Saudi-Arabien: 20 Jahre Haft für regierungskritische Tweets
In Saudi-Arabien wurde ein Mann zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er regierungskritische Beiträge auf der Online-Plattform X (ehemals Twitter) veröffentlicht hatte. Das berichtete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) am Dienstag. Einer der Brüder des nun Verurteilten wurde im vergangenen Jahr wegen Social-Media-Aktivitäten sogar zum Tode verurteilt.
Angaben von HRW zufolge wurde der 47-jährige Lehrer Asaad al-Ghamdi bereits Ende Mai vom für Terrorismus zuständigen Sonderstrafgericht wegen mehrerer angeblicher Straftaten verurteilt – zu insgesamt 20 Jahren Gefängnis. Die Anklagepunkte hätten sich ausschließlich auf Meinungsäußerungen im Internet bezogen.
Aus Gerichtsdokumenten geht laut HRW hervor, dass Asaad al-Ghamdi wegen Bestimmungen des saudischen Anti-Terrorgesetzes angeklagt wurde. Seine in den sozialen Medien veröffentlichten Beiträge hätten angeblich der “Sicherheit des Landes” geschadet.
Kritik an Regierung
Unter Berufung auf mit dem Fall vertraute Quellen berichtet HRW, der Lehrer habe in seinen Beiträgen unter anderem Projekte im Zusammenhang mit der sogenannten Vision 2030 kritisiert. Der vom Kronprinzen Mohammed bin Salman initiierte Reformplan soll unter anderem die Wirtschaft des Landes unabhängiger vom Öl machen.
In einem Beitrag habe der Verurteilte außerdem den Tod eines bekannten saudischen Menschenrechtlers beklagt, der im Gefängnis verstorben war.
Die Staatsanwaltschaft hatte für jeden Anklagepunkt die Höchststrafe gefordert. Außerdem habe sie beantragt, dass der X-Account von al-Ghamdi geschlossen wird.
Asaad al-Ghamdi sei bereits im November 2022 verhaftet worden – Sicherheitskräfte hätten in einer nächtlichen Aktion sein Haus gestürmt. Dabei seien auch elektronische Geräte beschlagnahmt worden. Gründe für die Verhaftung seien dem Betroffenen damals nicht mitgeteilt worden – erst mit Beginn des Prozesses gegen ihn im September 2023 habe er davon erfahren.
HRW kritisiert auch, er sei mehrere Monate lang in Einzelhaft festgehalten worden. Erst Anfang 2023 hätten ihn Angehörige besuchen dürfen.
Zudem habe das Gericht al-Ghamdi einen Anwalt zugewiesen, der weder ihm noch seiner Familie für das Verfahren relevante Dokumente ausgehändigt habe. Mit seinem Mandanten habe er sich ausschließlich während der Verhandlungstermine im Gerichtssaal getroffen. Auch habe der Anwalt Treffen mit der Familie teils abgelehnt und sich geweigert, vor Gericht auf die Epilepsie-Erkrankung des Angeklagten hinzuweisen.
Joey Shea von HRW sagte: “Saudische Gerichte verhängen jahrzehntelange Haftstrafen gegen normale Bürger, die sich lediglich friedlich im Internet geäußert haben. Die Regierung sollte außerdem nicht länger Familienmitglieder von Kritikern bestrafen, die im Ausland leben.”
Bruder von Exil-Kritiker
Die Menschenrechtsorganisation geht davon aus, dass es sich bei der Verurteilung von Asaad al-Ghamdi um Repressionen aufgrund von Aktivitäten seines Bruders, Saeed bin Nasser al-Ghamdi, handelt. Der bekannte Regierungskritiker lebt im Exil in Großbritannien. Laut HRW gehen saudische Behörden häufig gegen Familienangehörige von Kritikern und Dissidenten vor, um sie zur Rückkehr ins Land zu zwingen.
Im vergangenen Jahr wurde bereits der dritte Bruder, Mohammed al-Ghamdi, verurteilt – sogar zum Tode. Auch in diesem Prozess waren Aktivitäten auf X sowie auf YouTube als Beweismittel angeführt worden. Expertinnen und Experten der Vereinten Nationen sowie Menschenrechtsorganisationen hatten das Urteil scharf kritisiert und die Behörden aufgefordert, es aufzuheben.
Sie hatten etwa gewarnt, sollte das Urteil vollstreckt werden, handle es sich um einen “eklatanten Verstoß gegen internationale Menschenrechtsstandards” und würde als “willkürliche Hinrichtung betrachtet”.
Laut HRW leidet auch der zum Tode verurteilte Mohammed al-Ghamdi unter gesundheitlichen Problemen. Sein Zustand habe sich in Haft erheblich verschlechtert. Die Organisation forderte die saudischen Behörden auf, beide Brüder fachgerecht medizinisch zu versorgen.
Die Organisation kritisiert Missstände im Strafrechtssystem Saudi-Arabiens: So würden Menschen teils ohne Anklage oder Verfahren lange Zeit in Haft verbringen, Beschuldigte keinen Rechtsbeistand erhalten und Gerichte durch Folter erpresste Geständnisse als Grundlage für ihre Urteile verwenden.
Jahrzehntelange Haftstrafen für Meinungsäußerungen
In den vergangenen Jahren sind mehrfach Fälle bekannt geworden, in denen saudische Gerichte Personen zu jahrelangen Haftstrafen wegen ihrer Äußerungen in den sozialen Medien verurteilt hatten.
So wurde die Doktorandin Salma al-Schihab im August 2022 zunächst zu 34 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie auf X Frauenrechtsaktivistinnen folgte und deren Beiträge geteilt hatte. In einem Berufungsverfahren Anfang 2023 verhängte das Gericht eine Haftstrafe von 27 Jahren – anschließend unterliegt sie außerdem einem 27-jährigen Reiseverbot.
Auch Nura al-Kahtani wurde Angaben von Menschenrechtlern zufolge verurteilt, weil sie ihre Meinung auf X geteilt hatte. Ein Gericht hatte ein Strafmaß von 45 Jahren verhängt. Aktivisten haben darüber hinaus weitere Fälle dokumentiert: Amnesty spricht von insgesamt 15 Personen, die im vergangenen Jahr wegen Meinungsäußerungen im Internet zu Haftstrafen zwischen 10 und 45 Jahren verurteilt wurden.
Der Menschenrechtsorganisation ALQST zufolge wurde zudem kürzlich der saudisch-amerikanische Filmemacher Abdulaziz al-Muzaini wegen Social-Media-Beiträgen zu 13 Jahren Haft verurteilt. (js)