Den Haag: Anzeige gegen Brasiliens Präsidenten Bolsonaro

Illegale Abholzung im Amazonasgebiet
Bolsonaros Regierung soll für die Zerstörung von 4000 Quadratkilometern Regenwald pro Jahr verantwortlich sein. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Die österreichische Organisation AllRise hat am heutigen Dienstag Anzeige gegen Jair Bolsonaro vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag erstattet. Sie wirft dem brasilianischen Präsidenten Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor: Die fortschreitende Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes unter seiner Regierung habe Auswirkungen auf das globale Klima und damit die gesamte Menschheit. Folgen seien unter anderem die Verwüstung ganzer Regionen, millionenfache Vernichtung von Lebensgrundlagen, Hungersnöte, Flucht, Vertreibung und tausendfacher Tod. Unterstützt wird die Anzeige unter anderem von der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

Bolsonaro ist ein Befürworter der wirtschaftlichen Ausbeutung des Amazonasgebiets, er hat die Umwelt- und Kontrollbehörden in den vergangenen Jahren gezielt geschwächt. Die Organisationen werfen ihm vor, die Zerstörung des Amazonas direkt und indirekt zu begünstigen und zu beschleunigen. Seit dem Regierungsantritt des rechtsextremen Bolsonaro im Jahr 2019 habe sie ein Rekordniveau erreicht, teilten die Organisationen mit. Da die Entwaldungsraten zuvor stabil waren, könne diese Zunahme auf die Handlungen der Bolsonaro-Regierung zurückgeführt werden.

Der überwiegende Teil der Rodungen sei illegal und werde durch kriminelle Unternehmen vorangetrieben, die Hand in Hand mit staatlich geförderter Korruption arbeiteten. In Brasilien herrsche zudem ein Klima der Straflosigkeit, das die Ausbeutung und Zerstörung des Regenwaldes vorantreibe.

1,5-Grad-Ziel gefährdet

Bereits heute werde durch die Abholzung mehr CO2 freigesetzt, als der Rest des Amazonas absorbieren kann. Sollte die Entwaldung auch 2021 und 2022 in einem Ausmaß wie 2020 weitergehen, würde die Bolsonaro-Regierung 1,7 Milliarden Tonnen CO2 verantworten. Diese Emissionen gefährdeten die Bemühungen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu beschränken.

Die Treibhausgasemissionen aus der Verbrennung und der industriellen Viehzucht seien inzwischen höher als die jährlichen Gesamtemissionen Italiens oder Spaniens. DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner kritisierte: “Unter Bolsonaros Regierung ist die monatliche Abholzungsrate um bis zu 88 Prozent gestiegen. Die Folgen in Brasilien und weltweit sind verheerend.”

Weltweite Folgen

Die knapp 300 Seiten lange Anzeige will mit wissenschaftlichen Daten belegen, dass die Politik der Bolsonaro-Regierung nicht nur lokal und regional großen Schaden anrichtet. So könnten die der brasilianischen Regierung zugeschriebenen Emissionen in den nächsten 80 Jahren weltweit mehr als 180.000 hitzebedingte Todesfälle verursachen.

Die Organisationen arbeiten mit renommierten Klima- und Rechtsexpertinnen und -experten zusammen; darunter Friederike Otto, Hauptautorin des erst kürzlich publizierten Weltklimaberichts. Sie erklärte: “Durch den Klimawandel nehmen Hitzewellen auf der ganzen Welt an Häufigkeit, Intensität und Dauer zu. In vielen Ländern sind sie bereits die bei weitem tödlichsten Extremereignisse. 37 Prozent der hitzebedingten Todesfälle in den letzten drei Jahrzehnten werden weltweit auf den Klimawandel zurückgeführt, das entspricht tausenden Todesfällen pro Jahr.”

“Bolsonaros Regierung verfolgt ohne jede Rücksicht eine Politik, die sich gegen das Amazonasgebiet, seine Bewohnerinnen und Bewohner und seine Umweltverteidigerinnen und -verteidiger richtet. Es gibt klare und zwingende Gründe für die Annahme, dass in Brasilien Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden, die eine sofortige Untersuchung und letztendlich eine strafrechtliche Verfolgung erfordern”, kommentierte Maud Sarlieve, Anwältin für Menschenrechte und internationales Strafrecht und Co-Autorin der Anzeige.

“Präzedenzfall schaffen”

Johannes Wesemann, Gründer von AllRise, erklärte: “Verbrechen gegen die Umwelt sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Mit unserer ersten Anzeige wollen wir einen Präzedenzfall schaffen, um politische Entscheidungsträger dieser Welt, die gezielt und bewusst unseren Planeten zerstören, zur Rechenschaft zu ziehen.” Die Organisationen wollen die Straffreiheit für globale Umwelt- und Klimasünder beenden.

Nach Einreichung der Anzeige wird der Internationale Strafgerichtshof nun zunächst entscheiden, ob diese zum sogenannten Vorprüfungsverfahren zugelassen wird. Die Organisationen gehen davon aus, dass der Fall auch dann bedeutend sein wird, wenn der IStGH kein Verfahren einleitet: Dann würde gezeigt, dass das Internationale Strafrecht zu schwach aufgestellt ist, um gravierenden Umweltzerstörungen zu begegnen – und daher geändert werden müsse.

Es ist nicht die erste Anzeige gegen Bolsonaro vor dem IStGH: Schon im November 2019 sowie im Januar und August 2021 wurden Bolsonaro Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Unter anderem beschuldigen indigene Oberhäupter den Staatschef, ihre Völker zu verfolgen und deren Rechte zu verletzen. AllRise legt den Schwerpunkt auf die Schädigung des Weltklimas durch die großflächige Waldzerstörung sowie auf die daraus entstehenden Gefahren für Gesundheit und Leben der Menschen.

Parallel informiert die Kampagne “The Planet Vs. Bolsonaro” über die Initiative. Teil der Kampagne ist eine Petition, die den IStGH und seine Mitgliedstaaten dazu aufrufen, Bolsonaro strafrechtlich zu verfolgen. (js)