BND-Gesetz: Geheimdienst darf Kommunikationsdienste im Ausland angreifen

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Das Bundesverfassungsgericht hatte das alte BND-Gesetz Anfang 2020 für teilweise verfassungswidrig erklärt. (Quelle: IMAGO / phototek)

Der Bundestag hat am vergangenen Donnerstag die Novelle des BND-Gesetzes verabschiedet; nur einen Tag später stimmte auch der Bundesrat zu. Mit der Gesetzesänderung sollen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden, das Teile der Auslandsüberwachung durch den BND im Mai 2020 für verfassungswidrig erklärt hatte. Nichtregierungsorganisationen kritisieren allerdings, der BND habe weiterhin zu große Spionagebefugnisse, diese seien teilweise sogar noch ausgebaut worden. Auch Journalistinnen und Journalisten würden noch immer unzureichend vor Überwachung geschützt. Sie erwägen bereits eine neue Verfassungsbeschwerde.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil entschieden, dass eine globale und pauschale Überwachung auch für die Auslandsaufklärung nicht mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist. Zumindest im Fall des Fernmeldegeheimnisses und der Pressefreiheit gelten die Grundrechte auch für Nicht-Deutsche im Ausland, stellten die Richter fest. Das Gericht verpflichtete die Regierung zur Überarbeitung des BND-Gesetzes bis spätestens zum 31. Dezember 2021. Damit wurde einer Verfassungsbeschwerde von Reporter ohne Grenzen und mehrerer ausländischer Journalisten stattgegeben, die von der Gesellschaft für Freiheitsrechte koordiniert wurde.

Die Novelle des BND-Gesetzes wurde im Bundestag nun mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD beschlossen, die Opposition stimmte dagegen. Am bereits heftig kritisierten Regierungsentwurf waren zuvor nur noch geringfügige Änderungen vorgenommen worden.

BND erhält Lizenz zum Hacking

Im Rahmen der sogenannten strategischen Telekommunikationsüberwachung im Ausland überwacht der BND die Kommunikation von Bürgern anderer Länder. Daten greift er unter anderem am Internet-Knoten “De-CIX” in Frankfurt am Main ab. Da der Geheimdienst Telekommunikationsanbieter im Ausland nicht zur Kooperation zwingen kann, sieht das nun verabschiedete Gesetz neue Befugnisse vor: Künftig darf sich der BND “mit technischen Mitteln Zugang zu informationstechnischen Systemen eines ausländischen Telekommunikations- oder Telemediendienstanbieters im Ausland auch ohne dessen Wissen verschaffen” und Daten abgreifen. Der Dienst soll also Angriffe auf ausländische Telekommunikationsanbieter durchführen dürfen.

Der Verband der Internetwirtschaft, Eco, hatte diese neue Befugnis bereits im Februar in einer Stellungnahme scharf kritisiert. Alle ausländischen Anbieter – auch Plattformbetreiber wie Google, Facebook, Amazon oder Apple – würden potenzielle Ziele staatlichen Hackings. Auch Endgeräte von Ausländern im Ausland darf der BND künftig offiziell kompromittieren. Beide Regelungen hätten Folgen für die allgemeine IT-Sicherheit. Denn staatliche Akteure würden durch sie Anreize erhalten, Softwarelücken geheim zu halten, um sich darüber weitere Informationen zu beschaffen. “Das schafft Einfallstore für Cyberkriminelle und damit ein kaum abschätzbares Sicherheitsrisiko. Die IT-Sicherheit und Integrität digitaler Infrastrukturen darf nicht verhandelbar sein”, warnte Klaus Landefeld vom Eco. Betroffen seien auch alle Bundesbürger, die sich im Internet bewegen. Auch Nora Markard, Professorin für Internationales öffentliches Recht und Menschenrechtsschutz an der Uni Münster, hatte die Hacking-Befugnisse des BND in ihrer Stellungnahme als “verfassungsrechtlich höchst bedenklich” bezeichnet.

“Keine tatsächliche Beschränkung”

Das Bundesverfassungsgericht hatte gefordert, das Volumen der vom BND im Ausland ausgelesenen Daten zu beschränken. In dem Gesetz ist nun eine Obergrenze “von nicht mehr als 30 Prozent der bestehenden Telekommunikationsnetze” festgelegt. Das sei aber “keine tatsächliche Beschränkung und insbesondere keine prüfbare Beschränkung”, beurteilt der Eco die Regel.

Auch einen Verstoß gegen die Pressefreiheit hatte das Gericht festgestellt: Es hatte bemängelt, dass das BND-Gesetz keine Schutzvorkehrungen für Berufsgeheimnisträger wie Journalisten enthält. Die Gesetzesnovelle sieht nun den Schutz von “Geistlichen, Verteidigern, Rechtsanwälten und Journalisten” vor. An dieser Stelle wurde das Gesetz nachgebessert und klargestellt, dass alle Medienvertreter gemeint sind, die “frei und unabhängig” berichten. Dazu zählen auch Blogger “in Staaten, in denen die Pressefreiheit sehr stark bedroht ist”. Der BND muss nun dokumentieren, welche Personen er zu den Gruppen der Berufsgeheimnisträger zählt. Das soll die Kontrolle der Entscheidungen erleichtern.

Den Schutz von Journalisten und Bloggern hatte auch Reporter ohne Grenzen gefordert. Die Organisation hatte darauf verwiesen, dass der Zugang zum Journalistenberuf in Diktaturen und autoritären Staaten häufig staatlich reguliert ist. In diesen Ländern seien es vor allem Blogger, die unabhängig berichten.

Überwachung von Journalisten

Das Gesetz gestattet aber weiterhin die Überwachung von Journalisten: Beispielsweise wenn diese “notwendig” sei, um die Gefahr für “Leib, Leben oder Freiheit einer Person” oder die Sicherheit des Bundes, eines Landes oder eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union abzuwehren. Aus Sicht von Reporter ohne Grenzen sind die im Gesetz geschaffenen Hürden für die Überwachung von Journalisten und ihren Quellen im Rahmen der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung unzureichend: Der Gesetzgeber versäume es, ausländische Medienschaffende in der Praxis vor digitaler Überwachung zu schützen.

Daten aus “Maschine-zu-Maschine-Kommunikation”

Deutsche Staatsbürger darf der BND nicht überwachen. Doch das neue Gesetz sieht auch hier Ausnahmen vor: Verkehrsdaten aus “Maschine-zu-Maschine-Kommunikation” soll der BND speichern dürfen – diese seien nicht durch das Fernmeldegeheimnis geschützt. Solche Daten fallen etwa an, wenn ein Handy mit einer Mobilfunkzelle kommuniziert. Die zur Identifizierung der Nutzer geeigneten Daten müssen dabei “unverzüglich nach ihrer Erhebung automatisiert unkenntlich gemacht werden”. Der BND soll sie als sogenannte Hashwerte speichern. Der Verband Eco kritisiert diese Regel als “dysfunktional” und schreibt: “Eine Anonymisierung, wie darin vorgesehen, ist in technischer Hinsicht unmöglich, solange auch nur ein Kommunikationsteilnehmer und ein weiteres eindeutiges Merkmal der Kommunikation bekannt sind.” Auch Reporter ohne Grenzen kritisiert, dass die Befugnis zum uneingeschränkten Sammeln von Verkehrsdaten dem BND ermögliche, die “bisherige Überwachungspraxis weitgehend” fortzusetzen.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2017 entschieden, dass es keine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung von Verkehrsdaten deutscher Staatsangehöriger durch den BND gibt. Diese Rechtsgrundlage wird nun geschaffen.

Kritik am neuen Gesetz

An dem gerade erst verabschiedeten BND-Gesetz gibt es auch aus der Politik massive Kritik. So kommentierte André Hahn von der Fraktion Die Linke im Bundestag: “Nachdem das 2016 beschlossene Gesetz zur Auslands-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes im Mai letzten Jahres beim Bundesverfassungsgericht krachend gescheitert ist, sind Bundesregierung und die Koalition aus Union und SPD wirklich so dreist, dem Bundestag heute einen Gesetzentwurf vorzulegen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut von den Karlsruher Richtern kassiert werden wird.” Dies sei ein “durch nichts zu rechtfertigender Affront” gegen das Bundesverfassungsgericht.

Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, kritisierte das Gesetz ebenfalls in einer Pressemitteilung: “Das neue BND-Gesetz wird menschenrechtlichen Anforderungen an den Schutz der Privatsphäre nicht gerecht und setzt auch die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht hinreichend um. Statt den Bundesnachrichtendienst mit einem grundlegenden Neuentwurf endlich auf soliden Boden zu stellen, schränkt das neue Gesetz die bestehenden Überwachungsbefugnisse kaum ein und erweitert sie an einigen Stellen sogar.” Amnesty International habe grundsätzliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit staatlichen Hackings durch Nachrichtendienste, fügte Beeko hinzu. Durch ein solches Vorgehen werde die sichere Kommunikation aller Bürgerinnern und Bürger gefährdet.

Der zivilgesellschaftliche Einsatz für den besseren Schutz von Journalisten habe zwar zu einzelnen konkreten Verbesserungen im Gesetz geführt, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. “An der Überwachungspraxis ändert sich aber wenig. Der BND darf auch weiterhin massenhaft Kommunikation ausforschen, erhält sogar noch zusätzliche Hacking-Befugnisse und kann aussagekräftige Daten über Medienschaffende und ihre Kontakte ungehindert sammeln und an andere Nachrichtendienste weiterreichen”, kritisierte Mihr. Die Organisation prüfe bereits rechtliche Schritte: “Das Gesetz wird dem Karlsruher Urteil nicht gerecht, geschweige denn dem menschenrechtlichen Anspruch eines angemessenen Ausgleichs zwischen Sicherheitsinteressen und dem Recht auf vertrauliche Kommunikation. Wir erwägen daher, erneut vor das Verfassungsgericht zu ziehen.”

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte teilte auf Anfrage von Posteo mit, das Gesetz derzeit genau zu prüfen. Aktuell gehe sie davon aus, erneut Verfassungsbeschwerde einzulegen. (js)