigert wurden, weil die Gesprächspartner meinten, dass sie nicht mit ausländischen Medien sprechen dürften beziehungsweise zuvor eine Genehmigung benötigten. 37 Prozent wurden Recherchereisen oder bereits zugesagte Interviews auf Druck der Behörden hin kurzfristig abgesagt.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Festlandchina auf Platz 179 von 180 Staaten – nur noch gefolgt von Nordkorea. Hongkong wird separat geführt und ist auf Platz 140 abgerutscht. (hcz)