Weltweit mehr als 500 Medienschaffende inhaftiert

Ein Mann in einer blauen Weste mit der Aufschrift Press vor einem zerstörten Gebäude in der Ukraine
Zum ersten Mal in den vergangenen fünf Jahren kamen mehr Medienschaffende in Kriegsgebieten ums Leben als außerhalb, berichtet RSF. (Quelle: IMAGO / Pond5 Images)

Weltweit sitzen derzeit 521 Medienschaffende wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Das geht aus der Jahresbilanz der Pressefreiheit 2023 hervor, die Reporter ohne Grenzen (RSF) am heutigen Donnerstag veröffentlicht hat.

Zum Stichtag am 1. Dezember 2023 lag die Zahl der Inhaftierten somit gut 8 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum. Damals waren weltweit fast 570 Medienschaffende eingesperrt – so viele wie nie zuvor. Dennoch liegt die Zahl noch immer auf sehr hohem Niveau, heißt es in der aktuellen Jahresbilanz der Organisation.

Fast ein Viertel aller weltweit inhaftierten Journalistinnen und Journalisten sitzen demnach in China (121) im Gefängnis – einschließlich zwölf in Hongkong. Unter ihnen ist Jimmy Lai, Gründer der inzwischen eingestellten Zeitung Apple Daily. Er ist wegen angeblicher Verstöße gegen das von Peking im Jahr 2019 in Hongkong erlassenen “Sicherheitsgesetz” angeklagt. Laut RSF droht ihm eine lebenslange Haftstrafe.

“Noch immer kommt im Schnitt fast jede Woche ein Journalist oder eine Reporterin ums Leben.” Katja Gloger, RSF

68 Medienschaffende befinden sich in Myanmar in Haft. Die Hälfte von ihnen wartet laut RSF noch auf einen Gerichtsprozess. In anderen Fällen seien hohe Haftstrafen verhängt worden: Im September hatte ein Militärgericht etwa den Fotojournalisten Sai Zaw Thaike zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt.

Lange Haftstrafen in Belarus

Auch Belarus zählt 2023 zu den drei Ländern mit den meisten inhaftierten Journalistinnen und Journalisten: Derzeit sind es 39 und damit sieben mehr als Ende 2022. Unter ihnen sind auch zehn Journalistinnen – nur in China (14) sind es mehr.

So wurden beispielsweise Maryna Zolatava und Ljudmila Tschekina, die Chefredakteurin und Geschäftsführerin der populären Nachrichtenseite Tut.by, zu jeweils zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Tut.by war während der Massenproteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko im Jahr 2020 bekannt geworden und wurde inzwischen geschlossen.

In Russland befinden sich insgesamt 28 Medienschaffende in Haft. Darunter auch eine US-Bürgerin und ein US-Bürger: Alsu Kurmaschewa arbeitet für Radio Free Europa/Radio Liberty in Prag. Die Journalistin mit doppelter Staatsbürgerschaft wurde im Oktober festgenommen. Bereits im März war zudem Evan Gershkovich festgenommen worden, der als Korrespondent für das Wall Street Journal arbeitet.

Den Rückgang der Gesamtzahl der weltweit inhaftierten Medienschaffenden erklärt RSF unter anderem damit, dass im Iran und in der Türkei weniger Journalistinnen und Journalisten festgehalten werden als im Vorjahr. In beiden Ländern sei es allerdings “verbreitete Praxis”, Medienschaffende wiederholt inhaftieren zu lassen.

Weltkarte mit Zahlen zu inhaftierten Medienschaffenden
Die zehn Länder mit den meisten inhaftierten Medienschaffenden (Quelle: Reporter ohne Grenzen)

Mehr als die Hälfte aller weltweit eingesperrten Journalistinnen und Journalisten wartet laut Jahresbilanz noch auf einen Gerichtsprozess.

45 Journalisten getötet

Nach Angaben von RSF kamen im laufenden Jahr weltweit 45 Medienschaffende im Zusammenhang mit ihrer Arbeit ums Leben. Das seien so wenige wie seit 2002 nicht mehr – damals waren 33 Pressevertreter getötet worden. Mehr als die Hälfte der Getöteten kamen 2023 in Kriegsgebieten ums Leben.

Besonders gefährlich ist es auch, zu organisierter Kriminalität und Korruption zu arbeiten. 2023 wurden aufgrund von Recherchen zu diesen Themen 15 Reporter getötet, vor allem in Lateinamerika und Afrika.

“Wer aus Kriegen und bewaffneten Konflikten berichtet, bezahlt diesen Mut immer noch viel zu oft mit dem eigenen Leben. Besonders gefährlich ist es derzeit im Gazastreifen”, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger.

Laut RSF wurden mindestens 17 Medienschaffende seit dem 7. Oktober im Gazastreifen (13), in Israel (1) und im Libanon (3) getötet. In diesen Fällen habe die Organisation mit “hinreichender Sicherheit” feststellen können, dass ihr Tod mit ihrer Arbeit zusammenhing. Weitere Fälle würden noch untersucht. RSF hat zudem Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht, um wegen möglicher Kriegsverbrechen seitens der Hamas und der israelischen Armee zu ermitteln.

Gloger fügte hinzu: “Wir denken aber auch an die Berichterstatterinnen und Berichterstatter in anderen Kriegen und Konflikten, etwa in der Ukraine oder in Mali. Ihre Arbeit bleibt gefährlich, auch wenn die öffentliche Aufmerksamkeit gesunken ist. Wir sollten uns nicht täuschen: Noch immer kommt im Schnitt fast jede Woche ein Journalist oder eine Reporterin ums Leben. Auch die Zahl der Inhaftierten ist weiter hoch. Wir fordern deshalb die Regierenden in den Demokratien auf, sich noch stärker für das Menschenrecht auf Pressefreiheit einzusetzen.”

Weniger Fälle in Lateinamerika

Laut Bericht wurden in Lateinamerika in diesem Jahr sechs Medienschaffende getötet – RSF spricht von einem “bemerkenswerten Rückgang”, im vergangenen Jahr hatte die Organisation dort noch 26 Morde dokumentiert. Von einer strukturellen Verbesserung der Sicherheitslage in der Region könne allerdings nicht die Rede sein, betont RSF. Stattdessen hätten beispielsweise in Mexiko (vier Getötete) einige Medienschaffende “ihre Risiken vorsichtiger kalkuliert” und vermehrt Selbstzensur geübt.

Derzeit gelten außerdem 54 Medienschaffende in fünf Ländern als entführt: in Syrien, Irak, Jemen, Mali und Mexiko. Fast die Hälfte von ihnen (25) wurde bereits in den Jahren 2013 bis 2015 im Irak und Syrien vom sogenannten Islamischen Staat (IS) gefangengenommen.

Zudem gelten weltweit 84 Reporter als verschwunden – die meisten von ihnen in Mexiko. Dort wird beispielsweise der Fotojournalist Juan Carlos Hinojosa Viveros seit dem 6. Juli vermisst. Als verschwunden betrachtet RSF Personen, wenn es keine ausreichenden Belege für ihre Tötung oder Entführung gibt.

Die Jahresbilanz der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen erscheint seit 1995. Die Zahlen beziehen sich stets auf den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 1. Dezember eines Jahres. RSF zählt eigenen Angaben zufolge nur Fälle, bei denen die Organisation verifizieren konnte, dass diese mit der journalistischen Tätigkeit der Opfer zusammenhängen. In die Statistik gehen neben professionellen Journalisten auch Bürgerjournalisten sowie Mitarbeiter wie Kamera- oder Tontechniker ein. (js)