Irland will Gesichtserkennung einsetzen

Polizei in Dublin
Kritiker befürchten, dass Menschen ihr Verhalten aufgrund der Überwachung ändern und beispielsweise nicht mehr an Demonstrationen teilnehmen werden. (Quelle: IMAGO / NurPhoto)

Die irische Polizei soll künftig Gesichtserkennung einsetzen dürfen. Das Justizministerium arbeitet derzeit an einer Rechtsgrundlage für die Verwendung der umstrittenen Technik. Wissenschaftler und NGOs fordern hingegen ein Moratorium.

Ende Mai hatte Justizministerin Helen McEntee angekündigt, der Polizei künftig den Einsatz von Gesichtserkennung ermöglichen zu wollen. Beamte sollen die Technik nutzen können, um Videoaufnahmen aus Überwachungskameras bei schweren Straftaten mit den Bildern von Verdächtigen abzugleichen. Auch bei der Suche nach vermissten Personen könne die Technik genutzt werden. Neue Regeln für den Einsatz von Kennzeichenscannern und sogenannten Bodycams seien ebenfalls geplant.

Nun berichtet die Irish Times, die Polizei solle Gesichtserkennung auch in Echtzeit nutzen können. Dabei gleicht eine Software die Gesichter aller von Überwachungskameras erfassten Personen automatisiert mit einer Datenbank ab, um eine Übereinstimmung mit verdächtigen oder vermissten Personen festzustellen. Die Polizei könnte die Bewegungen von Personen im öffentlichen Raum so in Echtzeit verfolgen.

Nach Informationen der Irish Times soll die Echtzeiterkennung nur bei einer Bedrohung der nationalen Sicherheit oder bei einer unmittelbaren Bedrohung für das Leben einer Person zum Einsatz kommen.

Das irische Justizministerium beteuerte gegenüber der Zeitung, die Technik werde nicht zur anlasslosen Überwachung genutzt – sondern dürfe nur unter klar definierten Voraussetzungen angewendet werden. Das Justizministerium werde den Gesetzentwurf voraussichtlich im kommenden Herbst dem irischen Kabinett vorlegen.

Experten warnen vor Risiken

Doch an den Plänen gibt es Kritik: In einem offenen Brief warnen Expertinnen und Experten von sieben Universitäten sowie 12 irische NGOs – darunter Amnesty International Irland und das Irish Council for Civil Liberties – vor “zu großen Risiken”.

Sie bezeichnen Gesichtserkennung als “eine Form der Massenüberwachung”. Die Technik ermögliche es, Personen auch ohne begründeten Verdacht zu identifizieren und zu verfolgen. Der durch die Technik entstehende Eingriff in die Privatsphäre sei “vollkommen unverhältnismäßig”. Die Unterzeichner des Briefes befürchten, Menschen könnten wegen der Überwachung ihr Verhalten im öffentlichen Raum verändern.

Sie verweisen zudem auf unabhängige Studien, in denen festgestellt wurde, dass Gesichtserkennungstechnik voreingenommen und diskriminierend ist. So werden beispielsweise Personen mit dunkler Hautfarbe häufiger falsch erkannt. In den USA sind mehrere Fälle bekannt, in denen schwarze Personen verhaftet wurden, weil die Technologie sie fälschlicherweise identifiziert hatte.

EU will Regeln für Gesichtserkennung schaffen

Die Experten bemängeln auch den Zeitpunkt der Pläne. Denn auf EU-Ebene wird derzeit an einer Verordnung für den Einsatz von künstlicher Intelligenz gearbeitet, die unter anderem sogenannte Hochrisiko-Anwendungen stärker regulieren soll. Die EU-Kommission will den Einsatz von Gesichtserkennung und anderen biometrischen Erkennungsverfahren im öffentlichen Raum weitgehend verbieten, sieht in ihrem Vorschlag aber eine Vielzahl von Ausnahmen vor, bei denen Gesichtserkennung erlaubt bliebe. Das Europaparlament hatte hingegen in einer Resolution ein Verbot von automatisierter Gesichtserkennung und anderer biometrischer Erkennungsverfahren gefordert. Es erscheine “verfrüht”, nun auf nationaler Ebene Regeln schaffen zu wollen – schließlich wäre auch Irland an den EU-Rechtsrahmen gebunden.

In dem offenen Brief heißt es, derzeit könne Gesichtserkennung durch die Polizei nicht sicher genutzt werden. Die Experten fordern daher ein Moratorium.

Auch aus der Politik kommt Kritik: James Lawless von der Koalitionspartei Fianna Fáil und Vorsitzender des Justizausschusses der Regierung, sprach im Zusammenhang mit den Plänen von einem “dystopischen Albtraum”. Er verwies auf den Einsatz von Gesichtserkennung durch die Londoner Polizei: Dort hatten Wissenschaftler im Jahr 2019 Tests der Technik begleitet und eine Fehlerquote von 81 Prozent festgestellt – nur in 19 Prozent der Fälle identifizierte das System Personen korrekt.

Die Bürger- und Menschenrechtsorganisation Irish Council for Civil Liberties kritisiert in einer separaten Stellungnahme außerdem, weder Polizei noch Justizministerium hätten bisher nachgewiesen, dass der Einsatz von Gesichtserkennung notwendig und verhältnismäßig sei – dies sei aber eine rechtliche Voraussetzung. Die Technik untergrabe die Rechte auf Privatsphäre, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung. Die Organisation fordert Bürgerinnen und Bürger dazu auf, dem Justizministerium mitzuteilen, dass sie den Einsatz von Gesichtserkennung ablehnen.

Auf europäischer Ebene will die Initiative Reclaim Your Face ein Verbot für biometrische Massenüberwachung erwirken. Auf ihrer Webseite versucht sie eine Million Unterschriften zu sammeln, damit sich die EU-Kommission mit der Forderung auseinandersetzen muss. Die Bürgerinitiative wird von über 40 Organisationen unterstützt – darunter der Chaos Computer Club (CCC), Digitalcourage, Access Now und Amnesty International. (js)