Amazon überwacht seine Fahrer auch in Großbritannien per Kamera
Wie bereits in den USA wird Amazon nun auch in Großbritannien seine Paketbotinnen und -boten per Kamera bei der Arbeit überwachen. Der Versandriese hat Medienberichten zufolge damit begonnen, entsprechende Geräte in seine Lieferwagen einzubauen. Bürgerrechtsorganisationen kritisieren die Technik als “aufdringlich” und “gruselig”.
Pro Fahrzeug soll jeweils eine Kamera auf die Straße gerichtet sein und eine weitere die Fahrerkabine beobachten, berichtet The Telegraph. Der Konzern plant, mithilfe des Systems gefährliche Fahrweise festzustellen und zu verhindern.
Für die Analyse käme künstliche Intelligenz zum Einsatz. Sie soll unter anderem feststellen, wenn zu hart gebremst wird, Geschwindigkeitsbeschränkungen überschritten werden oder der oder die Fahrende abgelenkt ist. Bei Verstößen sollen Sprachmeldungen die Angestellten auf ihr Fehlverhalten hinweisen.
Dem Bericht zufolge schalten sich die Kameras automatisch aus, sobald der Fahrzeugmotor abgestellt wird. The Telegraph geht davon aus, dass Amazon nur in Ausnahmefällen auf die Aufnahmen der internen Kamera zugreifen kann. Es fände keine Live-Videoübertragung statt und die Kameras nähmen keinen Ton auf.
Arbeitnehmerrechte bedroht
Ein Sprecherin der Gewerkschaft GMB erklärte gegenüber The Telegraph, sie habe zwar grundsätzlich nichts gegen nach außen gerichtete Kameras, aber die in der Kabine seien “eine große Ablenkung”. Sie fügten hinzu: “Es gibt bereits Technologien, die sicherstellen, dass die Fahrer sicher fahren. Wir sind dagegen, dass die Kameras jede Sekunde des Arbeitstages in das Gesicht der Fahrer gerichtet sind. Das ist Überwachung und trägt nicht zur Sicherheit der Fahrer bei.”
Ein Amazon-Sprecher verteidigte das Überwachungssystem gegenüber der IT-Nachrichtenseite The Register: “Wir entschuldigen uns nicht dafür, dass wir in Sicherheitstechnologie investieren, um die Sicherheit von Fahrern, Kunden und Gemeinden zu erhöhen – das ist das, was jedes verantwortungsbewusste Unternehmen tun würde.” In den USA hätten sich nach Einführung die Unfälle um 48 Prozent reduziert. Zudem gab Amazon gegenüber The Telegraph an, es gäbe keinen anderen Grund für Überwachung als die Sicherheit der Fahrer und der Öffentlichkeit.
Silkie Carlo, Direktorin von Big Brother Watch, sieht durch das Kamerasystem sowohl die Privatsphäre der Fahrerinnen und Fahrer als auch deren Rechte als Angestellte in Gefahr. Sie sagte: “Diese Art der gezielten Überwachung könnte die Fahrer tatsächlich ablenken, ganz zu schweigen von ihrer Demoralisierung. Das ist schlecht für die Rechte der Arbeitnehmer und schrecklich für die Privatsphäre in unserem Land.” Amazons System sei “exzessiv, aufdringlich und unheimlich”.
Außerdem wies sie darauf hin, dass Amazon bereits in der Vergangenheit mit vergleichbaren Vorstößen für Kritik gesorgt hatte.
USA schon weiter
Denn in den USA ist ein vergleichbares System bereits seit 2021 im Einsatz. Dort müssen die Lieferwagenfahrer seit März vergangenen Jahres schriftlich dazu einwilligen, sich während der Arbeit mit Kameras, Sensoren und KI-Analyse überwachen zu lassen. Berichten zufolge wurden Mitarbeiter entlassen, die nicht unterschreiben wollten.
Auch hatten sich US-Fahrer nach Einführung des Systems über Fehlalarme und unbegründete Strafen beschwert. Sie kritisierten, die automatische Erkennung von Verkehrsdelikten und gefährdender Fahrweise funktioniere nur unzuverlässig. So kämen ungerechtfertigt schlechte Bewertungen zustande, gegen die kein Einspruch eingelegt werden könne. .
Wie auch die nun in Großbritannien eingesetzten Kameras stammt die Technik in den USA vom kalifornischen Hersteller Netradyne. Welche Daten gesammelt werden und wie Amazon die Informationen nutzt, hat der Konzern in einem Dokument zusammengefasst.
Überwachungsapparat
Bereits Ende 2020 hatten geleakte interne E-Mails Einblick in Amazon Sicherheitsabteilung und deren Arbeitsweise gegeben. Sie belegten, in welchem Umfang der Konzern seine Angestellten überwacht: Gewerkschaftsaktivitäten wurden bis ins Detail beäugt und Teilnehmerlisten protokolliert. Um Unzufriedenheiten zu identifizieren und Konversationen unter Angestellten mitzuverfolgen, erstellte das Sicherheitspersonal sogar Social-Media-Accounts mit falschen Identitäten.
Die Unterlagen belegten außerdem, dass der Konzern systematisch Gewerkschaftstreffen sowie Umweltschutz- und Sozialbewegungen wie Fridays For Future oder Greenpeace ins Visier nahm – auch wenn diese keinen direkten Bezug zu Amazon haben.
Im Februar 2021 hatte der US-Nachrichtensender CNBC außerdem über eine App berichtet, die Amazons Lieferanten installieren müssen. Das Programm “Mentor” muss demnach dauerhaft während der Arbeitszeit auf einem Mobilgerät laufen und überwacht das Fahrverhalten der Angestellten. Ähnlich wie das nun bekannt gewordene Kamerasystem erfasst Mentor Ereignisse wie Kurvenfahrten, Bremsmanöver und den Standort des Fahrzeugs.
Aus den analysierten Daten generiert Mentor eine Punktwertung, die das Fahrverhalten der Angestellten widerspiegeln soll. Bei schlechten Bewertungen drohen Fahrern und ihren arbeitgebenden Lieferunternehmen Sanktionen. Die App soll schon seit mehreren Jahren im Einsatz sein, auch in Deutschland. (hcz)