Umweltverbände klagen gegen Taxonomie-Einstufung für Atomkraft und Gas

EU-Klage
“Vermeintlicher Klimaschutz durch Etikettenschwindel ist inakzeptabel.” (Quelle: IMAGO / McPHOTO)

Mehrere Umweltschutzorganisationen klagen gegen die Entscheidung der EU, Gas und Atomkraft unter bestimmten Umständen als klimafreundlich zu deklarieren. Greenpeace, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der World Wild Fund for Nature (WWF) haben zusammen mit anderen Gruppen Klagen gegen die erfolgte Reform der Taxonomie beim Europäischen Gerichtshof eingereicht, wie die Verbände am Dienstag mitteilten.

Was ist die EU-Taxonomie?

Die Taxonomie ist das Regelwerk der EU, das definiert, ob ein Unternehmen oder eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist. Sie steckt für die meisten Branchen genaue Kriterien ab. Privaten Finanzinvestoren soll die Taxonomie als Orientierung dienen und Investitionen in grüne und nachhaltige Projekte fördern.

Seit Anfang Januar können auch Investitionen in neue Gas- oder Atomkraftwerke als klimafreundlich eingestuft werden. Das sorgte für Diskussionen und Kritik, unter anderem da beim Verbrennen von Gas klimaschädliches CO2 ausgestoßen wird und die Nutzung von Atomenergie mit zahlreichen Risiken einhergeht.

“Die EU-Kommission darf nicht das Problem als Lösung verkleiden. Atom und Gas können nicht nachhaltig sein”, sagte die Geschäftsführerin von Greenpeace Deutschland, Nina Treu. Die Organisation sieht in Folge der Taxonomieanpassung Investitionen in Industrien fließen, die Mitverantwortung für die Natur- und Klimakrise tragen. Stattdessen müsse das Geld in erneuerbare Energien und “den zukunftsfähigen Umbau hin zu einer sozial-ökologischen Wirtschaft” investiert werden. Die Organisation hatte ihre Klage bereits Mitte Februar angekündigt.

Vorwurf: Greenwashing

Während Greenpeace gegen das grüne Label sowohl für Atom und Gas vorgehen will, richtet sich die Klage anderer Gruppen speziell gegen die Einstufung von Gas. “Mit der Entscheidung, fossiles Erdgas als klimafreundlich zu klassifizieren, hat sich die EU-Kommission sowohl faktisch als auch rechtlich auf sehr dünnes Eis begeben”, warnte BUND-Vorsitzender Olaf Bandt. “Wir ziehen vor den Europäischen Gerichtshof, um diese dreiste Form des Greenwashing rechtlich überprüfen zu lassen. Vermeintlicher Klimaschutz durch Etikettenschwindel ist inakzeptabel.”

Echten Klimaschutz gäbe es nur mit einem Ausbau der erneuerbaren Energien und Energieeinsparungen. Geld nun in “vermeintliche Brückentechnologien” wie Gas und Atomkraft zu investieren, leiste der Energiewende einen “Bärendienst”, meint der BUND. Die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen könne die EU auf diesem Weg nicht erfüllen.

Der WWF kritisiert, die EU-Kommission habe die Einschätzung ihrer eigenen Expertinnen und Experten ignoriert: Die “Platform on Sustainable Finance” der EU-Kommission hatte Ende März 2022 ihren finalen Bericht zur Erweiterung der Taxonomie veröffentlicht und kam zu dem Schluss, die Taxonomiekriterien der Kommission seien weder strikt noch wissenschaftsbasiert. Energiegewinnung aus fossilem Erdgas ist aus Sicht der EU-Experten nicht nachhaltig. Investitionen in diesen Sektor würden die Energiewende behindern.

Auch die an der Klage beteiligte Organisation Transport & Enviroment (T&E) weist auf die Gefahren der Gasnutzung hin: "Fossiles Gas ist eine kohlenstoffreiche Energiequelle, wenn es verbrannt wird, und wenn es in die Atmosphäre entweicht, sind seine Auswirkungen auf den Klimawandel über einen Zeitraum von 20 Jahren mehr als 80-mal höher als bei CO2.

Erdgas besteht zu einem großen Teil aus extrem klimaschädlichen Methan. Zudem erhöhe die Nutzung von Gas die Abhängigkeit der EU von Importen, so T&E. “Dies würde die EU in Zukunft mehr Volatilität, Abhängigkeit von produzierenden Ländern und Versorgungskrisen aussetzen – mit potenziell weiteren verheerenden Auswirkungen auf die Haushaltsrechnungen.”

Gegen jeden Widerstand

Die EU-Kommission hatte im Februar 2022 entschieden, Investitionen in Erdgas und Atomkraft unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig einzustufen. Im Vergleich zu einem ursprünglichen Entwurf wurden die Auflagen für Gaskraftwerke damals nochmals gelockert. Damit hatte die Kommission auf den Wunsch nach flexibleren Rahmenbedingungen für Gaskraftwerke reagiert – besonders Deutschland hatte darauf gepocht.

In Ländern wie Frankreich, Polen und die Niederlande können nun mithilfe der Taxonomie Investitionen in neue Atomkraftwerke als nachhaltig klassifiziert werden. Voraussetzungen sind, dass die Anlagen aktuellen Technik-Standards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens bis 2050 vorgelegt wird.

Zudem soll Bedingung sein, dass die neuen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten. Bei der Einstufung neuer Gaskraftwerke soll relevant sein, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden und ob sich die Anlagen spätestens 2035 auch mit Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas betreiben lassen können.

Das Vorhaben hätte noch durch eine Mehrheit im EU-Parlament oder dem Widerspruch von mindestens 20 EU-Ländern abgelehnt werden können. Das EU-Parlament billigte den Rechtsaktallerdings im Juli 2022. Und auch die nötige absolute Mehrheit der Staaten für eine Ablehnung fand sich nicht. So trat der Rechtsakt Anfang Januar 2023 automatisch in Kraft.

Auch Österreich klagt

Österreich und Luxemburg klagen ebenfalls gegen die EU-Taxonomie. Österreich hat im Oktober vor dem Gericht der Europäischen Union Klage eingereicht. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) sagte damals, sie unterstütze grundsätzlich die sogenannte Taxonomie der Europäischen Union, mit der nachhaltige Energieformen klassifiziert werden. “Wogegen ich mich aber mit aller Kraft wehre, ist der Versuch, über eine Hintertüre […] Atomkraft und Gas grün zu waschen.” Die Ministerin hatte die EU-Pläne wiederholt als “Greenwashing” bezeichnet und auf die “unkalkulierbaren Risiken” der Atomkraft hingewiesen.

Die Regierung in Wien hatte zudem argumentiert, dass die EU-Kommission Entscheidungen von solcher Tragweite nicht treffen dürfe. Den EU-Staaten sei zu wenig Zeit gegeben worden, die Maßnahmen zu bewerten – es bestehe daher ein Verfahrensfehler.

Die Regierung in Luxemburg hatte ankündigt, Österreich bei der Klage zu unterstützen. Spanien, Dänemark, die Niederlande und Schweden hatten sich ebenfalls öffentlich gegen die Regelung ausgesprochen.

Die nun klagenden Organisationen rechnen in der zweiten Hälfte 2024 mit einer ersten mündlichen Anhörung, mit einem Urteil Anfang 2025. (dpa / hcz)