UN-Experten fordern weltweites Moratorium für Überwachungstechnik
Mehrere Menschenrechtsexpertinnen und -experten der Vereinten Nationen fordern ein globales Moratorium für den Verkauf und die Weitergabe von Überwachungstechnologien. In einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung bezeichnen sie diese als “lebensbedrohlich”.
Sie warnen, es sei “höchstgefährlich und unverantwortlich” den Handel mit Überwachungstechnologien in einem “menschenrechtsfreien Raum” zu erlauben. Die Erklärung stammt von den UN-Sonderberichterstatterinnen für Meinungsfreiheit sowie zur Lage von Menschenrechtsverteidigern, dem Sonderberichterstatter für das Recht auf friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie der UN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte.
Anlass für die Forderung sind Recherchen der Organisationen Forbidden Stories und Amnesty International sowie mehrerer internationaler Medien: Sie hatten im Juli aufgedeckt, wie weltweit Medienschaffende, Menschenrechtler und Oppositionelle mit der Spionagesoftware Pegasus der israelischen Firma NSO überwacht wurden. In 37 Fällen konnte der Trojaner auf den Smartphones der Betroffenen nachgewiesen werden. Darunter befanden sich beispielsweise Journalisten aus Ungarn und Frankreich.
Unter den Hunderten potenziellen weiteren Ausspähzielen sollen sich zudem Politiker wie der französische Präsident Emmanuel Macron und der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, befinden.
Gefahr für die Demokratie
Die UN-Menschenrechtsexperten zeigen sich “zutiefst besorgt” über den Einsatz solcher Techniken, um Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Oppositionelle zu überwachen, einzuschüchtern und “zum Schweigen zu bringen”. Dadurch würden die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Privatsphäre verletzt. Auch werde möglicherweise das Leben von Hunderten von Menschen gefährdet. Die Expertinnen und Experten mahnen zudem, die Überwachungspraktiken bedrohten die Medienfreiheit und untergraben Demokratie, Frieden, Sicherheit und die internationale Zusammenarbeit.
Die internationale Gemeinschaft müsse daher Vorschriften entwickeln, die den Einsatz der Technik im Einklang mit den Menschenrechten gewährleisten. Bis dahin müsse ein globales Moratorium gelten.
Forderungen an NSO und Israel
Auch an den Pegasus-Hersteller NSO wenden sich die UN-Experten: Die Firma müsse offenlegen, ob sie jemals eine menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung durchgeführt habe, die im Einklang mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte steht. Auch die Ergebnisse aller internen Untersuchungen zu dem Thema müsse NSO veröffentlichen.
Der Hersteller hatte die Vorwürfe im Juli als falsch und irreführend zurückgewiesen und erklärt, man verkaufe Pegasus nur an Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste von “geprüften Regierungen”. In der Vergangenheit hatte das Unternehmen versichert, die UN-Leitprinzipien zu respektieren und umzusetzen. Bürgerrechtsorganisationen zweifeln dies jedoch an.
Die UN-Experten fordern zudem Israel auf, vollständig offenzulegen, wie die Exportgeschäfte von NSO auf die Menschenrechtsverpflichtungen des Landes geprüft wurden. Staaten müssten sicherstellen, dass Firmen wie NSO ihre Produkte nicht an Regierungen oder Organisationen verkaufen, die damit die Menschenrechte verletzen. Man stehe im direkten Austausch mit der israelischen Regierung und NSO.
Frühere Warnungen blieben folgenlos
Bereits vor zwei Jahren hatte der damalige Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit einen Bericht über die Auswirkungen von Überwachungstechnologien auf die Menschenrechte veröffentlicht. Darin hieß es, häufig seien Aktivisten, Journalisten, Oppositionelle und Kritiker betroffen. Die Überwachung einzelner Personen führe zu willkürlichen Verhaftungen, Folter und möglicherweise Tötungen. Auch der Sonderberichterstatter hatte ein sofortiges Moratorium gefordert.
“In den letzten Jahren haben wir immer wieder Alarm geschlagen und vor der Gefahr gewarnt, die Überwachungstechnologie für die Menschenrechte darstellt”, schreiben die Experten. Doch die internationale Gemeinschaft sei den früheren Forderungen nach einem Moratorium nicht nachgekommen.
Die Experten erklären weiter, internationale Menschenrechtsgesetze verlangten von allen Staaten rechtliche Schutzmaßnahmen, um Personen vor unrechtmäßiger Überwachung und damit einem Eingriff in die individuellen Rechte zu schützen.
Amnesty International begrüßte die Forderung der UN-Sonderberichterstatter. Amnesty, Reporter ohne Grenzen und Edward Snowden, der im Jahr 2013 die NSA-Affäre aufgedeckt hatte, fordern ebenfalls ein weltweites Moratorium für den Verkauf, die Weitergabe und die Nutzung von Überwachungstechnologie. (js)