Kommunikationsüberwachung durch BND teilweise verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND) erneut eingeschränkt: Die sogenannte “strategische Inland-Ausland-Fernmeldeüberwachung im Bereich der Cybergefahren” ist nicht mit dem im Grundgesetz verankerten Fernmeldegeheimnis vereinbar, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss. Nun müssen die Regeln bis spätestens zum 31. Dezember 2026 überarbeitet werden – bis dahin gelten sie “mit bestimmter Maßgabe” fort.
Die angegriffenen Befugnisse waren im November 2015 neu in das sogenannte Artikel-10-Gesetz aufgenommen worden. Es geht dabei um die anlasslose Telekommunikationsüberwachung zwischen Menschen im Inland mit Menschen im Ausland zur Bekämpfung sogenannter Cybergefahren. Darunter fallen laut Gericht beispielsweise Angriffe auf IT-Systeme “von erheblicher Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland”.
Der BND darf in diesem Zusammenhang Telekommunikationsrohdatenströme aus Übertragungswegen erfassen und speichern – und diese durch den automatisierten Abgleich mit Suchbegriffen oder händisch auswerten. Bijan Moini, Legal Director der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), erklärte auf Anfrage von Posteo: “Der BND kann sowohl Metadaten als auch – wenn sie unverschlüsselt sind – Kommunikationsinhalte auslesen beziehungsweise nach Treffern auf der Basis seiner Suchbegriffe weiterverarbeiten.”
Die strategische Inland-Ausland-Fernmeldeaufklärung ist abzugrenzen von der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach dem BND-Gesetz. Diese hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2020 für teilweise verfassungswidrig erklärt, woraufhin das Gesetz novelliert wurde. Die GFF hat Anfang 2023 auch gegen diese Novelle Verfassungsbeschwerde erhoben.
Klage von Menschenrechtlern
Die nun entschiedene Verfassungsbeschwerde war bereits im Jahr 2016 von Amnesty International in Deutschland gemeinsam mit der GFF eingereicht worden. Der Klage hatten sich Beschwerdeführende mit deutscher und ausländischer Staatsangehörigkeit angeschlossen, die beruflich und privat mittels E-Mail, Telefon und Messengerdiensten Kontakt ins Ausland oder vom Ausland nach Deutschland unterhalten.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte, die strategische Telekommunikationsüberwachung sei trotz ihres besonders schwerem Eingriffsgewichts “grundsätzlich” mit dem Fernmeldegeheimnis vereinbar – sei im Gesetz aber nicht verhältnismäßig ausgestaltet.
Die Richterinnen und Richter bemängeln unter anderem, dass eine hinreichende Regelung zur Aussonderung von Daten aus rein inländischen Telekommunikationsverkehren fehlt. Auch werde der Kernbereichs privater Lebensgestaltung für ausländische Personen im Ausland nicht ausreichend geschützt.
Zudem sei die Aufbewahrungsfrist für die Dokumentation der durchgeführten Überwachung zu kurz, um Betroffenen effektiv subjektiven Rechtsschutz zu ermöglichen. Nach dem Gesetz sind die Daten zum Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. Diese “starre Frist” nehme aber keinen Bezug auf die Regelungen zur Benachrichtigung der von den Maßnahmen Betroffenen. Es sei nicht sichergestellt, dass die Protokolldaten noch vorhanden sind, wenn Betroffene von der Überwachung erfahren.
Der Senat bemängelte zudem die Ausgestaltung der unabhängigen Kontrolle durch die sogenannte G-10-Kommission. So würden beispielsweise die Mitglieder der Kommission ein öffentliches Ehrenamt innehaben statt, wie verfassungsrechtlich geboten, hauptamtlich tätig zu sein.
“Geheimdienstarbeit auf den Boden des Grundgesetzes” zurückgeholt
Die GFF erklärte, die Verfassungswidrigkeit der Regeln sei mit fundamentalen, auch auf andere Überwachungszwecke übertragbaren Mängeln begründet worden. Das Bundesverfassungsgericht habe die Vertraulichkeit der Kommunikation gestärkt.
Bijan Moini von der GFF sagte: “Das jüngste Urteil aus Karlsruhe beweist, dass unsere strategischen Klagen für einen besseren Schutz der Privatsphäre Wirkung zeigen: Stück für Stück holen die von uns errungenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Geheimdienstarbeit auf den Boden des Grundgesetzes zurück.”
Lena Rohrbach, Expertin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter bei Amnesty International in Deutschland, sagte: “Wenn Menschenrechtsorganisationen befürchten müssen, dass ihre sensible Kommunikation im Zuge von anlassloser Massenüberwachung mitgelesen wird, gefährdet das ihre Arbeit. Die Stärkung der vertraulichen Kommunikation durch das Bundesverfassungsgericht setzt deshalb ein wichtiges Signal – auf das wir allerdings über sieben Jahre warten mussten.”
Bis zu einer Neuregelung gelten die Bestimmungen fort. Allerdings mit der Maßgabe des Gerichts, Daten aus rein inländischen Telekommunikationsverkehren aussondern zu müssen. Außerdem dürfen auch gegenüber ausländischen Personen im Ausland keine Suchbegriffe eingesetzt werden, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen.
Ursprünglich hatten die Beschwerdeführenden auch Vorschriften zur Übermittlung von Daten an andere Geheimdienste angegriffen. Die Verfassungsbeschwerde hatte sich diesbezüglich aber bereits erledigt, weil diese Vorschriften nach Klageeinreichung durch Gesetzesänderungen schon angepasst worden waren. (js)