Bayerischer Landtag beschließt Rechtsgrundlage für umstrittene Polizei-Software
Die Polizei in Bayern kann künftig eine Analysesoftware des umstrittenen Unternehmens Palantir einsetzen. Eine entsprechende Änderung am Bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG) wurde am Mittwoch im Bayerischen Landtag beschlossen. Die SPD-Fraktion erwägt nun, gegen das Gesetz zu klagen. Und auch die Bürgerrechtsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) prüft juristische Mittel.
Die bayerische Polizei plant bereits seit längerem, das System VeRA (“Verfahrensübergreifendes Recherche- und Analysesystem”) einzuführen. Die Software kann verschiedene Polizei-Datenbanken miteinander verbinden und deren Inhalte automatisiert auswerten. Es stammt von der US-Firma Plantir, die unter anderem wegen ihrer Kontakte zu Geheimdiensten äußerst umstritten ist.
Bisher hatte das Bayerische Landeskriminalamt (BLKA) das System nur im Testbetrieb eingesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hatte im vergangenen Jahr geurteilt, dass die automatisierte Datenauswertung bei der Polizei nur in engen Grenzen erlaubt ist. Deshalb musste erst eine Rechtsgrundlage im PAG geschaffen werden, um VeRA auch für die polizeiliche Arbeit zu verwenden.
Die Novelle des Gesetzes wurde mit den Stimmen von CSU, Freien Wählern und AfD im Landtag verabschiedet. SPD und Grüne stimmten dagegen.
Polizei soll Software schon bald nutzen
Die Gesetzesänderung erlaubt es der Polizei künftig, in bestimmten Fällen personenbezogene Daten “zur Gewinnung neuer Erkenntnisse” automatisiert zusammenzuführen. Laut Landeskriminalamt darf VeRA lediglich in Fällen schwerer und schwerster Kriminalität eingesetzt werden. Die Änderungen treten zum 1. August in Kraft. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zufolge soll der “Echtbetrieb noch im September 2024 beginnen”.
Laut Bayerischem Rundfunk sieht Herrmann in der Gesetzesänderung einen wichtigen Schritt für eine effektive Gefahrenabwehr. Er sagte, die verwendeten Daten könnten auch bisher schon ausgewertet werden, die Software aber könne nun “eine Fülle von Dateien gleichzeitig anschauen, auswerten”.
Der Sprecher der Grünen-Fraktion für Digitales, Benjamin Adjei, äußerte im Landtag hingegen verfassungsrechtliche Bedenken. “VeRA greift tief in den persönlichen Kernbereich der Lebensführung der Menschen ein”, kritisierte er.
Auch Horst Arnold, Sprecher für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen der SPD, kritisierte das Gesetz im Landtag. Er verwies darauf, dass laut dem Landesdatenschutzbeauftragten Thomas Petri etwa 30 Millionen Menschen von der Datenverarbeitung betroffen seien. Darunter befänden sich auch unverdächtige Personen wie Zeugen. Selbst Daten von sogenannten Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten und Medienschaffenden könnten eingespeist werden – die Verhältnismäßigkeit sei daher nicht gewahrt. Er sagte: “Wenn sie nur zwei- oder dreimal am falschen Platz sind, dann kann es sein, dass sie bei der Recherche einen auffälligen Treffer haben.” Mit der neuen Regelung werde der Datenauswertung ohne richterlichen Vorbehalt “Tür und Tor geöffnet”.
Kritik an Landesregierung
Auf Anfrage von Posteo kritisierte Arnold: “Obschon unsere Bundesinnenministerin Nancy Faeser der Einführung der Palantir-Software auf Bundesebene eine klare Absage erteilt hat und auch 13 andere Bundesländer die Forderung Bayerns, das umstrittene System bundesweit einzuführen, abgelehnt haben, will die Staatsregierung daran festhalten. Selbst Europol hat sich wieder von der Software verabschiedet. Unbeirrt davon will die Staatsregierung den Einsatz der Palantir-Software weitgehend voraussetzungslos zulassen. So sollen Erkenntnisse aus allen bestehenden Datenpools der Polizei gewonnen werden.”
Das Land Bayern hatte im Jahr 2022 ursprünglich einen Rahmenvertrag mit dem Anbieter Palantir geschlossen, damit auch weitere Bundesländer die Software ohne erneutes Vergabeverfahren nutzen können. Bundesinnenministerin Faeser (SPD) hatte einer bundesweiten Einführung aber eine Absage erteilt.
Die bayerische SPD-Fraktion prüft nun eine Klage vor dem Verfassungsgerichtshof. Arnold sagte gegenüber Posteo, die Rechtsgrundlage für die VeRA-Software sei “klar verfassungswidrig”.
Auch die Bürgerrechtsorganisation GFF prüft derzeit, ob sie gegen die bayerische Regelung Verfassungsbeschwerde einlegt. Simone Ruf, Verfahrenskoordinatorin bei der GFF, erklärte auf Anfrage von Posteo, die Norm genüge nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts.
Ruf kritisierte: “Dass Bayern nun eine Rechtsgrundlage für den Einsatz von VeRa geschaffen hat, sehen wir äußerst kritisch. Der Einsatz der Software ist mit erheblichen Risiken für Grundrechte verbunden. VeRA kann unbegrenzt Daten zusammenführen und auswerten. In das System fließen auch massenhaft Daten von Personen ein, die noch nie Anlass für Überwachungsmaßnahmen gegeben haben. Dies kann zu falschen Verdächtigungen führen. Außerdem ist die Zweckbindung der Daten nicht sichergestellt.”
Die GFF war bereits vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich gegen Regelungen zum Einsatz von Datenanalyse-Software bei der Polizei in Hessen und Hamburg vorgegangen.
Klage gegen Gesetz in Hessen
Erst vor wenigen Wochen hatte die GFF erneut Verfassungsbeschwerde gegen das novellierte Hessische Polizeigesetz eingereicht, weil es ihrer Ansicht nach verfassungswidrige Befugnisse für den polizeilichen Einsatz der Analysesoftware “Hessendata” enthält.
Vor dem Bundesverfassungsgericht hatte die Organisation in einem vorangegangenen Verfahren unter anderem kritisiert, die Software durchforste riesige Datenbestände, um neue Ermittlungsansätze und Verdachtsmomente zu generieren. Dadurch werde das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die GFF hatte gewarnt, wer einmal in den Fokus einer Datenauswertung gerate, werde schnell zum “gläsernen Menschen”.
Ende vergangenen Jahres war bekannt geworden, dass das Bayerische Landeskriminalamt das VeRA-System mit echten Personendaten getestet hatte. Der Landesdatenschutzbeauftragte Petri hatte daraufhin das Ende dieses Testbetriebs gefordert, weil es an einer Rechtsgrundlage fehle.
Weiterer Kritikpunkt
Die Rechtsgrundlage für den Einsatz von VeRA ist nicht der einzige strittige Teil an der PAG-Novelle: In bestimmten Fällen darf die Polizei in Bayern künftig die Herausgabe von Bildmaterial aus Überwachungskameras verlangen. Der Grünen-Abgeordnete Adjei kritisierte im Landtag: “Die Polizei kann künftig auf private Kameras zugreifen. Auch hierzu gab es eine Einschätzung des bayerischen Datenschutzbeauftragten. Er sagte, dass das mehrere Zehntausend Kameras betreffen könne, die in Zukunft von der Polizei ohne Richtervorbehalt bei der Liveüberwachung genutzt werden können.” Dadurch entstehe ein massiver Überwachungsdruck.
SPD-Sprecher Arnold erläuterte gegenüber Posteo: “Betreiber von Videokameras sollen verpflichtet werden, ihre Bildaufnahmen auf Verlangen an die Polizei zu übermitteln. Die Folge wäre eine regelrechte Gesamtüberwachung, eine komplette ‘Verpolizeilichung’ des öffentlichen Raums – ohne dass den Bürgerinnen und Bürgern bewusst ist, dass sie überwacht werden. Dies erinnert an Orwell und schießt weiter über das Ziel hinaus. Auch im Hinblick auf den Kernbereichsschutz werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht umgesetzt.” Nach Ansicht der SPD-Fraktion sei auch diese Regelung verfassungswidrig. (js)