Bürgerrechtler erheben Verfassungsbeschwerde gegen BND-Gesetz
Gemeinsam mit Medienschaffenden und Menschenrechtsaktivisten haben Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Verfassungsbeschwerde gegen das reformierte BND-Gesetz erhoben. Die Organisationen teilten am heutigen Donnerstag mit, erneut eine Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht zu haben. Nach Ansicht der Klagenden verletzt das Gesetz unter anderem das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das sogenannte IT-Grundrecht.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2020 entschieden, dass die anlasslose Überwachung des Geheimdienstes im Ausland in der damals gültigen Fassung des BND-Gesetzes gegen das Grundgesetz verstoßen hatte. Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit gelten demnach auch für Nicht-Deutsche im Ausland.
Die damalige Bundesregierung hatte daraufhin eine Novelle des Gesetzes erarbeitet, die am 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist.
Doch die Klagenden bemängeln, der Gesetzgeber habe sich mit der Novelle über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinweggesetzt. Es seien sogar neue verfassungswidrige Regelungen aufgenommen worden. Ziel der nun eingereichten Klage ist eine erneute Reform des Gesetzes.
“Dass wir drei Jahre nach einem bahnbrechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts das gleiche Gesetz vor dem gleichen Gericht erneut angreifen müssen, ist ein rechtsstaatlicher Skandal. Zumal das Gesetz heute mehr verfassungswidrige Vorschriften denn je enthält”, kritisierte Bijan Moini, Verfahrenskoordinator der GFF.
Unzureichender Schutz von Medienschaffenden
Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil aus dem Jahr 2020 auch einen Verstoß gegen die Pressefreiheit festgestellt: Es hatte bemängelt, dass im BND-Gesetz keine Schutzvorkehrungen für Berufsgeheimnisträger wie Journalisten enthalten waren. Die Beschwerdeführenden bemängeln jedoch, die Pressefreiheit sei auch vom neuen BND-Gesetz besonders betroffen, weil es keine Schutzmaßnahmen für sogenannte Verkehrsdaten vorsehe – also wann Medienschaffende mit wem kommunizieren. Helene Hahn, Referentin für Internetfreiheit bei RSF, kritisierte, dadurch könne das Vertrauensverhältnis zu journalistischen Quellen wie Whistleblowern gestört werden.
Kritisiert wird auch der im Gesetz unterschiedlich ausfallende Schutz von Menschen vor Überwachung, abhängig von ihrer Nationalität und ihrem Wohnort. So darf der Auslandsgeheimdienst keine Kommunikation von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern abfangen. Allerdings enthält das reformierte BND-Gesetz eine neue Befugnis, um sogenannte Maschine-zu-Maschine-Kommunikation zu erfassen. Dabei geht es um Metadaten, die bei der Kommunikation zwischen zwei technischen Geräten anfallen. Die Klagenden kritisieren, dies sei “praktisch an keine Voraussetzungen” geknüpft – die Daten können also auch von Deutschen erfasst werden. Sie könnten Einblicke in “zahlreiche Lebensrealitäten und das Sozialverhalten geben”.
Zudem seien Nicht-EU-Bürger mit dauerhaftem Wohnsitz in Deutschland nur vor Überwachung geschützt, während sie sich in Deutschland aufhalten. Reporter ohne Grenzen erklärte, dies könnte beispielsweise Medienschaffende im Exil treffen. Wenn diese die Bundesrepublik für eine Recherche verlassen, würden sie zu potenziellen Überwachungszielen für den BND. Aus Sicht der Organisation ist es “völlig unverständlich”, warum die Bundesregierung “ausländischen Journalistinnen und Journalisten den Schutz vor Überwachung verweigert”.
Einsatz von Staatstrojanern angegriffen
Auch um den Einsatz von sogenannten Staatstrojanern gegen Nicht-Deutsche im Ausland geht es in der Verfassungsbeschwerde, also um Software zum Ausspionieren von Geräten wie Smartphones. Die Klagenden kritisieren, für den Einsatz solcher Überwachungswerkzeuge gebe es keine “nennenswerten Hürden”. Der Gesetzgeber habe damit die “bisher niedrigste Eingriffsschwelle für den Einsatz von Staatstrojanern im deutschen Recht überhaupt” geschaffen.
Gegen die Befugnis zum Staatstrojaner-Einsatz hatte RSF auch im Oktober 2021 Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Am gestrigen Mittwoch hat das Gericht diese Klage jedoch als unzulässig abgewiesen, weil sich nach Auffassung der Richter die befürchtete Überwachung “nicht hinreichend konkret abgezeichnet” habe. RSF kündigte an, gegen diese Entscheidung ebenfalls Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einzulegen.
Insgesamt greift die neue Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz rund 30 Punkte des Gesetzes an. Dazu zählt auch die Befugnis zur Überwachung von EU-Bürgern. In der Verfassungsbeschwerde wird angeregt, diese Frage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Bijan Moini erklärte, eine Entscheidung des höchsten europäischen Gerichts könnte potenziell Auswirkungen auf andere europäische Geheimdienste haben.
Auch Bestimmungen zur Datenübermittlung durch den BND an in- und ausländische Stellen werden angegriffen.
Organisationen und Investigativjournalisten klagen
RSF und GFF erheben die Verfassungsbeschwerde auch im eigenen Namen als betroffene Organisationen. Die internationale Organisation von RSF mit Sitz in Paris zählt ebenfalls zu den Beschwerdeführenden. Die Organisationen erklärten, ihre Kommunikation könne für die Arbeit des BND relevant sein, weil sie intensiven Kontakt zu Klagenden, Medienschaffenden und Politikern auf der ganzen Welt pflegen.
Außerdem zählen Medienschaffende und Menschenrechtsaktivisten aus Deutschland, der EU und dem Nicht-EU-Ausland zu den Klagenden. Sie arbeiten überwiegend investigativ und überregional, etwa zu Korruption, organisierter Kriminalität und Menschenrechtsverletzungen. Dies seien Themen, die zum Aufklärungsauftrag des BND gehörten. Einige der Klagenden waren zudem bereits in der Vergangenheit von staatlicher Überwachung betroffen.
Laut der GFF verdeutlicht der aktuelle Fall auch, dass Kritik von Sachverständigen im Gesetzgebungsverfahren ernster genommen werden müsse. Denn bereits während des Gesetzgebungsverfahrens hatte es scharfe Kritik unter anderem an den neuen Befugnissen des Auslandsgeheimdienstes gegeben. Diese sei “praktisch vollständig ignoriert” worden, kritisierte die GFF. (js)