Hessisches Verfassungsschutzgesetz ist teils verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit Rabe
Die Kläger hatten zu niedrige Voraussetzungen für grundrechtsintensive Überwachungsmaßnahmen kritisiert. (Quelle: IMAGO / imagebroker)

Das “Hessische Verfassungsschutzgesetz” (HVSG) ist teilweise verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Juli entschieden, wie aus dem am Dienstag veröffentlichten Beschluss hervorgeht. Mehrere der im HVSG geregelten Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse des Landesamts für Verfassungsschutz greifen demnach in die Grundrechte von Betroffenen ein. Sie gehen auch nach der HVSG-Novelle aus dem Jahr 2023 zu weit.

Bereits im Jahr 2019 hatte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gemeinsam mit weiteren Organisationen und fünf Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz erhoben.

Wie das Bundesverfassungsgericht nun entschieden hat, sind einige Regelungen mit dem im Grundgesetz verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht “in seiner Ausprägung als Schutz der informationellen Selbstbestimmung” unvereinbar.

Handyortung verfassungswidrig

Dazu zählt beispielsweise die Regelung, die es dem Verfassungsschutz in Hessen erlaubt, Handys zu orten. Die Richterinnen und Richter stellten dazu fest, sie ermögliche intensive Grundrechtseingriffe. Die Regelung ist demnach verfassungswidrig, weil sie eine “engmaschige langandauernde Überwachung der Bewegungen” von Personen erlaube, ohne eine dafür hinreichende Eingriffsschwelle vorzusehen.

Die GFF hatte in ihrer Klage kritisiert, die Ortung von Mobiltelefonen über einen längeren Zeitraum sei nach dem Gesetz bei “erheblich beobachtungsbedürftigen Bestrebungen” zulässig. Darunter könnten jedoch bereits geringfügige Straftaten wie Sachbeschädigungen fallen.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte, mithilfe der Standortüberwachung ließen sich Bewegungsprofile von Personen erstellen – eine solche Überwachung könne einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff begründen. Deshalb bedürfe es auch einer “entsprechend gesteigerten Beobachtungsbedürftigkeit”.

Auskünfte von Verkehrsunternehmen

Auch eine Regelung, die den Verfassungsschützern besondere Auskunftsersuchen bei Verkehrsunternehmen sowie über Flüge ermöglicht, ist nach dem Urteil verfassungswidrig. So können im Einzelfall beispielsweise Namen und Anschriften von Kunden abgefragt werden. Auch Angaben zur “Inanspruchnahme und zu Umständen von Transportleistungen” können die Verfassungsschützer verlangen. Dazu zählen beispielsweise der Zeitpunkt einer Abreise oder eines Abflugs sowie Angaben zum Buchungsweg und zu Zahlungsmodalitäten.

Die GFF hatte kritisiert, dass bei Verkehrsunternehmen – zu denen nach dem Gesetz auch Car-Sharing-Firmen und Taxi-Apps zählten – viele Informationen gespeichert seien. Mit deren Hilfe ließen sich ebenfalls Bewegungsprofile erstellen.

Das Gericht stellte nun fest, die Regelung ermögliche Grundrechtseingriffe von erhöhtem Gewicht. Weil beispielsweise alle noch gespeicherten Reisen sowie alle künftigen gebuchten Reisen abgefragt werden können, müsse im Gesetz eine hinreichende Eingriffsschwelle vorgesehen werden.

Für den Einsatz von verdeckten Mitarbeitern sehe das Gesetz ebenfalls keine hinreichende Eingriffsschwelle vor. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht Vorschriften zur Übermittlung von nachrichtendienstlich ermittelten persönlichen Daten an Strafverfolgungsbehörden und “sonstige inländische öffentliche Stellen” teilweise für verfassungswidrig erklärt.

Die Regelung zur Übermittlung an inländische öffentliche Stellen hat das Gericht für nichtig erklärt. Die restlichen Bestimmungen gelten eingeschränkt bis zum 31. Dezember 2025 fort.

Gesetzgeber muss nachbessern

Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) sagte laut Nachrichtenagentur dpa, der Gerichtsbeschluss bringe Klarheit. Nun würden in Hessen bald Neuregelungen auf den Weg gebracht, die wie vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben bis Ende 2025 in Kraft treten sollen.

Franz Josef Hanke, stellvertretender Landessprecher der Humanistischen Union Hessen und Beschwerdeführer, kommentierte: “Die hessische Landesregierung muss nachsitzen, weil sie schlampig mit elementaren Bürgerrechten umgegangen ist.”

David Werdermann, Verfahrenskoordinator bei der GFF, erklärte zu dem Urteil: “Der lange Atem für die Grundrechte lohnt sich. Das Bundesverfassungsgericht weist den hessischen Verfassungsschutz in die Schranken und festigt damit seine grundrechtsfreundliche Rechtsprechung zu den Geheimdiensten. Der Hessische Verfassungsschutz darf nicht einfach nach Belieben verdeckte Ermittler*innen losschicken und Handys orten. Jetzt muss der hessische Gesetzgeber nachjustieren.”

Ursprünglich hatten die GFF und die übrigen Klagenden im Jahr 2019 Verfassungsbeschwerde gegen das im Jahr zuvor novellierte HVSG erhoben. Das Gesetz wurde jedoch 2023 erneut novelliert, nachdem das Bundesverfassungsgericht zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz geurteilt hatte. In diesem Urteil hatte das Gericht bundesweit geltende Maßstäbe für die Arbeit von Verfassungsschutzbehörden aufgestellt.

Die Richterinnen und Richter entschieden nun, dass auch die neue Fassung aus dem Jahr 2023 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich ursprünglich auch gegen die Regelung zur automatisierten Datenanalyse im hessischen Polizeigesetz. Diese hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im Februar vergangenen Jahres für verfassungswidrig befunden. Die GFF hat im Juli erneut Verfassungsbeschwerde gegen die daraufhin erfolgte Neuregelung erhoben. (dpa / js)