US-Abtreibungsrecht: Bürgerrechtler warnen vor Datensammlungen
US-Bürgerrechtler warnen, von Apps und Online-Diensten gesammelte Daten könnten eine Gefahr für Frauen darstellen, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollen. Auch Personen, die Informationen zu solchen Eingriffen bereitstellen, seien gefährdet. Hintergrund ist die Entscheidung des Supreme Courts, das bisherige Abtreibungsrecht in den USA zu kippen.
Die Entscheidung des Obersten Gerichts unterstreiche die Bedeutung des Datenschutzes, teilte die Organisation Electronic Frontier Foundation (EFF) mit. Wenn Frauen Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch suchen oder wenn Personen solche Eingriffe vornehmen oder erleichtern, müssten sie nun davon ausgehen, dass Datenspuren von Strafverfolgungsbehörden abgefragt werden können.
Auch die NGO “Center for Democracy & Technology” (CDT) warnt: “Im digitalen Zeitalter öffnet diese Entscheidung den Strafverfolgungsbehörden und privaten Kopfgeldjägern Tür und Tor, um große Mengen privater Daten von gewöhnlichen Amerikanern zu sammeln.”
Daten werden verkauft
So könnten etwa Standortdaten von Datenhändlern ohne das Wissen der Nutzerinnen und Nutzer verkauft werden. Solche Daten können beispielsweise den Besuch einer Abtreibungsklinik verraten. Daten von Suchanfragen könnten ebenso offengelegt werden wie Daten aus Gesundheits-Apps – wie etwa digitalen Periodenkalendern. Das US-Magazin Vice hatte kürzlich berichtet, dass sich Daten über die Verwendung solcher Apps kaufen lassen. Diese könnten zur Identifizierung der Nutzerinnen verwendet werden.
Gegenüber dem Guardian wies eine Strafverteidigerin aus Texas außerdem darauf hin, dass Strafverfolger von App-Anbietern die Herausgabe von Daten verlangen können.
Der Oberste Gerichtshof der USA hatte am vergangenen Freitag das landesweit geltende Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gekippt, indem die Richter zwei frühere Grundsatzentscheidungen aufgehoben hatten. Im Jahr 1973 hatte das Gericht im Fall “Roe v. Wade” Abtreibungen in den gesamten USA ermöglicht. Ein weiteres Urteil aus dem Jahr 1992 hatte diese Rechtsprechung bestätigt. Nun gelten aber wieder die Gesetze der einzelnen Bundesstaaten. In Arkansas, Kentucky, Louisana und Oklahoma etwa sind bereits Gesetze in Kraft getreten, die Schwangerschaftsabbrüche stark einschränken. Erwartet wird, dass mehr als die Hälfte aller US-Bundesstaaten restriktive Gesetze erlassen werden.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete die Entscheidung als “düsteren Meilenstein in der Geschichte der Vereinigten Staaten”. Millionen Frauen seien nun nicht mehr in der Lage, eine zutiefst persönliche Entscheidung zu treffen.
Forderungen an Tech-Unternehmen
Die EFF empfiehlt nun, Datenschutzbestimmungen von Gesundheits-Apps sorgfältig zu lesen und gegebenenfalls eine andere App zu nutzen. Der Zugriff auf Standortdaten sollte für alle Apps deaktiviert werden, die diesen nicht benötigen. Außerdem rät die EFF zur Verwendung von verschlüsselten Messenger-Diensten.
Das Center for Democracy & Technology fordert auch Tech-Unternehmen auf, die digitale Privatsphäre von Frauen zu schützen. Sie sollten etwa das Sammeln und den Verkauf von Daten einschränken. Auch die Organisation Access Now fordert, Unternehmen sollten keine Daten verkaufen, die Aufschluss über Entscheidungen im Bereich der reproduktiven Gesundheit geben. Der Verkauf sei ein “Angriff auf die Menschenrechte”.
Auch sollten sie Behörden den Zugang zu solchen Daten verweigern. Das CDT fordert, wenn die Unternehmen Anträge auf Datenherausgabe von Strafverfolgern auf Basis von Abtreibungsgesetzen erhalten, sollten sie diese sorgfältig prüfen. Nutzerinnen müssten außerdem über solche Anträge informiert werden – und auch die Gesamtzahl solcher Anforderungen sollte offengelegt werden.
Das Urteil des Supreme Courts hatte sich abgezeichnet, nachdem die US-Zeitung Politico im Mai einen Entwurf des Urteils veröffentlicht hatte. Die NGO Surveillance Technology Oversight Project (STOP) hatte daraufhin gewarnt, Strafverfolger und Abtreibungsgegner würden Schwangere “ins Visier nehmen und ihre Gesundheitsdaten vor Gericht verwenden”.
STOP kritisiert etwa, dass US-Polizeibehörden bei Suchmaschinenanbietern Daten von allen Nutzern anfragen können, die nach bestimmten Begriffen gesucht haben. Auch die Herausgabe von Standortdaten können sie verlangen.
Die Organisation verweist auf den Fall einer Frau, die im US-Bundesstaat Mississippi wegen Mordes an ihrem totgeborenen Fötus angeklagt wurde. Die Ermittler hatten dabei ihren Google-Suchverlauf als Beweismittel herangezogen. In dem Fall hatten sie ihr Mobiltelefon untersucht und festgestellt, dass die Betroffene nach Abtreibungspillen gesucht hatte. Die Anklage wurde letztlich fallen gelassen.
Organisationen fordern Verbot von Datensammlungen
Die Organisation Fight For Future fordert zudem Gesetze, die das Datensammeln verbieten. Erst kürzlich hatte Fight For Future gemeinsam mit Amnesty International und weiteren Organisationen an Google appelliert, keine Standortdaten mehr zu erfassen. Der Konzern speichere Standortdaten von Hunderten Millionen Smartphones. Durch die Weitergabe an Behörden mache sich das Unternehmen mitschuldig “an der Kriminalisierung, Verfolgung und Inhaftierung von Menschen, die eine Abtreibung vornehmen oder vornehmen lassen”.
Das US-Magazin Vice hatte im Mai zudem über eine Firma berichtet, die zeitweise Standortdaten aus dem Umfeld von Abtreibungskliniken verkauft hatte. Zwar geht aus diesen Daten nicht direkt hervor, um welche Personen es sich handelt. Dass sich allerdings auch mithilfe solcher Datensätze einzelne Personen identifizieren lassen, hatte die New York Times bereits 2018 aufgezeigt: Viele Apps senden den eigenen Standort gleich mehrmals pro Tag. Daraus ergeben sich sehr genaue Bewegungsprofile, die alle mit einer eindeutigen Nummer verknüpft sind. Über diese Daten lassen sich Rückschlüsse auf einzelne Personen ziehen. Eine von den Journalistinnen und Journalisten auf diese Weise verfolgte Person hatte auch eine Abtreibungsklinik besucht und sich dort länger als eine Stunde aufgehalten. (js)