Pegasus: Polnischer Ministerpräsident beschuldigt ehemalige Regierung

Donald Tusk
In der Opposition hatte Tusk in Bezug auf die Spionagefälle von der “größten Krise der Demokratie” seit dem Ende des Kommunismus gesprochen und eine parlamentarische Untersuchung gefordert. (Quelle: IMAGO / dts Nachrichtenagentur)

Polens neuer Ministerpräsident Donald Tusk hat eigenen Angaben zufolge Beweise für den illegalen Einsatz der Spähsoftware Pegasus durch die Vorgängerregierung. Es gebe eine “sehr lange” Liste von Opfern, erklärte er am Dienstag.

Medienberichten zufolge hat Tusk ihm vorliegende Beweise an Präsident Andrzej Duda übergeben. Während einer gemeinsamen Pressekonferenz sagte Tusk: “Dies ist nur ein Auszug aus den Dokumenten, die ihnen zur Verfügung stehen, Herr Präsident.” Die Dokumente würden den Kauf und die Nutzung der Spionagesoftware “auf legale und illegale Weise” bestätigen.

Tusk sagte weiter, die Liste der ausgespähten Opfer sei “leider sehr lang”. Die angesprochene Liste wurde bisher nicht veröffentlicht.

Bereits im Jahr 2022 war bekannt geworden, dass in Polen Oppositionelle mit Pegasus überwacht wurden. Tusk, damals selbst noch in der Opposition, hatte eine parlamentarische Untersuchung gefordert.

Mutmaßlich PiS-Abgeordnete überwacht

Das polnische Online-Medium Gazeta.pl berichtet unterdessen, innerhalb der ehemaligen Regierungspartei “Recht und Gerechtigkeit” (PiS) kursiere derzeit eine Liste mit Namen von Politikern, deren Telefone unter der PiS-Regierung offenbar mit Pegasus ausgespäht wurden. Bei den Betroffenen handele es sich auch um ehemalige oder aktuelle PiS-Abgeordnete, darunter der ehemalige Landwirtschaftsminister Jan Krzysztof Ardanowski. Auch der ehemalige Vorsitzende der Parlamentskammer Sejm, Marek Kuchciński, stehe darauf.

Der Radiosender RMF FM berichtet sogar, auch der ehemalige PiS-Ministerpräsident Mateusz Morawiecki stehe auf der Liste.

Die Partei soll wegen dieser Liste bereits zu Sondersitzungen zusammengekommen sein.

Pegasus seit Jahren in der Kritik

Die Spionagesoftware Pegasus wird von der israelischen Firma NSO entwickelt, die sie eigenen Angaben zufolge nur an Regierungskunden verkauft. Angreifer können mit dem Überwachungswerkzeug Smartphones komplett übernehmen – ohne dass die Betroffenen etwas davon mitbekommen. Ist ein Gerät erst einmal infiltriert, haben die Angreifer unter anderem Zugriff auf die darauf gespeicherten Daten, können den Standort verfolgen oder das Mikrofon unbemerkt aktivieren, um die Umgebung abzuhören.

Seit Jahren steht Pegasus in der Kritik. Menschenrechtsexperten fordern ein Verbot von Spähsoftware wie Pegasus, weil damit in die Rechte auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit eingegriffen werden kann – aber auch weitere Grund- und Menschenrechte bedroht werden.

Oppositionelle überwacht

Aus Polen war bereits der Einsatz von Pegasus gegen Oppositionelle bekannt: So konnten Sicherheitsforscher des Citizen Labs an der Universität Toronto nachweisen, dass das Smartphone des damaligen Oppositionspolitikers und heutigen Europaabgeordneten Krzysztof Brejza im Wahljahr 2019 über 30-mal mit Pegasus infiltriert wurde. Er hatte damals die Kampagne der Oppositionsallianz geleitet.

Ende 2019 wurde nachweislich auch der Rechtsanwalt Roman Giertych mehrfach mit Pegasus ausgespäht. Er hatte unter anderem Tusk vertreten, der seit Ende 2023 erneut Ministerpräsident Polens ist und zuvor Vorsitzender des Oppositionsbündnisses Bürgerkoalition war.

Auch die Staatsanwältin Ewa Wrzosek wurde überwacht. Sie ist Mitbegründerin einer unabhängigen Vereinigung von Staatsanwälten, die von der ehemaligen PiS-Regierung angetriebene Veränderungen in der polnischen Justiz kritisiert hatte.

Später wurde unter anderem auch bekannt, dass das Smartphone des heutigen Abgeordneten Jacek Karnowski ausspioniert wurde, als er noch Bürgermeister der Stadt Sopot war.

Untersuchungsausschuss prüft Pegasus-Einsatz

Erst vor etwa einem Monat hatte das Parlament in Warschau die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses beschlossen. Dieser soll prüfen, ob die im Herbst abgewählte PiS-Regierung politische Gegner mit Pegasus überwacht hat und wer für den Kauf von Pegasus und ähnlichen Spionagewerkzeugen verantwortlich ist.

Die Vorsitzende des Ausschusses, Magdalena Sroka, sagte dem Sender TVN24 zufolge, sie werde verlangen, dass die von Tusk angesprochenen Belege für den Kauf und Einsatz von Pegasus auch an den Untersuchungsausschuss übergeben werden.

Der Oberste Rechnungshof hatte bereits Anfang 2022 erklärt, es gebe eine Rechnung über den Kauf von Pegasus durch polnische Behörden. Die PiS hatte den Kauf schließlich auch eingestanden – allerdings dementiert, mit der Spionagesoftware Oppositionelle überwacht zu haben.

In der EU ist der Einsatz von Spähsoftware gegen Oppositionelle oder Medienschaffende auch in Ungarn, Spanien und Griechenland bekannt geworden. (js)